Humanitäre Aufnahme
Immer mehr Abgeordnete fordern unbürokratische Einreise von Erdbebenopfern
Forderungen nach einer unbürokratischen Einreise von Erdbebenopfern aus der Türkei zu ihren Verwandten nach Deutschland mehren sich. Das Auswärtige Amt verweist auf die geltenden Visabestimmungen, der Zoll warnt Flugreisende, die unangemeldet Spendengelder in die Türkei fliegen.
Donnerstag, 09.02.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 10.02.2023, 7:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Immer mehr Abgeordnete schließen sich der Forderung an, den Erdbebenopfern in der Türkei die unbürokratische Einreise zu ihren Verwandten nach Deutschland zu ermöglichen. Muhterem Aras, Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg, schrieb auf Instagram: „Viele Menschen in Deutschland und Baden-Württemberg sind derzeit verzweifelt und suchen nach Möglichkeiten, ihren Angehörigen zu helfen und sie bei sich aufzunehmen. In den vergangenen Tagen und Stunden haben sich deshalb zahlreiche betroffene Familien auch bei mir gemeldet“. Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium sollten bitte prüfen, inwieweit es Menschen in Deutschland unbürokratisch ermöglicht werden kann, notleidende Angehörige für eine begrenzte Zeit auf eigene Kosten bei sich aufzunehmen.
Auch der der Vizechef der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Macit Karaahmetoğlu oder der Frankfurter Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel (beide SPD) unterstützen den Vorschlag. „Hier in Deutschland gibt es viele Angehörige und Verwandte, die ihren Familienmitgliedern helfen möchten und auch bereit wären, den Aufenthalt in Deutschland zu finanzieren“, erklärt Turgut. „Aus humanitären Gründen sollte diesem Betroffenenkreis unbürokratisch Visa ausgestellt werden, wenn die Verpflichtungserklärung vorliegt.“ Bereits am Mittwoch hatte sich der Bayerische Landtagsabgeordnete Cemal Bozoğlu mit einer gleichlautenden Forderung per Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock gewandt.
Bundestagsabgeordnete Clara Bünger (Linke) schloss sich der Forderung ebenfalls an. Das sei das Mindeste, was Deutschland angesichts dieser Katastrophe historischen Ausmaßes zur Unterstützung leisten könne. Und die Hilfe müsse schnell kommen, die Menschen stünden auf der Straße. „Ein reguläres Visumverfahren würde Wochen oder Monate dauern, vielfach könnten auch keine Ausweispapiere vorliegen, weil diese unter Trümmern liegen“, so die Bundestagsabgeordnete. Sie schlägt vor, die Visumserteilung bei Ankunft vorzunehmen. „Humanität statt Ordnung muss jetzt die Devise lauten“, so Bünger.
Auswärtiges Amt verweist auf übliche Visum-Regeln
Das Auswärtige Amt verweist derweil auf das übliche Visum-Prozedere. Diese gelten auch nach dem Erdbeben. „Unsere Visastellen werden im Rahmen des Visumverfahrens jedoch die schwierige humanitäre Situation vor Ort berücksichtigen“, heißt es auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes, ohne nähere Erläuterung.
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Karaahmetoğlu pocht auf eine unbürokratische Lösung für einen vorübergehenden Aufenthalt. Visa müssten einfach erteilt werden. Voraussetzung müsse sein, dass sich die Familien in Deutschland verpflichten, für den Lebensunterhalt der Angehörigen aufzukommen.
Zoll warnt Flugreisende: Spendengelder für Erdbebenopfer angeben
Auf die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen weist auch das Hauptzollamt in Frankfurt a.M. hin. Vermehrt würden Privatpersonen Spendengelder per Luftverkehr in die betroffenen Gebiete bringen. Hierbei würden Reisende für mitgeführte Spendengelder keine erforderliche Barmittelanmeldung bei der Ausreise abgeben. Die Anmeldepflicht für Barmittel ab einem Betrag von 10.000 Euro gelte aber auch für Spendengelder. „Reisende müssen bei der Ausreise die Anmeldepflicht bei einer Zollstelle vor Betreten des Luftsicherheitsbereichs erfüllt haben“, so das Zollamt.
„Es empfiehlt sich, bei der Anmeldung Unterlagen bereitzuhalten, aus denen die Herkunft, der Verwendungszweck sowie die wirtschaftlich berechtigte Person hervorgehen. Im Falle einer Nichtanmeldung von Barmitteln drohen Bußgelder bis zur Höhe von einer Million Euro“, heißt es weiter. Der Zoll fertige Hilfslieferungen für die vom Erdbeben in der Türkei und in Syrien betroffenen Regionen mit äußerster Priorität ab.
Türkische Gemeinde wirbt um Partnerschaften
Die Türkische Gemeinde in Deutschland spricht sich neben Soforthilfen für langfristige Unterstützung aus. „Die Soforthilfen in Form von Sach- und Geldspenden sind wichtig, aber die Menschen haben teilweise ihre Existenz verloren, ihr Hab und Gut liegt unter Trümmern“, sagte Pressesprecher Kaan Bağcı. Die Türkische Gemeinde in Deutschland regt deshalb eine Wiederbelebung des Patenschaftsprogramms von 1999 an. Dieses war den Angaben zufolge nach dem Erdbeben im August desselben Jahres im Nordwesten der Türkei ins Leben gerufen worden: „Damals haben Menschen aus Deutschland eine Patenschaft mit einer Person aus der Türkei aufgenommen und ihr beispielsweise monatlich Geld geschickt.“
Bağcı verwies überdies auf bestehende Verbindungen zwischen deutschen und türkischen Städten: „Diese Partnerschaften sollten genutzt werden.“ Das Land brauche „unbedingt langfristige Aufbauhilfe“. Die Türkische Gemeinde in Deutschland erreichten derzeit viele Anfragen, etwa zum Verbleib von Verwandten in der betroffenen Erdbebenregion und zu Hilfsmöglichkeiten. „Wir haben auch schon gehört, dass viele Flugzeuge ausgebucht sind, weil viele Menschen jetzt spontan in die Türkei möchten, um zu helfen und ihre Verwandten und Freunde in Sicherheit zu bringen.“ Davon werde allerdings abgeraten, hieß es mit Blick auf die Lage vor Ort.
Bei dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien sind tausende Menschen ums Leben gekommen. Am Donnerstag war die Zahl der Todesopfer auf mehr als 17 000 gestiegen. Experten rechnen mit vielen weiteren Toten. (mig) Leitartikel Politik
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