„Warnsignal“
Über 200 antisemitische Vorfälle in Brandenburg gezählt
Die Fachstelle Antisemitismus hat für das vergangene Jahr etwas mehr Vorfälle in Brandenburg als die Polizei registriert - sie prüft die Fälle neu und bezieht auch eigene Meldungen mit ein. Die Landesregierung ist alarmiert - und sagt, was sie nun plant.
Montag, 10.07.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.07.2023, 22:27 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im vergangenen Jahr hat es in Brandenburg nach Angaben von Experten 204 antisemitische Vorfälle gegeben – das ist etwas mehr als die Polizei gemeldet hat. Die vom Land geförderte Fachstelle Antisemitismus teilte am Montag in Potsdam mit, das seien knapp 45 Prozent mehr als im Jahr 2020 im damaligen Bericht der Fachstelle gezählt wurde – allerdings seien beide Zahlen nur eingeschränkt vergleichbar, weil seit 2022 auch Angaben aus sozialen Medien und von Webseiten einfließen. Brandenburgs Staatskanzleichefin Kathrin Schneider sagte über die Zahl: „Es ist ein Warnsignal.“
Fast die Hälfte der antisemitischen Vorfälle und Straftaten (98) hatte einen rechtsextremen oder rechtspopulistischen Hintergrund. 19 Vorfälle und Straftaten bedienten Verschwörungsnarrative, seien aber politisch nicht eindeutig zuzuordnen, darunter 16 Fälle mit Bezug zur Corona-Pandemie. Drei Fälle kämen aus dem Milieu von Verschwörungsideologien. Zwei Fälle hatten laut Fachstelle islamischen oder islamistischen Hintergrund, ein Vorfall stammte aus der politischen Mitte. 81 Fälle waren nicht zuzuordnen. Die Stelle zählte meist verletzendes Verhalten, 11 Bedrohungen und 5 Angriffe. Bei der Fachstelle kann man antisemitische Vorfälle melden.
Die meisten Vorfälle im Netz
Die meisten Vorfälle wurden mit 66 im Internet gezählt, 35 passierten auf der Straße und 8 in öffentlichen Verkehrsmitteln, wie aus dem Bericht hervorgeht.
Die meisten antisemitischen Vorfälle gab es im vergangenen Jahr mit je 22 in Potsdam und im Kreis Märkisch-Oderland, 21 in der Uckermark und 19 in Oder-Spree. Nur 3 Fälle wurden im Kreis Oberspreewald-Lausitz gezählt. Der Vorstandschef der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Derviş Hizarcı, warnte vor einer Fehlinterpretation: „Da, wo es wenige Zahlen gibt, können wir uns nicht zurücklehnen.“ Dort seien nur keine Vorfälle gemeldet worden.
Brandenburg vor Scheideweg
Hizarcı sieht Brandenburg vor einem Scheideweg: „Wenn wir es gut machen, kann hier jüdisches Leben tatsächlich florieren“, sagte er. „Gleichzeitig stellen wir aber auch fest, dass Rassisten, Antisemiten, ganz böse Rechte immer mehr die Scham verlieren, ihren Hass zu äußern.“ Im Landesverband der jüdischen Gemeinden Brandenburg sind sieben Ortsgemeinden mit 1.500 Mitgliedern organisiert.
Die Polizei zählte im vergangenen Jahr 195 antisemitische Straftaten, das war ein Zuwachs von etwa 30 Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor, als 150 registriert worden waren. Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus – Trägerin der Fachstelle – fasste für den Bericht die Polizeizahlen aus der Statistik politisch motivierter Kriminalität mit eigenen Meldungen und denen zivilgesellschaftlicher Partner zusammen. Wenn sie bei einer registrierten antisemitischen Straftat nicht genug Indizien für einen Vorfall habe, zähle sie ihn nicht.
Kampf gegen Antisemitismus Staatsziel
Die Staatskanzleichefin sprach von einem Alltagsthema, um das sich die Landesregierung kümmern müsse. Schneider verwies auf den engen Zusammenhang von Rechtsextremismus und Antisemitismus. Die Initiativen „Tolerantes Brandenburg“ und „Bündnis für Brandenburg“ müssten aufleben. Es gehe auch darum, Bürger im Kampf gegen Antisemitismus zu stärken.
Im Landtag ist die Stelle eines Antisemitismusbeauftragten vorgesehen, mehrere Länder haben bereits eine solche Stelle. Im vergangenen Jahr hatte der Landtag den Kampf gegen Antisemitismus und Antiziganismus sowie die Förderung der jüdischen Kultur als Staatsziel in der Verfassung festgeschrieben. Der SPD-Rechtspolitiker Ludwig Scheetz hält auch mehr Prävention für notwendig, um das Bewusstsein für Antisemitismus zu schärfen. Die Stelle des Antisemitismusbeauftragten solle zügig geschaffen werden, sagte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke. Der Linke-Abgeordnete Andreas Büttner sagte, es sei eine Schande, wenn Jüdinnen und Juden in Brandenburg nicht sicher seien.(dpa/mig) Aktuell Panorama
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