Kien Nghi Ha, Asien, asiaten, rassismus, kulturwissenschaftler
Kien Nghi Ha © privat, Zeichnung MiG

Regenbogen-Kapitalismus

Diversität als Modernisierungstrategie

Diversität hat Hochkonjunktur und das hat viele Gründe. Doch Diversität führt nicht automatisch dazu, dass Institutionen anti-rassistisch werden. Sie garantiert auch keine Strukturveränderungen.

Von Sonntag, 04.06.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 03.06.2023, 12:33 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Diversität hat Hochkonjunktur und das hat viele Gründe: Unter anderem kann so nach US-Vorbild ein neues, realistischeres und funktionelleres Narrativ der Nation konstruiert werden, das weniger mit Ausschluss als mit Inklusion und Anti-Diskriminierung arbeitet. Zu diesem Zweck wird die selektive Ausgrenzung verfeinert, technisch und infrastrukturell modernisiert und mit Zuckerbrot und Peitsche geografisch an die EU-Außengrenzen vorverlagert, so dass Unerwünschte aus dem Trikont draußen bleiben.

„Heutzutage kommt der hybride Kapitalismus daher zunehmend im Regenbogen-Gewand der political correctness.“

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Kulturelle Diversität als hybride Differenzkonsum- und effizienzsteigernde Verwertungsmaschine stärkt den nationalen Standort im globalen Systemwettkampf und ermöglicht einen transnationalen Kapitalismus, der durch Selbstoptimierung, flachere Hierarchien, mehr Durchlässigkeit, Kreativität und Leistungsorientierung sich ein Stück weit von völkisch-nationalen Beschränkungen befreit. Wie ausführlicher von mir im Buch „Hype um Hybridität“ (2005) analysiert, dienen hybride Repräsentationen in der Populärkultur nicht zuletzt der weltweiten Marktdurchdringung. Kulturelle Hybridität etwa mit Asiatischen und Schwarzen Filmfiguren sowie das neue Ideal des mixed race versprechen bessere Identifikationspotentiale für globale Fusion-Produkte mit fluiden und grenzüberschreitenden Eigenschaften. Absatz wie Profit können so maximiert werden. Heutzutage kommt der hybride Kapitalismus daher zunehmend im Regenbogen-Gewand der political correctness.

Inwieweit mehr kulturelle Diversität und Repräsentation in Verwaltungen, Universitäten, Redaktionen, Museen, Theatern und Parlamenten in westlichen Migrationsgesellschaften tatsächlich strukturelle Gamechanger sind, lässt sich dagegen nicht mit Sicherheit vorhersagen. Bisher besteht jedoch kein Grund zum übertriebenen Optimismus, da auch kultursensible Konzerne mit postkolonialen und postmigrantischen Expert:innen of Color in den transnationalen Führungsetagen den globalen Kapitalismus mit seinen systemimmanenten Verwertungszwängen nicht weniger ausbeuterisch machen.

„Auch politische Institutionen werden durch die Eingliederung von Personen of Color nicht automatisch anti-rassistisch.“

Auch politische Institutionen werden durch die Eingliederung von Personen of Color nicht automatisch anti-rassistisch. Wie politisch ernüchternd diese Inkorporation sein kann, veranschaulicht das Beispiel der Obama-Administration. Von der rassistischen Armutsverteilung, über das vormoderne Gefängnissystem bis hin zur anti-Schwarzen Polizeigewalt waren die politischen Effekte dieser Präsidentschaft vielfach deprimierend.

Auch da wo das Schwarze Oberhaupt im Weißen Haus direkten Einfluss hatte oder Nicht-Weiße Verantwortungsträger:innen als Minister und Sicherheitsberaterinnen Policy-Entscheidungen wesentlich mitbestimmten, wurden etablierte Grundstrukturen des Rassismus und Neokolonialismus nicht in Frage gestellt. In vielen Bereichen wurde diese Logik weiter zugespitzt wie etwa bei der militärischen Abwehr von Migrant:innen aus Lateinamerika. In der aggressiven Außenpolitik wurde durch rücksichtslosen und massenhaften Drohneneinsatz in Ländern des Globalen Südens gar neue Negativrekorde aufgestellt.

„Kulturelle Diversität und mehr Repräsentation bedeuten nicht automatisch Strukturveränderungen.“

Obwohl wir in Deutschland von solchen Gesellschaftsverhältnissen weit entfernt sind, verdeutlichen diese Beispiele, dass kulturelle Diversität und mehr Repräsentation nicht automatisch Strukturveränderungen bedeuten. Obwohl Diversität notwendig ist, kann es nicht mit mehr soziale Gerechtigkeit, Anti-Diskriminierung oder besseren Inhalten gleichgesetzt werden. Oft bedeutet Diversität als Modernisierungstechnik der Integrationsindustrie nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Meinung

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