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Die brasilianische Flagge © gleidiconrodrigues @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

Neue geopolitische Achse

In Südamerika werden die Widersprüche deutscher Klimapolitik deutlich

Südamerika ist in den Blick deutscher Außenpolitik gerückt. Es geht um Rohstoffe und die Energiewende. Es wäre die Chance, weg vom Raubbau an Rohstoffen zu kommen. Die Signale zeigen aber in eine andere Richtung.

Von Montag, 10.07.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.07.2023, 11:48 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Freihandel, Klimaschutz und Rohstoffe: Wohl kein anderer Kontinent wurde in den vergangenen Monaten von der deutschen Politik so umworben wie Südamerika. Die Charmeoffensive hat einen existenziellen Hintergrund: Die Länder verfügen über begehrte Rohstoffe, seltene Erden und können grünen Wasserstoff für die deutsche Energiewende herstellen. Zugleich wehren sich lokale und indigene Gemeinschaften gegen eine Politik der reinen Rohstoffausbeutung ohne Rücksicht auf Mensch und Natur.

Sowohl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie mehrere Ministerinnen und Minister reisten in den vergangenen Monaten nach Brasilien. Zuletzt besuchte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Juni Brasilien, Kolumbien und Panama.

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Neue geopolitische Achse

Der Ukraine-Krieg und die Klimakrise haben die geopolitische Achse verschoben. Plötzlich ist Südamerika wichtig geworden als Produzent von Nahrungsmitteln und Lieferant von Kupfer, Eisenerz, Bauxit und Lithium für die Batterieproduktion. Knapp zwei Drittel der weltweiten Lithium-Reserven befinden sich in der Andenregion von Bolivien, Argentinien und Chile.

Brasilien als größte Volkswirtschaft der Region wird besonders von der deutschen Regierung umgarnt. Bei seiner Reise im März lobte Wirtschaftsminister Habeck die guten Bedingungen zur Produktion von grünem Wasserstoff. „Das liegt vor allem an den großen Mengen an Wasserkraft, die hier verfügbar sind“, stellte er fest. Auch habe Brasilien beste Voraussetzungen für Solar- und Windenergie. Deswegen habe das Land bereits etwa 80 Prozent seines Energiemixes dekarbonisiert. Das klingt gut, verdeckt aber Widersprüche.

55.000 Indigene vertrieben

Tatsächlich besteht rund die Hälfte der brasilianischen Energie aus erneuerbaren Quellen. Doch Windenergie macht nur knapp elf Prozent und Solar nur fünf Prozent aus. Rund 80 Prozent des Stroms kommen aus Wasserkraft. Dafür mussten enorme Waldflächen abgeholzt, Flüsse umgeleitet und Anwohner vertrieben werden. Die riesigen Wasserkraftwerke sind das Gegenteil von grün und nachhaltig.

Als Negativbeispiel gilt das Wasserkraftwerk Belo Monte am Fluss Xingu, einem wichtigen Seitenfluss des Amazonas. Das Kraftwerk trocknete ein 130 Kilometer langes Gebiet aus. Mehr als 55.000 größtenteils indigene Bewohner wurden vertrieben. Belo Monte wurde zum Symbol für die Zerstörung der Umwelt und Existenzgrundlage der Ureinwohner, vorangetrieben vom linken Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva während seiner ersten Präsidentschaft (2003 bis 2011).

Energielücke mit Kohle aus Kolumbien gestopft

Indigenenrechte seien auch immer Umweltrechte, sagte der indigene Umweltaktivist und Anthropologe, Edson Krenak. Die deutsche Regierung habe eine besondere Verantwortung, sich für Urvölker einzusetzen. Denn Deutschland habe vor zwei Jahren die UN-Konvention für die Rechte indigener Völker ratifiziert. Das betreffe auch die Produktion erneuerbarer Energien, egal ob Biomasse, Wasserstoff oder Windenergie. Die koloniale Politik, immer nur Rohstoffe zu rauben, müsse vorbei sein, forderte Krenak.

Auch in Kolumbien wird die Ambivalenz deutscher klimapolitischer Versprechen deutlich. Während sich Deutschland von Kohle, russischem Gas und Atomkraft verabschiedete, wurde die Energielücke mit Steinkohle aus Kolumbien gestopft. Im vergangenen Jahr haben sich die Importe verdreifacht.

Deutschlands Chance

Zugleich kämpfen die Bewohner zusammen mit Organisationen seit Jahren gegen das Monster, wie sie Kolumbiens größten Kohlebergbau El Cerrejón im Norden des Landes nennen. Die knapp 100.000 Fußballfelder große Geröllwüste grenzt an das geschützte Gebiet des Volkes der Wayúu. Ihre Kinder leiden an Atemwegserkrankungen wegen der Luftverschmutzung, die Flüsse trocknen aus, weil die Mine das Wasser abgräbt und Landwirtschaft ist auf dem verseuchten Boden nicht mehr möglich. Von den Gewinnen aus dem europäischen Rohstoffhunger bleibt in der Region nichts zurück.

Der Zeitpunkt für eine Belebung der Beziehungen mit Südamerika ist so gut wie lange nicht mehr. Brasiliens Präsident Lula will das Land als Verhandlungsmacht der Schwellenländer etablieren. Auch Kolumbiens Linksregierung unter Gustavo Petro hat ehrgeizige klimapolitische Pläne. Deutschland hat jetzt die Chance, eine nachhaltige Politik, die nicht nur auf der Ausbeutung der Ressourcen beruht, mit Leben zu erfüllen. (epd/mig) Aktuell Wirtschaft

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