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Ausländerbehörde © Resident on Earth @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Länder wollen hart bleiben

Flüchtlingsgipfel mit schwieriger Mission

Eine Einigung beim Bund-Länder-Gipfel zur Flüchtlingsfinanzierung wird von den meisten für unrealistisch gehalten. Dabei ist der Druck der Kommunen immens und die Lösungskompetenz der Politik steht einmal mehr auf dem Prüfstand.

Von Dienstag, 09.05.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.05.2023, 18:04 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Das Spitzentreffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Flüchtlingspolitik steht an diesem Mittwoch vor kaum lösbaren Herausforderungen. Die Versorgung und Integration der wieder wachsenden Zahl von Flüchtlingen reißt nach Darstellung von Ländern und Kommunen Milliardenlöcher in ihre Kassen. Der Bund will aber nicht mehr Geld als vorgesehen zuschießen, weil er sich aus seiner Sicht bereits überproportional an den Kosten beteiligt. Eine Kompromisslinie war bis Dienstag nicht zu erkennen.

„Wir werden hart bleiben“, kündigte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Stuttgart an. „Wir werden nichts zustimmen, was nicht durchfinanziert ist.“

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Scholz wirbt für Einigung

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) warnte eindringlich vor einem Scheitern des Flüchtlingsgipfels. „Man muss alles dafür tun, dies zu verhindern.“ Zur solidarischen Finanzierung gehöre, dass der Bund sich nicht plötzlich aus der Verantwortung zurückziehe und sage: „Die Kassen sind klamm, jetzt macht mal alleine.“

Auch Kanzler Scholz sprach von einer „großen gemeinsamen Aufgabe in einem erfolgreichen föderalen Staat“ und warb für eine Einigung. Im Bundeskanzleramt liegt derweil bereits eine einstimmig von 16 Bundesländern verabschiedete Beratungsunterlage vor.

Amnesty kritisiert „Entgleisungen“

Aus Kreisen von Bund und Ländern wurde prognostiziert, auf Grund der weit entfernten Interessenlagen könnte das Treffen entweder sehr schnell mit Vertagung enden oder aber ein sehr langes Ringen werden. Nach Ansicht des Linken-Fraktionschefs Dietmar Bartsch kommt der Flüchtlingsgipfel angesichts der gewaltigen Herausforderungen bereits „viel zu spät“.

Die deutsche Sektion von Amnesty International hingegen hat sich besorgt über einzelne Vorschläge und den Tonfall in den Debatten gezeigt. Die Menschenrechtsorganisation sprach am Dienstag in Berlin von „zunehmenden menschenrechtlich zweifelhaften Forderungen und verbalen Entgleisungen von Politikern“. So würden etwa Rufe nach Obergrenzen und Zäunen laut. Bei der Aufnahme Schutzsuchender dürfe „nicht durch menschenrechtlich zweifelhafte Vorschläge Handlungsfähigkeit“ suggeriert werden. Sowohl auf EU-Ebene als auch auf föderaler Ebene gelte es, sachlich menschenrechtskonforme Lösungen zu erarbeiten.

Juso-Kritik an „Abschottungsdebatte“

Kritik erntet die Debatte im Vorfeld des Gipfels auch von der Juso-Vorsitzenden, Jessica Rosenthal. „Menschlichkeit und humanitäre Verpflichtung spielen in der aktuellen Debatte keine Rolle. Stattdessen spricht die Bundesregierung über Haftlager an den EU-Außengrenzen und schnellere Abschiebungen, das ist einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung unwürdig“, sagte die Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Sie bezog sich auf Vorschläge für eine Erstprüfung der Asyl-Chancen an den EU-Außengrenzen, wie sie Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vertreten hatte. „Wir verurteilen insgesamt diese Abschottungsdebatte, die an Schäbigkeit kaum mehr zu überbieten ist.“ Ein Abschottungskurs in Europa sei „weder mit dem europäischen Gedanken noch den Werten der SPD zu vereinbaren“, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Rosenthal.

In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 101.981 Asylerstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entgegengenommen – ein Plus von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Hauptherkunftsländer waren Syrien, Afghanistan und die Türkei. Die sogenannte Gesamtschutzquote lag in diesem Zeitraum bei rund 52 Prozent: Mehr als die Hälfte aller Antragsteller erhielt also entweder einen Schutzstatus – zum Beispiel als Flüchtling nach der Genfer Konvention – oder muss wegen eines Abschiebungsverbots nicht ausreisen.

Im Folgenden Kernforderungen von Bund und Ländern.

Kosten der Unterkunft

Für die Kommunen ist die Forderung, dass der Bund wieder 100 Prozent der Kosten für Unterkunft und Heizung für Flüchtlinge übernehmen soll – wie von 2016 bis 2021 – die wichtigste. Die Länderfinanzminister haben ausgerechnet, dass die Beteiligung des Bundes an diesem Posten im laufenden Jahr nur noch bei etwa 68 Prozent liegen dürfte. „Die Lücke entspricht knapp einer Milliarde Euro“, kritisieren sie in einem gemeinsamen Papier.

