Turnier der Geflüchteten
Tore, Integration und eine klare Botschaft
Es geht um Tore, Respekt und darum, Geflüchtete nicht als Zahlen in einer Statistik zu sehen, sondern als Menschen und Sportler: In Frankfurt spielen Flüchtlingsteams um einen Titel und für Integration.
Von Eva Krafczyk Sonntag, 02.07.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 01.07.2023, 16:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Der Spieler im Schweizer Trikot versucht noch eine Grätsche, doch Farkhunda Muhtaj ist nicht aufzuhalten. Im orangenen Team der Niederländer hält sie auf das gegnerische Tor zu und kann wenig später jubeln. Doch auf dem Unity Cup der UEFA und des UN-Flüchtlingswerks UNHCR geht es in Frankfurt nicht nur um Tore, sondern um den Blick auf Geflüchtete und ihre Integration in ihre neuen Länder. Insgesamt 16 Teams in Siebener-Mannschaften spielen nicht nur um den Sieg, sondern auch für Akzeptanz, Ankommen und Integration.
Muhtaj mit dem dunklen Pferdeschwanz und dem „Oranje“-Shirt erntet nicht nur wegen ihrer fußballerischen Leistungen bewundernde Blicke: Als die Taliban 2021 wieder an die Macht kamen, war sie Kapitänin der Frauen-Fußballnationalmannschaft von Afghanistan. Heute spielt sie als Profi in einem niederländischen Verein – und sie nutzt ihre Bekanntheit, um auf die Lage der Frauen in Afghanistan unter den Taliban aufmerksam zu machen. In der afghanischen Exil-Community ist sie keine Unbekannte. Als Aktivistin setzt sie sich dafür ein, der Nationalmannschaft wieder einen offiziellen Status im Exil und damit Spielmöglichkeiten zu geben. „Ich fürchte aber, so weit ist es noch lange nicht“, sagt sie.
Edris Faqierzad aus dem deutschen Team lässt es sich nicht nehmen, Muhtaj nach dem Spiel zu gratulieren. „Meine Schwester wollte eigentlich auch kommen, nur um sie zu sehen – sie ist ihr großes Vorbild“, sagt der junge Afghane, der seit acht Jahren in Kassel lebt. Er ist stolz darauf, als Mitglied des Deutschland-Teams an diesem Mittwoch Gastgeber zu sein – auch wenn es gerade nicht gut für die Mannschaft läuft, in der 16 Nationalitäten vertreten sind. „Wir haben bis jetzt drei Spiele verloren – vielleicht auch, weil wir als Gastgeber Respekt zeigen und besonders fair spielen wollten“, sagt er. Die Konkurrenz habe sich da schon eher mal zum Foul hinreißen lassen. Der junge Mann, der als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist, ist stolz darauf, diesmal Gastgeber zu sein: „Das bedeutet mir viel.“
Positive Erfahrungen
Auch Ladan Musse, die ursprünglich aus Somalia stammt und im deutschen Team spielt, sucht die Begegnung mit der afghanischen Spielführerin. Das Problem, als Fußballerin auf Widerstand zu stoßen, kennt die 20-jährige: Die radikale Al-Shabaab-Miliz, die große Teile Somalias kontrolliert, sieht Fußball als unislamisch an – und kickende Frauen erst recht als ungehörig. Musse, die seit vier Jahren im Odenwald in einer Frauenfußballmannschaft spielt, ist in Kenia aufgewachsen, nachdem ihr Vater bei einem Bombenanschlag ermordet wurde.
Fußball spielte sie schon als Kind mit ihren Brüdern und deren Freunden. „Aber hier finde ich es toll, mit anderen Frauen spielen zu können“, sagt die junge Frau. Auch wenn sie selbst bei Spielen keine Negativerfahrungen mit Rassismus machen musste, findet sie die Idee des Unity-Cups gut: „Egal, woher wir kommen – wir alle sind Menschen. Beim Fußball spielt unsere Herkunft keine Rolle.“
So sieht es auch UNHCR-Chef Filippo Grandi, der zu dem Turnier nach Frankfurt gekommen ist. „Fußball steht für Inklusion“, betont er. Geflüchtete könnten hier positive Erfahrungen mache, der gemeinsame Sport sei auch gut für die psychische Gesundheit und erleichtere Integration: Sprachkenntnisse zählen auf dem Fußballplatz weniger als Teamgeist und Einsatz.
Antwort auf Diskriminierung
Das Turnier sei auch eine Antwort auf Diskriminierung und Ausgrenzung oder Ablehnung, die viele Flüchtlinge erfahren. Es geht eben auch anders, so Grandi. „Es gibt Politiker, die Flüchtlinge stigmatisieren. Aber es gibt viele andere, die gehören zur stummen Mehrheit und scheuen sich, die Stimme für marginalisierte Menschen zu erheben. Die will ich ermutigen, sich zu engagieren und für Flüchtlinge einzutreten, das Positive zu sehen, dass diese Menschen mitbringen.“
Im Turnier um den Unity-Cup sind die Teams gemischt, auch ein paar Spielerinnen und Spieler aus den jeweiligen Aufnahmeländern sind in den Teams. Paschtu, Farsi, Arabisch oder Kurdisch wird gleich in mehreren Mannschaften gesprochen – und wenn die Ukraine und Lettland aufeinandertreffen, ist Ukrainisch die meistgesprochene und -verstandene Sprache.
Die Ukraine-Mannschaft ist gewissermaßen die zweite aus Deutschland und die jüngste des Turniers. „Das sind alles 15- bis 17-jährige, die im vergangenen Jahr mit ihren Familien vor dem Krieg geflohen sind“, erzählt Yumes Medoff, der Trainer der blau-gelben Mannschaft, die von Fans aus der ukrainischen Community lautstark unterstützt wird. Für die Jugendlichen sei es etwas Besonderes, ihr Land in diesem Turnier repräsentieren zu können. „Die meisten wollen zurück“, sagt Medoff. „Aber keiner weiß, wie lange der Krieg noch dauern wird.“ (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft
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