Einsperren und abschieben
Wie London gegen geflüchtete Menschen vorgehen will
Internierung auf Lastkähnen und rasche Abschiebung nach Ruanda - um Geflüchtete abzuschrecken, verschärft die konservative britische Regierung die Gesetze. Gegner des Vorhabens sind empört. Bricht London internationales Recht?
Von Benedikt von Imhoff und David Renke Mittwoch, 26.04.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.04.2023, 9:59 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Schon die Wortwahl finden Kritiker zu drastisch: „Illegal Migration Bill“ – Gesetzentwurf zur illegalen Migration – heißt das Projekt, mit dem die britische Regierung irreguläre Einreisen verhindern will. Wer dennoch ins Land kommt, soll umgehend zur persona non grata erklärt werden, einen Anspruch auf Asyl soll es nicht geben. Dabei ist erst einmal unerheblich, ob es sich um Geflüchtete etwa aus Syrien handelt oder um Menschen aus einem als sicher geltenden Herkunftsland auf der Suche nach Arbeit.
Geht es nach Premierminister Rishi Sunak und Innenministerin Suella Braverman sollen alle Menschen, die auf kleinen Booten über den Ärmelkanal das britische Ufer erreichen, umgehend interniert und bald darauf nach Ruanda abgeschoben werden. Legale Wege ins Königreich gibt es für Migranten so gut wie nicht. Am Mittwoch stimmte das Unterhaus mit einer Mehrheit von 59 Abgeordneten in dritter Lesung für den Gesetzentwurf. Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss es noch die Zustimmung des Oberhauses bekommen.
Die Stimmung ist aufgeheizt. Vor allem dem lautstarken rechten Flügel der regierenden Tory-Partei gehen die geplanten Maßnahmen noch nicht weit genug. In ihrem Visier: die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Luxemburg. Die hatten einen ersten Abschiebeflug nach Ruanda in letzter Minute gestoppt. Notfalls solle Großbritannien doch einfach die Menschenrechtskonvention verlassen, fordern die Tory-Hardliner. Um sie zu besänftigen, baute die Regierung weitere Bestimmungen ein, die einen gerichtlichen Abschiebestopp erschweren sollen.
UN: Verletzung internationaler Verpflichtungen
Die Kritiker des Gesetzentwurfs hingegen, darunter die Vereinten Nationen, verurteilen den Schritt als Verletzung internationaler Verpflichtungen. Unter der UN-Flüchtlingskonvention, die auch für Großbritannien gilt, hat jeder Verfolgte das Recht, in einem sicheren Land seiner Wahl Asyl zu beantragen – unabhängig davon, wie er dort hingelangt ist. Bis zu 15 000 alleinreisende Minderjährige könnten in den kommenden drei Jahren von den britischen Behörden unter dem neuen Gesetz festgesetzt werden, schätzen die Organisationen Refugee Council und Barnardo’s.
Premier Sunak ficht das nicht an. Seine Regierung behauptet, nur mit scharfen Gesetzen ließe sich die irreguläre Zuwanderung – von Innenministerin Braverman einst als „Invasion“ bezeichnet – nicht aufhalten. Mittlerweile ist sogar ein Lastkahn vor der südenglischen Küste angemietet, der Hunderte Menschen beherbergen soll.
Seit Brexit kein Rücknahmeabkommen mit der EU
Denn Großbritannien hat ein Platzproblem. Bisher kommen Geflüchtete vor allem in Hotels unter, das kostet nach Regierungsangaben mehr als sechs Millionen Pfund pro Tag. Auffanglager gibt es nicht – bis zum EU-Austritt hatte das Land mit unerwünschter Einwanderung wenig zu tun. Entsprechend sind keine Kapazitäten vorhanden. Doch seit dem Brexit gibt es kein Rücknahmeabkommen mehr mit der EU.
Gut 45.000 waren es, die vergangenes Jahr über den Ärmelkanal nach Großbritannien kamen und damit deutlich weniger als etwa Deutschland aufnimmt. Doch für die Konservativen sind die vergleichsweise hohen Zahlen ein heikles Thema: Sie hatten versprochen, dass Großbritannien mit dem Brexit die Kontrolle über die eigenen Grenzen wiedererlangen werde. Seither gelten für EU-Bürger strenge Einwanderungsregeln. Doch nun überqueren Tausende Nicht-EU-Bürger die wässrige Grenze. Sie fühlen sich von laxen Arbeitsvorschriften angelockt, die Sprache ist den meisten bekannt, viele haben schon Freunde und Verwandte im Land.
Einreisende sollen postwendend nach Ruanda
Wer fortan irregulär einreist, soll nach Ruanda geschickt werden – und sich dort niederlassen, wenn einem Asylantrag in dem afrikanischen Land stattgegeben wird. In Ruanda sind alle Vorbereitungen getroffen. Bereits im Sommer 2022 sagte Regierungssprecherin Yolande Makolo, das Land biete rechtliche Unterstützung und Übersetzungsdienste sowie angemessene Unterkünfte.
In der ruandischen Gesellschaft wird über das Thema kaum gesprochen – aus Angst vor Repressalien der autoritären Regierung. Präsident Paul Kagame führt das Land seit mehr als 20 Jahren. Eine Opposition duldet er nur begrenzt. Einer der wenigen, die offen Kritik an dem Projekt üben, ist Oppositionspolitiker Frank Habineza: „Wir sind gegen diese Art von Abkommen“, sagte er. „Wenn Menschen zu euch kommen, kümmert euch um sie. Wir haben alle die UN-Konvention unterschrieben.“
Zweifel an der Verlässlichkeit Ruandas
Schon jetzt ist Ruanda eines der Länder mit der höchsten Bevölkerungsdichte. Das scheint auch Machthaber Kagame klar zu sein. Anfang des Jahres drohte er Geflüchteten aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo: „Wir können nicht weiterhin Flüchtlinge aufnehmen, für die wir später in irgendeiner Weise zur Verantwortung gezogen werden“, sagte Kagame. International weckte das Zweifel an der Verlässlichkeit Ruandas für ein Abschiebe-Projekt.
Ruanda sei sicher, heißt es hingegen von der britischen Regierung. Sie will das Asylgesetz rasch vom Tisch haben. Denn bis zur Wahl 2024 will sie weitere umstrittene Vorhaben durchbringen. So will Sunak einigen Beschäftigten in systemrelevanten Branchen wie dem Gesundheitsdienst oder der Feuerwehr das Streikrecht absprechen. In einem anderen Gesetzentwurf soll das Demonstrationsrecht verschärft werden, um Großproteste etwa von Klimaschützern zu verhindern. Für einige Kritiker sind solche Maßnahmen nur die Spitze des Eisbergs. Die Tories, so sagen sie, würden die britische Demokratie aushöhlen. (dpa/mig)
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