Der Bund hält dagegen, er habe seine Unterstützung bei den Flüchtlingskosten massiv ausgeweitet. Das geschehe aber „auf anderen Wegen“ als zu Zeiten der ersten großen Flüchtlingskrise 2015/16. Der Verweis auf Milliardendefizite des Bundes bei gleichzeitigen Überschüssen in den Ländern wird von den Finanzministern als „Schein-Debatte“ und nicht belastbare „Schieflage-Argumentation“ abgetan.

Pauschalen:

Die Länder verlangen eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem wollen die Ministerpräsidenten eine verlässliche Lösung für Integrationskosten sowie die Kosten für unbegleitete Flüchtlinge. „Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst (atmendes System)“, heißt es im Länderpapier. Diese Verlässlichkeit ist Ländern und Kommunen wichtiger als das Feilschen um eine etwas höhere Summe. Eine Einmalzahlung sehen sie nicht als Lösung und wollen nicht ständig Bittsteller sein.

Der Bund hat 1,5 Milliarden Euro für Geflüchtete aus der Ukraine zugesagt sowie 1,25 Milliarden Euro für andere Migranten, aber nur für letztere eine Weiterzahlung ab 2024. Dies werde steigenden Flüchtlingszahlen nicht gerecht, hießt es bei den Ländern. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres hätten die Asyl-Erstanträge um fast 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zugenommen. Scholz hob hervor, für Ukrainer trage der Bund schon 90 Prozent der Kosten.

Asylverfahren

Neben der Flüchtlingsfinanzierung stehen auch grundsätzliche Fragen zur Steuerung der Migration, zur besseren Kooperation mit den Herkunftsländern, zum wirksameren Schutz der Binnengrenzen sowie zu konsequenten Rückführungen zur Debatte. Die Länder sollten aus Sicht des Bundes mehr Personal abstellen, um Asylklagen an den Verwaltungsgerichten zu beschleunigen sowie mehr Abschiebe-Haftplätze bereitstellen. Ein Sachverständigenrat hat empfohlen, Flüchtlingen, die infolge des Klimawandels ihre Heimat verlieren, dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu gewähren.

Ungewiss ist allerdings, welche Rolle solche Grundsatzfragen bei dem Bund-Länder-Treffen spielen werden. Die Ministerpräsidenten wollen vor allem darauf dringen, konkret zu Einigungen auf das jetzt Machbare zu kommen, da vieles nur mittel- bis langfristig auf anderer Ebene zu lösen ist.

Bei einem Besuch in Straßburg sagte Scholz, er hoffe, dass die Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik noch in dieser Legislaturperiode des Europäischen Parlaments gelinge – also bis Frühjahr 2024. Dazu gehöre ein wirksamer Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen genauso wie ein gemeinsamer Umgang mit Flüchtlingen.

Ausländerbehörden

Vereinfachung, Beschleunigung und Digitalisierung der Verfahren in den Ausländerbehörden stehen ebenfalls auf der Agenda. Auch hier wollen die Ministerpräsidenten aber darauf achten, dass die Bund-Länder-Konferenz nicht mit Details überfrachtet wird, die außerhalb der Spitzenrunde geregelt werden könnten. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Gerrit sagt:

    Einmal mehr: Es müssen die Fluchtursachen (Ausbeutung, Kinderarbeit usw. usw.) bekämpft werden. Lieferkettengesetze dürfen nicht nur auf dem Papier existieren, sondern müssen auch in voller Konsequenz angewandt werden.
    Erst dann werden sich Flüchtlingsströme ändern. Das braucht aber Zeit. Auch die Fehler wurden langfristig gemacht.
    Die EU und ihre Mitglieder (leider jetzt auch Deutschland) sind wie ein Doktor, der ständig Schmerztabletten verschreibt, aber die Ursache nicht diagnostiziert und vor allem behandelt.
    Sieht man den aktuellen Standpunkt einer Frau Faeser (u.a.) im Zusammenhang mit dem Koalitionspapier der Ampel, wird einmal mehr deutlich, daß sich einige (leider die Mehrzahl) Verantwortliche aus der Politik „einen Dreck scheren“ um die Nöte der Flüchtlinge dieser Welt. Frau Faeser sieht nur den Wahlkampf in Hessen und „fischen am rechten Rand“.
    Die AnKER-Zentren haben schon nicht funktioniert. Das wird mit Zentren an den Außengrenzen nicht besser. Es gibt nur wieder rechtsfreie Räume, wie z.B. Moria. Das sollte es ja lt. Frau Y. Johansson nicht mehr geben … ??? … dann heißt es halt Kara Tepe … oder wie auch immer.
    Die Eu ist unfähig eine Lösung zu finden. Deswegen -lt. Artikel- „Lösungskompetenz und Politik“ scheint in der Flüchtlingsfrage national und international ein WIDERSPRUCH in sich zu sein. Traurig!!!