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Konditorin bei der Arbeit (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Ausländische Qualifikationen

Welche Hürden Ukrainer in Deutschland nehmen müssen

Pralinen und Torten bestimmten bis vor kurzem das Leben von Emiliia Prytkina. Nach ihrer Flucht möchte die Ukrainerin wieder als Konditorin arbeiten. Doch der Weg ist lang - und nicht nur süß.

Von Sonntag, 21.05.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 19.05.2023, 12:53 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Auf die Frage nach ihrer Lieblingssüßigkeit weiß Konditorin Emiliia Prytkina sofort eine Antwort: „Heringsfisch“, sagt sie und lacht. In ihrem Beruf müsse sie den ganzen Tag so viel Süßes probieren. „Und am Ende vom Tag konnte ich keine Süßigkeiten mehr essen.“ Sie esse eigentlich nicht so viel Zucker. „Ich mag sauer. Aber Hering ist am besten. Und Fleisch.“ Und dennoch musste Prytkina in den vergangenen Wochen sehr viel Süßes essen – denn sie hat für eine wichtige Prüfung gelernt.

Die Ukrainerin lebt in Pommern im Landkreis Cochem-Zell. Wegen des russischen Angriffskriegs flüchtete sie im März 2022 nach Deutschland und musste ihren Beruf als Dozentin an einer Kochschule in Charkiw vorerst aufgeben. Doch sie will wieder als Konditorin arbeiten. Deshalb hat sie bei der Handwerkskammer Koblenz eine sogenannte Qualifikationsanalyse gemacht – und bestanden.

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Plötzlich keine Konditorin mehr

Der Weg dahin war hart für die 47-Jährige. In der Ukraine arbeitete sie lange als Chef-Konditorin in einem Fünf-Sterne-Hotel, später dann als Dozentin. Sie formte Blüten aus Schokolade, fertigte glänzende Pralinen und kreierte aufwendige Torten. Doch in Deutschland war Prytkina plötzlich keine Konditorin mehr, keine Spezialistin für Lebensmittelproduktion, sondern Flüchtling. Ohne Arbeit und ohne die Sprache zu sprechen.

„Ich hatte viel Angst, weil ich kann nicht lesen, nicht sprechen“, erinnert sie sich. „Wir wohnen in einem kleinen Ort hier, und die Leute sprechen kein Englisch.“ Also begann sie, zunächst mit einer App, Deutsch zu lernen. „Das war komisch, aber ich habe jeden Tag Deutsch gelernt.“ Seit Oktober ist sie in einem Integrationskurs.

Mehrheit bekommt keine volle Gleichwertigkeit

Prytkina ist nicht die einzige mit so einer Geschichte. Ende April waren nach Angaben des rheinland-pfälzischen Integrationsministeriums rund 44.800 Menschen aus der Ukraine im Bundesland. Wenn sie ihre handwerklichen Qualifikationen aus ihrer Heimat anerkennen lassen wollen, müssen sie ein Verfahren durchlaufen.

Laut Handwerkskammer Trier werden dazu vorab die Dokumente geprüft. Fehlen Zeugnisse oder Nachweise, können die Geflüchteten eine Qualifikationsanalyse machen und so ihre beruflichen Fähigkeiten testen. In etwa 40 Prozent der Fälle werde nach so einer Prüfung die „volle Gleichwertigkeit“ ausgesprochen, teilt die Handwerkskammer weiter mit. Das bedeutet, dass die Qualifikationen aus dem Heimatland den benötigten Fähigkeiten in Deutschland komplett entsprechen.

Ukrainerin muss deutsche Süßwaren können

„Ich dachte, es wird einfach für mich, weil ich lange gearbeitet habe“, sagt Prytkina. Aber der Chef in der Akademie habe gesagt, dass sie deutsche Süßwaren backen müsse. „Und das war eine Katastrophe. Weil ich habe nie deutsche Pralinen gegessen.“ Um sich auf die Prüfung vorzubereiten, habe sie viel in ihrer kleinen Küche geübt. „Und mein Ofen funktioniert nicht so gut. Das war ein Problem.“

Am Ende hat dennoch alles geklappt. „Das ist nicht nur eine fachliche und menschliche Verstärkung des Handwerks in einem Beruf, der dringend Fachkräfte sucht“, sagt Stefan Gustav, Experte für Qualifikationsanalyse bei der Handwerkskammer Koblenz. „Es geht natürlich auch um ein Stück Normalität und das Gefühl, in der neuen Heimat willkommen zu sein und gebraucht zu werden.“ Dabei spiele die berufliche Anerkennung eine ganz wichtige Rolle.

Alles können, aber nicht verstehen

Doch bis Prytkina einen Job hat, wird es dauern. Noch bis Juli muss sie jeden Tag Deutsch lernen. Erst danach steht fest, welches Sprachniveau sie hat. Und erst dann hat sie Zeit, sich auf Jobs zu bewerben. Irgendwann möchte sie auch ihre Qualifikation als Spezialistin für Lebensmittelproduktion anerkennen lassen. Auch dabei ist die Sprache das größte Problem. „Ich weiß alle diese Dinge theoretisch, aber ich brauche Zeit, um alle Wörter zu verstehen“, sagt sie.

Dabei werden Fachkräfte in Deutschland dringend gebraucht. Allein in der Region Trier fehlen nach Angaben der Handwerkskammer rund 2000 Fachkräfte – und das in allen Bereichen. Besonders stark seien die Engpässe ausgerechnet bei den Betrieben, die für die Energiewende und den Klimaschutz wichtig seien. Jede Migrantin und jeder Migrant, der ins Handwerk komme, sei eine Hilfe, die Arbeit zu bewältigen, sagt Matthias Schwalbach, Geschäftsführer der Handwerkskammer Trier. „Dabei sind die Sprachkenntnisse der wesentliche Erfolgsfaktor.“

Bürokratische, kulturelle und sprachliche Hürden

Am liebsten würde Prytkina wieder mit Schokolade arbeiten. „Ich kann alles machen, Kekse, Torten, Brote oder Croissants. Ich weiß diese Dinge theoretisch und praktisch“, sagt sie. „Aber die Schokolade ist am besten für mich.“ Mit den deutschen Marzipanfiguren, die sie auch lernen musste, kann sie hingegen nichts anfangen. Geschmeckt hätten die ihr nicht.

Neben den bürokratischen, kulturellen und sprachlichen Hürden hat vor allem eines Prytkinas Alltag im vergangenen Jahr geprägt: die Angst um ihre Familie. Ihre Eltern, ihr Mann und ihr Bruder sind noch immer in der Ukraine. „Meine Eltern, sie haben gesagt, sie werden in unserem Haus sterben. Das ist auch schwer für mich“, sagt sie. Sie will dennoch optimistisch in die Zukunft blicken. „Hier hoffe ich, dass es mehr Möglichkeiten gibt, für Leute, die in Deutschland leben wollen. Ich muss es probieren. Aber ich will das.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama

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