Saphira Shure im Gespräch
Forscherin kritisiert zu wenig Auseinandersetzung mit Rassismus
Strukturellen Rassismus gibt es nach Worten der Rassismusforscherin Saphira Shure in Deutschland schon lange, es sei nur nicht darüber gesprochen worden. Davon hätte AfD profitiert, sagt die Professorin für Erziehungswissenschaft im Gespräch.
Von Holger Spierig Dienstag, 11.07.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.07.2023, 11:59 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nach dem kürzlich veröffentlichten Abschlussbericht des Expertenkreises Muslimfeindlichkeit nimmt jeder zweite Deutsche den Islam als Bedrohung wahr. Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Saphira Shure: Wir wissen aus vielen Arbeiten und auch von vielen Initiativen, dass antimuslimischer Rassismus seit Jahren ein großes Problem ist. Die Ergebnisse sind daher keine Überraschung. Die Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus ist ein sehr wichtiges Feld für die Schule: Schülerinnen und Referendarinnen, die Kopftuch tragen, machen Rassismuserfahrungen. Außerdem erleben auch viele Schülerinnen und Schüler, die zum Beispiel Arabisch, Türkisch oder Persisch sprechen, dass sie als Muslime markiert und problematisiert werden – auch dann, wenn sie keine gläubigen Muslime sind. Es gibt immer noch zu wenig Auseinandersetzung mit den Generalisierungen und mit antimuslimischem Rassismus insgesamt.
Rassismus ist also nicht nur ein Problem von rechtsradikalen und rechtspopulistisch orientierten Kreisen?
Saphira Shure: Rassismus ist keine Ausnahmesituation an den rechten Rändern der Gesellschaft. Wie wir an dem Stimmenzuwachs für die AfD sehen, hat sich das verschoben: Es wird als normal wahrgenommen, dass es an vielen Stellen rassistische Äußerungen gibt. Das halte ich für sehr gefährlich.
„Es hat aber sehr lange gedauert, dass das überhaupt unter dem Begriff Rassismus zum Thema werden konnte.“
Es gibt zwar auch eine Gegenbewegung, es gibt Widerspruch, und es gibt zum Beispiel eine Bundesförderung im Bereich von Rassismusforschung. Es hat aber sehr lange gedauert, dass das überhaupt unter dem Begriff Rassismus zum Thema werden konnte. Davon haben unter anderem Parteien wie die AfD profitiert.
Wie bewerten Sie die Stimmenzuwächse bei der AfD?
Saphira Shure: Der wachsende Zuspruch für eine Partei wie die AfD zeigt, dass in einem postnationalsozialistischen Europa, in einem postnationalsozialistischen Deutschland Verschiebungen möglich sind, wie ich es vor Jahren nicht für möglich gehalten hätte.
Können Sie Beispiele nennen für Rassismus in der Mitte der Gesellschaft?
„Wir bewegen uns in der Debatte darüber, welche geflüchteten Menschen willkommen und welche weniger willkommen sind, in einem Feld, das mich schockiert.“
Saphira Shure: Wir bewegen uns in der Debatte darüber, welche geflüchteten Menschen willkommen und welche weniger willkommen sind, in einem Feld, das mich schockiert. Auch die Berichterstattung der Medien ist nicht frei von antimuslimischem Rassismus. Etwa bei der Berichterstattung über Ausschreitungen zu Silvester. Es wurde sehr schnell generalisiert und sofort über das Thema der „Integration der Anderen“ gesprochen. Es sind dann die „Anderen“, die nicht zu „uns“ gehören, die das Problem sind. Dadurch wird auch die Idee von Nicht-Zugehörigkeit gestärkt, die ein Grundproblem der gesellschaftlichen Verhältnisse ist.
Was sind die Ursachen für Rassismus in Deutschland?
