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Schallplattenspieler (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

„Perversion der Nazis“

Pariser Ausstellung widmet sich Musik im KZ

In den Konzentrationslagern haben die Nazis Häftlinge zum Musizieren in Lagerkapellen gezwungen. Selbst Hinrichtungen wurden musikalisch begleitet, wie eine Ausstellung in Paris zeigt. Heimlich spielten die Insassen auch ihre eigene Musik. An einem Ort aber blieb es still.

Von Donnerstag, 04.05.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.05.2023, 12:35 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Ein damals populäres Liebeslied ließen die Nazis im Konzentrationslager Mauthausen 1942 von der Lagerkapelle musizieren, während sie die Hinrichtung eines auf der Flucht gefassten Häftlings zynisch in Szene setzten. Und „Alle Vögel sind schon da“ stimmte die Kapelle dann unmittelbar vor der Exekution von Hans Bonarewitz an. Der Rolle der in deutschen Konzentrationslagern allgegenwärtigen Musik ist in der Pariser Holocaust-Gedenkstätte eine umfangreiche Ausstellung gewidmet. Dabei geht es um Marschmusik, Gesänge, zu denen die Häftlinge gezwungen wurden, auch aber um das heimliche Musizieren der Insassen und um Lieder des politischen Widerstands.

Die Instrumente, Noten und Fotos, die für die Ausstellung aus Gedenkstätten und Archiven weltweit nach Paris kamen, „zeigen die Perversion des Nazi-Regimes“, wie die Kulturchefin der Gedenkstätte, Sophie Nagiscarde, sagte. Eine Blockflöte, mit der sich ein SS-Mann im Lager Buchenwald die Zeit vertrieb, die Gitarre eines Mitglieds der Häftlingskapelle in Mauthausen, ein dort von Insassen selbst gefertigter Kontrabass oder ein heimlich erstelltes Heft mit Widerstandsliedern aus dem Lager Sachsenhausen. Die Fotos stammen von den SS-Männern und zeichnen das einseitig verzerrte Bild eines Lagerbetriebs, in dem Kultur und Musik Platz eingeräumt wurde.

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Stundenlanges Singen als Strafe

Zum Aufbau von Lagerkapellen, den die Kommandanten mit Ehrgeiz und Stolz betrieben, ließen die Nazis auch viele Instrumente und Partituren herbeischaffen, sagte Kuratorin und Musikwissenschaftlerin Élise Petit. Die in die Kapellen aufgenommenen Häftlinge konnten mit Vorzügen, etwa mehr Essen oder Prämien, rechnen. Notenpapier, das sie erhielten, nutzten sie auch für das heimliche Verfassen eigener Musik, die sie abseits der strikten Überwachung selber spielten. In den Blocks wurde abends auch Musik aus den Herkunftsländern der Häftlinge geduldet. Heimlich gesungen wurde auch an einem Ort, den die SS-Leute des Gestanks wegen mieden – den Latrinen.

Militärmärsche ließen die Nazis beim Weg der Häftlinge zur Zwangsarbeit spielen, um diese zur Eile anzutreiben, etwa den Triumphmarsch „Einzug der Gladiatoren“. Insassen wurden auch zur Strafe zu stundenlangem Singen gezwungen, und aus Lautsprechern in den Lagern schallte neben Nazi-Propaganda auch Musik, die den SS-Leuten gefiel. Neben Kompositionen von Richard Wagner oder Ludwig van Beethoven waren dies auch sentimentale Lieder von Zarah Leander.

Keine Musik im Gaskammer

Selbst Folter und Hinrichtungen von Häftlingen wurden musikalisch begleitet. So nannte Kuratorin Petit die Massenerschießung Tausender Häftlinge des KZ Majdanek, die den ganzen Tag über mit Musik aus aufgestellten Lautsprechern übertönt wurde. Nur an einem Ort in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis blieb es still: „Die Orchester haben nicht in den Gaskammern und auf dem Weg in die Gaskammer gespielt.“

In der Ausstellung in der Pariser Gedenkstätte erklingt auch Musik, die in den Lagern aufgeführt wurde und zu hören war. Die unterschiedliche Musik, mit der ein Häftling während eines Lagertages zu tun hatte, ist beispielhaft in einem Ausstellungsraum zu hören. In einem Gang erklingt Marschmusik, wie die Häftlinge sie auf der Lagerstraße hörten. Im Rahmen der Ausstellung, die von diesem Donnerstag an bis zum 24. Februar 2024 zu sehen ist, sind auch einzelne Konzerte geplant. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton

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