Rezension
„Darf ich dich umarmen?“
Das erste deutschsprachige Kinderbuch mit romani und sinti Heldinnen der Afro-Sintizza Tayo Awosusi-Onutor wird von jungen Leser:innen gut angenommen und füllt eine Lücke.
Von Rosa Fava Sonntag, 02.07.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 29.06.2023, 21:42 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
„In den Händen hält sie einen grünen Fußballhandschuh mit der Aufschrift ‚Hamburger Kickers‘. ‚Ein Handschuh?‘ ‚Ja, ein Fußballhandschuh.‘ ‚Aber was hat das mit Lukas zu tun? Das ist doch keine Spur!‘ ‚Ist Lukas nicht aus Hamburg hierher gezogen?‘, fragt Sina.“ Ein kurzes Stück Detektivgeschichte ist zentraler Teil des abwechslungsreichen Kinderbuchs „Jekh, Dui, Drin. 3 Freundinnen in Berlin“ von Tayo Awosusi-Onutor. Es ist das erste in der Reihe JOKESI Club rund um die drei Viertklässlerinnen Jovanka, Kemi und Sina, das dieses Jahr in zweiter Auflage im Selbstverlag erschienen ist. Die Anfangssilben der drei Namen bilden zusammen „JOKESI“.
Es ist laut Verlagsinformationen das erste Buch mit romani und sinti Charakteren als Held:innen einer Kindergeschichte: Jovanka und Kemi sind Romnja, Sina ist Sintizza. Der JOKESI Club möchte beides sein: Ein ‚ganz normales‘ Kinderbuch, das für alle Kinder interessant und spannend ist, weil sie sich mit drei coolen Mädchen, ihrer innigen Freundschaft und ihrer Alltagswelt identifizieren, und zugleich ein Buch, das insbesondere romani und sinti Kinder anspricht, die darüber hinaus in den kollektiven Besonderheiten die eigene Zugehörigkeit wiederfinden. Im ersten Band ist es dabei lediglich das Romanes als gemeinsame Sprache, das Jovanka, Kemi und Sina verbindet. Zudem sind alle drei Mädchen mehrsprachig, weil die Familien oder jeweils ein Elternteil aus Serbien, Nigeria und Tunesien kommen und so selbst zum Teil bereits mehrere Sprachen sprechen. Mehrfachzugehörigkeit wird aber auch bei einem Sportlehrer und dem zunächst verschwundenen Mitschüler Lukas aus Hamburg, den die drei Mädchen auch dank des Fußball-Handschuhs wiederfinden, angedeutet bzw. explizit thematisiert. Darüber hinaus ist die Klassenlehrerin der 4b sehr lässig und jugendkulturell angezogen, so dass Diversität insgesamt doch vielleicht etwas plakativ vermittelt wird. Feministisch ist das Buch sowieso.
Primär pädagogische Kinderbücher oft plakativ
Kinder- und Jugendbücher, die in pädagogischer Absicht die Normalität von Diversität zum Ausdruck bringen wollen, tappen oft in die Falle des ‚gut gemeint ist nicht gut gemacht‘. Ein Beispiel ist das bis vor kurzem über die Bundeszentrale für politische Bildung vertriebene „Planet Omar“ von Zanib Mian und Nasaya Mafaridik aus dem Loewe Verlag. Hier steht Omar im Mittelpunkt, dessen Familie gerade umgezogen ist, so dass er sich mit neuen Nachbar:innen und Mitschüler:innen zurechtfinden muss. Die gut geschriebene und ansprechende illustrierte Geschichte schwankt zwischen der Darstellung der Normalität einer muslimischen Familie einerseits, wobei doch die Überbetonung der emanzipierten Mutter auffällt, und andererseits der handlungstreibenden Thematisierung von Rassismus, dem die Familie ausgesetzt ist.