„Strukturellen Rassismus gibt es in Deutschland schon lange, es wurde nur nicht darüber gesprochen.“
Saphira Shure: Strukturellen Rassismus gibt es in Deutschland schon lange, es wurde nur nicht darüber gesprochen. Rassismus galt mit dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland als überwunden. Stattdessen wurden andere Begriffe, wie etwa „Fremdenfeindlichkeit“, genutzt. Heute sehen wir die Auswirkungen davon, dass wir all die Jahre so wenig den Diskurs um Rassismus als gesellschaftliches Prinzip geführt haben.
Ist Rassismus speziell gegenüber Muslimen ein neueres Phänomen?
Saphira Shure: Auch der antimuslimische Rassismus ist in Deutschland historisch gewachsen. So sind beispielsweise Bilder des „Orientalen“ immer noch wirksam. Wenn Menschen als Muslime eingeordnet werden, geht es nicht immer um eine tatsächlich praktizierte Religion. Es wird eher generell eine bestimmte Herkunft, etwa aus arabischen Ländern, mit einem Muslimisch-Sein verknüpft. Die Betrachtungen und Sprechweisen sind hier sehr undifferenziert.
Wie kann Rassismus verhindert werden?
Saphira Shure: Wir brauchen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen eine stärkere rassismustheoretische und -kritische Auseinandersetzung. Eine große Rolle spielen Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten. Hier gibt es bereits Anstrengungen für eine Professionalisierung von Pädagoginnen und Pädagogen auf diesem Gebiet. Das sollte aber verstärkt und bundesweit verankert werden.
Ebenso spielen Medien mit ihrer Berichterstattung eine große Rolle: Hier sollte genauer auf die Sprache geachtet werden, etwa darauf, ob generalisiert wird.
Gibt es auch Maßnahmen, die jeder Einzelne für eine antirassistische Gesellschaft umsetzen kann?
„Kleinigkeiten in unserer Sprache können uns dafür sensibilisieren, genauer hinzuschauen. Das klingt erstmal sehr profan, wir können damit aber viel bewirken.“
Saphira Shure: Es ist auch wichtig, wie wir sprechen. Wenn wir über andere Menschen reden, sollten wir auf Generalisierungen achten: also auf Begriffe wie „die Muslime“ oder „die Flüchtlinge“. Statt von „Flüchtlingen“ sollten wir von „geflüchteten Menschen“ sprechen. Kleinigkeiten in unserer Sprache können uns dafür sensibilisieren, genauer hinzuschauen. Das klingt erstmal sehr profan, wir können damit aber viel bewirken.
Ihre Professur zum Thema Rassismusforschung ist neu an der Universität Bielefeld eingerichtet worden. Was sind Ihre Schwerpunkte?
Saphira Shure: Der Schwerpunkt ist Rassismus-sensible Lehrerinnen- und Lehrer-Bildung. Wir setzen uns unter anderem in einem durch das vom Bundesbildungsministerium geförderte Projekt damit auseinander, wie Rassismus im Studium, im Referendariat und im Berufseinstieg thematisiert wird und welche Erfahrungen angehende Lehrerinnen und Lehrer machen. Wir wollen herausarbeiten, wie es gelingen kann, die Professionalisierung von Pädagogen und letztlich auch der Schule Rassismus-sensibler zu gestalten. Aus den Ergebnissen des Projektes sollen Policy-Paper entwickelt werden, die bundesweit an Schulen und Universitäten Handlungsperspektiven eröffnen sollen. (epd/mig) Interview Leitartikel Panorama
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„Nach dem kürzlich veröffentlichten Abschlussbericht des Expertenkreises Muslimfeindlichkeit nimmt jeder zweite Deutsche den Islam als Bedrohung wahr. Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Saphira Shure: Wir wissen aus vielen Arbeiten und auch von vielen Initiativen, dass antimuslimischer Rassismus seit Jahren ein großes Problem ist.“
Verstehe ich etwas falsch oder wird hier eine wahrgenommene Bedrohung mit Rassismus gleichgesetzt? Das irritiert mich. Ich nehme die cdu auch als Bedrohung war, würde aber nicht sagen, dass das dann am Ende zu einer Form der Diskriminierung führt.