„Arische Tonordnung“
NS-“Reichsmusiktage“ sollten machtvolles Zeichen setzen
Die Reichsmusiktage im Mai 1938 in Düsseldorf verfolgten das Ziel einer „reinrassigen“ Kunst. Dabei offenbarten sie Widersprüche - in der NS-Ideologie und im Grundverständnis von Musik.
Von Andreas Duderstedt Sonntag, 21.05.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 19.05.2023, 12:15 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Eine „Heerschau deutscher Tonkunst“ sollten sie sein, eine „Olympiade deutscher Musik“, jubelte vor 85 Jahren die unter den Nationalsozialisten gleichgeschaltete Presse: die Reichsmusiktage vom 22. bis 29. Mai 1938. Sie wurden auf Initiative des Propagandaministeriums von der Reichsmusikkammer und der für Freizeitgestaltung zuständigen Abteilung der „Deutschen Arbeitsfront“, „Kraft durch Freude“, in Düsseldorf veranstaltet.
Der feierlichen Eröffnung am 22. Mai, dem 125. Geburtstag von Richard Wagner, folgten Tage mit einem dicht gefüllten Programm: Sinfonie-, Chor-, Platz- und Werkkonzerte bei Rheinmetall-Borsig und in anderen Betrieben, Kammermusiken, ein musikalischer Tee-Empfang auf der Rheinterrasse, Offenes Singen, dazu Tagungen, zum Beispiel über „Musik und Rasse“.
Offizieller Höhepunkt: die „Kulturpolitische Kundgebung“ mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, eingeleitet von einem „Festlichen Vorspiel“, komponiert und dirigiert von Richard Strauss. Er und Hans Pfitzner, dessen Kantate „Von deutscher Seele“ erklang, waren die etablierten Tonsetzer im Dienst des Naziregimes, ansonsten standen Werke der deutschen Klassik und Romantik auf dem Programm.
Eine von Rassegesetzen diktierte Kunst
Die Reichsmusiktage sollten die glanzvolle Überlegenheit deutscher Musik zum Ausdruck bringen, repräsentativ und populär, auf Grundlage der rassisch begründeten Musikpolitik des „neuen Deutschland“, mit dem Anspruch auf Totalität und Zukunft. Aber das Ziel einer von Rassegesetzen diktierten Kunst war gerade in der Musik nicht immer eindeutig zu erreichen.
Die NS-Kulturpolitik hatte den Anspruch, Feinde unschädlich zu machen. Musikalische Hauptgegner wurden unter den Etiketten „Atonalität“ und „Jazz“ angegriffen und als schädlich für das deutsche Wesen gebrandmarkt. Doch gerade auf dem Gebiet der Musik führte dies oft zu Widersprüchen und Verwirrung. Warum sollte sich die musikalische Sprache des Juden Felix Mendelssohn Bartholdy plötzlich grundlegend von der seiner romantischen Zeitgenossen unterscheiden? Warum sollte der Dreiklang „germanischer“ Natur sein, warum der Jazz „undeutsch“?
Hetzschau „Entartete Musik“
„Der Rassismus hatte auch die deutsche Musikkritik aller Urteilsgrundlagen beraubt“, stellt der Düsseldorfer Journalist Werner Schwerter in dem Buch „Das verdächtige Saxophon“ fest: „Sollte man es sich fortan einfach machen: Stammbaum als Maßstab? Das konnte nicht funktionieren.“ Schwerter weist darauf hin, dass es jüdische Komponisten gab, die ganz dem vermeintlich arischen Harmonieverständnis entsprachen. Und umgekehrt Arier, die atonal experimentierten. So viele Ausnahmen, „dass letztlich keine Regeln mehr galten, obwohl doch alles geregelt sein sollte“.
Ein Ereignis im Rahmen der Reichsmusiktage, an dem sich solche Widersprüche deutlich zeigten, war die Hetzschau „Entartete Musik“ – in Anlehnung an die im Vorjahr in München gezeigte Ausstellung „Entartete Kunst“. Die Idee zur Ausstellung hatte der Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, Hans Severus Ziegler. „Was in der Ausstellung ‚Entartete Musik‘ zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbath und des frivolsten, geistig-künstlerischen Kulturbolschewismus dar und ein Abbild des Triumphes vom Untermenschentum, arroganter jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung“, sagte er in seiner Eröffnungsrede am 24. Mai 1938.
Arische Tonordnung
Die Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast, die dem Publikum die Auflösung „unserer arischen Tonordnung“ vorführen sollte, bot dem Publikum Nischen, in denen man auf Knopfdruck Schallplatten mit Beispielen der verpönten Klänge hören konnte. Die Trennwände dieser Boxen hielten aber den Schall nicht ab: eine beabsichtigte Kakophonie sollte Zieglers „Hexensabbath“ zeigen.
„Ein erschreckend billiger und doch raffiniert berechneter Trick, dessen verheerender Wirkung auf die Besucher man sich von vorneherein sicher sein konnte“, sagt dazu der Musikwissenschaftler Albrecht Dümling, Herausgeber des Buches „Das verdächtige Saxophon“. Doch nicht alle ließen sich abschrecken. Der Musikkritiker Heinrich Strobel erinnert sich später, dass die meisten Besucher just in den Saal kamen, wo Songs aus der „Dreigroschenoper“ erklangen: „Jeder wollte diese Melodien noch einmal hören.“
Intervention der NS-Propagandaleitung
Der Weimarer Theatermann Ziegler war alleiniger Initiator der Düsseldorfer Ausstellung und trieb das Projekt gegen die Widerstände anderer NS-Kulturfunktionäre voran. Peter Raabe hielt die Ausstellung „für einen Unfug“, so schrieb er an Goebbels, und erklärte im selben Brief seinen Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer. Dass man mit der Zusammenstellung einen musikalischen Laien wie Ziegler betraut hatte, erboste ihn. In der Rückschau wird deutlich, dass sich Ziegler als besonders eifriger Nationalsozialist hervortun wollte, wegen seiner Homosexualität war er angreifbar.
Auch Goebbels, der Jazz zu schätzen wusste, hielt nicht viel von Zieglers Ausstellungskonzept eines Grusel-Kabinetts. Zwei Stunden nach der Eröffnung verschickte das Reichspropaganda-Amt in Berlin an alle lokalen Propagandaleitungen und die NSDAP-Zentrale in München ein Fernschreiben, in dem groß aufgemachte Berichte über die Ausstellung ausdrücklich untersagt wurden, auch nach den Reichsmusiktagen. Und sie wurde in Düsseldorf zwei Wochen früher als geplant geschlossen. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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