Seeth in Schleswig-Holstein
Mehr Geflüchtete als Einwohner – wie ein Dorf damit umgeht
Auf rund 700 Einwohner kommen im Dorf Seeth knapp 800 Geflüchtete und Asylsuchende. Sie wohnen in einer Landesunterkunft am Dorfrand. Größere Konflikte zwischen Einheimischen und den Bewohnern der Einrichtung gibt es nicht. Woran liegt das?
Von Birgitta von Gyldenfeldt Montag, 27.03.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.03.2023, 12:40 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Solche Zahlen könnten für Unruhe sorgen: Auf jeden Einwohner des knapp 700 Einwohner zählenden schleswig-holsteinischen Dorfes Seeth kommt mehr als ein Geflüchteter. Rund 790 Menschen sind in der dortigen Landesunterkunft für Flüchtlinge (Luk) untergebracht, Stand 21. März. Hinzu kommen 17 der Kommune zugewiesene Geflüchtete. Die meisten Menschen in der Luk (719) kommen aus der Ukraine. Die übrigen Bewohner sind Asylbewerber. Ukrainer müssen, anders als Schutzsuchende aus anderen Ländern, keinen Asylantrag stellen.
Der ehrenamtliche Bürgermeister von Seeth, Ernst-Wilhelm Schulz, lädt zum Gespräch in sein Wohnzimmer. Er sei unheimlich stolz auf seine Bürgerinnen und Bürger, sagt er bei Kaffee und Kuchen. Stolz auf die Akzeptanz der Situation, auch wenn das Verhältnis zwischen Geflüchteten und Einwohnern zahlenmäßig nicht passe. Auf der Straße angesprochen auf die Geflüchteten im Dorf erzählt etwa eine Hundebesitzerin, man bemerke sie kaum. Manchmal seien einige bei Veranstaltungen wie dem Laternenumzug dabei.
Als die Luk vor rund einem Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wiedereröffnet wurde, gab es eine unheimlich große Hilfsbereitschaft, wie Schulz schildert. Manchmal werden die Seether auch zu Veranstaltungen in die Landesunterkunft eingeladen. „Ich gehe auch jedes mal hin. Das ist selbstverständlich. Das sind Bürger, wie alle anderen auch.“
Nicht überall funktioniert das Miteinander
Seeth ist ein Dorf im ländlichen Nordfriesland. Es liegt ungefähr sechs Kilometer von der Kleinstadt Friedrichstadt entfernt, die Busfahrt nach Husum dauert rund 40 Minuten. Es gibt einen Bäcker, eine Feuerwehr, einen Sportverein, einen Schützenverein, Ringreiter, eine Theatergruppe. Keinen Arzt, keine Schule, keinen Kindergarten. Das nächste Lebensmittelgeschäft ist im Dorf Stapel, das von der Landesunterkunft etwa drei Kilometer entfernt liegt. An diesem regnerischen Tag sind nur wenige Leute auf den Straßen unterwegs.
Nicht überall funktioniert das Neben- und Miteinander von Einheimischen und Geflüchteten so geräuschlos. So sorgen in Mecklenburg-Vorpommern Pläne für den Bau einer Unterkunft in dem 500-Einwohner-Ort Upahl seit Wochen für Proteste. Hier war zunächst eine Containerunterkunft mit 400 Plätzen geplant. Zuletzt hatte der Kreistag beschlossen, eine Begrenzung auf 200 zu fordern.
Mehr als eine Million Ukrainer in Deutschland
Die Zahl der Geflüchteten und Asylsuchenden, die allein nach Schleswig-Holstein kommen, hat nach Angaben des Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge durch den Krieg in der Ukraine vervielfacht. 2021 kamen 4.209 Menschen, 2022 waren es 37.434. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind bundesweit gut 1,055 Millionen Menschen (Stichtag 21. März 2023) allein im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg nach Deutschland gekommen.
Im nördlichsten Bundesland wurden nach Kriegsbeginn Landesunterkünfte reaktiviert. Eine davon liegt in der ehemaligen Stapelholmer Kaserne in Seeth. „Wir waren damals unter erheblichen Druck, weil sehr viele Menschen aus der Ukraine nach Schleswig-Holstein gekommen sind“, sagte der Sprecher des Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge, Wolfgang Kossert. „Wir brauchten zusätzliche Unterkünfte. Die leerstehende Kaserne, die schon einmal Landesunterkunft war, bot sich dafür an.“ Zunächst wurden hier nur Ukrainer untergebracht, seit einiger Zeit kommen auch wieder Asylbewerber. Bisher soll die Luk Ende 2023 wieder geschlossen werden – es deutet sich aber an, dass der Vertrag bis 2024 verlängert wird.
Knapper Wohnraum überall
Ursprünglich sollten die Menschen, die in den Landesunterkünften ankamen, nach etwa zehn Tagen einer Kommune zugewiesen werden. Doch die Städte und Gemeinden haben nicht genügend Wohnraum für die vielen Menschen – und die Landesregierung hat im November die Verweildauer in den Landesunterkünften auf mehrere Wochen hochgesetzt – trotz Protesten von Menschenrechtlern, die dezentrale Unterbringung fordern.
Überall wird verzweifelt nach Wohnraum gesucht, Kommunen und Kreise wissen nicht, wie sie die Menschen unterbringen sollen. Containerdörfer entstehen aus der Not heraus, was aber zu Problemen wie in Upahl führen kann. Dies wird neben der finanziellen Frage wohl eines der drängendsten Themen auf dem geplanten Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern am 10. Mai sein.
Sorge vor Stimmungsumschwung
Auch in Seeth könnte die Stimmung irgendwann kippen, meint der Bürgermeister. Das hänge auch von der Klientel ab – und dem Verhalten jedes Einzelnen. Er habe ein offenes Ohr für alle Meinungen seiner Bürgerinnen und Bürgern – für positives und auch negatives. Und es gebe durchaus auch unterschiedliche Meinungen. „Aber ich appelliere immer an das Verständnis.“
Man sei im regelmäßigen Austausch mit den umliegenden Gemeinden, um über die Belastungen zu sprechen, sagt Kossert. „Wir versuchen die Probleme zu lösen.“ Die Umgebung sei sehr kooperativ. Zudem sei die Unterkunft im Vergleich zu den Gemeinden drumherum zwar sehr groß, sagt Kossert. Aber aufgrund der Erfahrung in anderen Landesunterkünften wurden Strukturen aufgebaut, die die Menschen an die Unterkunft binden. „Sie sind hier den Tag über beschäftigt.“
WLAN gegen das „Ausschwärmen“
Es gibt eine Schule auf dem Gelände, eine Art Kindergarten, eine ärztliche Versorgung, ein Frauencafé, Freizeitangebote für Erwachsene, Jugendliche und Kinder, wie der Leiter der Einrichtung, Sönke Jensen, aufzählt. Man kann Räder ausleihen, Tischkicker oder Tischtennis spielen. Es werden Bastelkurse für Kinder oder Nähkurse angeboten. Zudem gebe es fast überall WLAN.
„Es ist ganz anders als in einer Unterkunft, in der nichts angeboten wird“, sagt Kossert. „In der die Menschen nur untergebracht werden und dann gegebenenfalls ausschwärmen in die Umgebung.“ Und grundsätzlich habe er das Gefühl, „dass wir hier in Schleswig-Holstein das ganze Thema Zuwanderungsmanagement ganz gut im Griff haben und damit auch zu einem guten Miteinander in Schleswig-Holstein und der Gesellschaft beitragen“. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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