Ohne zu spoilern sei verraten, dass vor allem die Mutter, aber auch Omar selbst besondere Leistungen erbringen und sich als sehr gute Menschen erweisen und so die Anerkennung einer rassistischen Nachbarin und eines ebensolchen Mitschülers gewinnen. Ihre Aufnahme in die Gemeinschaften Nachbarschaft und Schulklasse muss erst verdient werden, nicht nur weil sie neu und in diesem Sinne fremd sind, sondern weil sie Muslim:innen sind. Dies ist ein typisches Muster vieler Erzählungen gerade für Kinder, die gut gemeint sind, aber untergründig doch die Nichtzugehörigkeit ‚der Anderen‘ zementieren bzw. ihnen besondere Größe abverlangen. Dass Omar und seine Mutter ‚gute Muslime‘ sind, untergräbt das rassistische Wissen über Muslim:innen als schlecht und minderwertig keinesfalls. Auch wenn die Erzählung, wie bei „Planet Omar“, aus Perspektive des Kindes aus der Minderheit geschrieben ist und dessen Familie im Mittelpunkt steht, richtet sich das Buch mit seiner moralischen Message doch an die Mehrheitsgesellschaft: ‚Seht, sie sind gut und so irgendwie doch wie wir.‘
Perspektiven of Color im Mittelpunkt
Dieser Falle entgeht „Jekh, Dui, Drin. 3 Freundinnen in Berlin“ ganz offensichtlich. Zwar stehen hier auch pädagogische Ziele im Zentrum, aber sie richten sich im Sinne des Empowerments an diejenigen, die von Rassismus betroffen sind. Der neue Mitschüler Lukas versteckt sich, weil er seine Mütze verloren hat und so seine Afro-Locken sichtbar sind. Sie waren der Anlass, warum er auf seiner bisherigen Schule gemobbt wurde. Ganz ohne Erwachsene klären Jovanka, Kemi und Sina, dass die hänselnden Kinder das Problem und Afro-Locken cool sind, zumal Kemi selbst welche hat. Es gibt keine mehrheitsgesellschaftliche oder weiße Instanz, der gegenüber Lukas oder die Mädchen sich beweisen müssen.
Was Afro-Haare sind, klärt ein gezeichneter Notizzettel, genauso wie andere Notizzettel den Ausdruck „Mobbing“ erläutern oder auf Romanes die Zahlen von eins bis zehn aufreihen. Zählen macht den meisten Kindern Spaß, und so können sie nebenbei das Zählen auf Romanes lernen -oder festigen, wenn sie es schon können. Der Titel „Jekh, Dui, Drin“ heißt „eins, zwei, drei“ und die Zählung gehört zum Ritual, mit dem die drei Mädchen ihre Clubzugehörigkeit bekräftigen. Die Notizzettel mit Zahlen sind wie detektivische Notizen und andere Illustrationen der Erzählung beigesellt, so dass sie nicht als störendes Lernmaterial erscheinen.
Feedback junger Leser:innen
Auch sonst vermittelt das Buch durchaus treffend die Normalität einer je nach Stadtteil berlintypischen Kinderwelt, in der alle oder ihre Eltern von irgendwo herkommen und die auf die eine oder Art besonders aussehen und eine oder mehrere Sprachen neben Deutsch sprechen. Die Kinder kennen nur diese Normalität, und die drei Protagonistinnen haben anscheinend das Glück, aus selbstbewussten Familien zu kommen, die ihre jeweiligen Zugehörigkeiten als Pride leben und äußere Merkmale nicht (mehr) wie Lukas verstecken. Auch er legt schließlich seine Mütze ab.
Info: Tayo Awosusi-Onutor: „JOKESI Club Band 1: Jekh, Dui, Drin. 3 Freundinnen in Berlin“, omobooks Verlag, 50 Seiten, ISBN 9783982534619, € 17,90
Gerade weil dies für viele Kinder keine Normalität ist, zeigt das Buch, wie es sein könnte oder sollte. Der große Zuspruch, den der JOKESI Club gerade auch von romani und sinti Kindern erhält, zeigt, wie gut das Buch den Nerv trifft: „Ich verstehe das“, „ich kann auch zwei Sprachen sprechen“, „wann kommt die nächste Geschichte“ sind Reaktionen junger Leser:innen, die große Resonanz zum Buch ausdrücken. Am meisten freut die Autorin Tayo Awosusi-Onutor, selbst Afro-Sintezza, sich über den Wunsch „Darf ich dich umarmen?“ Dass Kinder of Color ihre Erfahrungswelten in der Erzählung einer Autorin wiederfinden und diese Nähe ausdrücken und zurückgeben wollen, spricht für sich.
Ansprechende Illustrationen
Die Illustrationen von Olufemi Stella Awosusi sind entweder nüchterne Notizzettel, comic- und graffitiartige Sprechblasen und Texteinschübe oder expressive, farbenfrohe Bilder. Die drei Mädchen stehen detailliert gezeichnet im Vordergrund, während die Umgebung meist expressionistisch nur angedeutet wird. Mit der reichen Bebilderung ist das Buch auch ansprechend für Kinder, die noch nicht gut lesen. Passenderweise gibt es zum Buch ein Malheft, auch einen Stundenplan. Zu empfehlen sind vielfarbige Hautfarben-Buntstifte, die mittlerweile von verschiedenen Herstellern angeboten werden.
Wenn auch etwas stark pädagogisch befrachtet, ist der JOKESI Club doch ein schöner Einstieg in eine Kinderliteratur, die romani und sinti Lebenswelten einen Ausdruck verleiht. Man kann man sich auf weitere Bände der Reihe sehr freuen! Aktuell Rezension
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