Holocaust-Überlebende

Jeder Verfolgte verdient Erinnerung

Dem Bundestag ist es gelungen, an die Menschen zu erinnern, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden, ohne andere Opfer der Nationalsozialisten in den Hintergrund zu rücken. Auch die Diskriminierung nach 1945 kam zur Sprache.

Sonntag, 29.01.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.01.2023, 13:57 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Bundestag hat in seiner Holocaust-Gedenkstunde in diesem Jahr die Menschen in den Mittelpunkt gerückt, die von den Nationalsozialisten wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) betonte am Freitag im Parlament zugleich, für eine lebendige Erinnerungskultur sei es wichtig, „dass wir die Geschichten aller Verfolgten erzählen. Ihr Unrecht sichtbar machen. Ihr Leid anerkennen.“

Es könne keinen Schlussstrich geben, betonte Bas. Sich mit der deutschen Vergangenheit und der Shoah auseinanderzusetzen heiße auch, Antisemitismus in jeder Form, Rassismus und der Diskriminierung von Minderheiten entschieden entgegenzutreten. Sie erinnerte an die Auseinandersetzung um antisemitische Tendenzen auf der documenta 15 im vergangenen Jahr und den gewaltsamen Tod eines Transmannes am Christopher Street Day.

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Bas sagte, in sozialen Netzwerken werde in unerträglicher Weise gegen queere Menschen gehetzt. „Wir alle sind gefordert, gegen Diskriminierung aufzustehen. Eine freie, offene Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit“, sagte die Bundestagspräsidentin.

Alle Opfer gleichermaßen einschließen

Auch die Holocaust-Überlebende Rozette Kats forderte in ihrer Rede dazu auf, alle Opfer der Nazis gleichermaßen in das Gedenken einzuschließen. „Jeder Mensch, der damals verfolgt wurde, verdient achtungsvolle Erinnerung“, sagte die 80-Jährige. „Jeder Mensch, der heute verfolgt wird, hat Anspruch auf unsere Anerkennung und unseren Schutz“, ergänzte sie mit Blick auf heutige Ausgrenzung und Gewalt gegen Homosexuelle.

Bewegend schilderte Kats ihr eigenes Schicksal. Als sie acht Monate alt war, versteckten ihre Eltern sie 1943 bei einem Ehepaar in Amsterdam, bevor sie selbst deportiert und in Auschwitz ermordet wurden. Am Abend vor ihrem sechsten Geburtstag habe ihr Adoptivvater sie über ihre echten Eltern aufgeklärt. Kats setzt sich heute dafür ein, dass insbesondere auch sexuelle Minderheiten Anerkennung für das erlittene Leid erhalten und heute frei leben können. „Ich habe nicht vergessen, wie schlimm es ist, sich verleugnen und verstecken zu müssen“, sagte sie.

Erzwungenes Doppelleben

Der Aktivist Klaus Schirdewahn, der als Vertreter der queeren Community zu Wort kam, schilderte sein erzwungenes und leidvolles Doppelleben als homosexueller Mann in der Bundesrepublik, aus dem er sich erst spät in seinem Leben lösen und zu seiner Identität stehen konnte.

Schirdewahn sagte, die Gedenkstunde sei für die gesamte queere Community ein Zeichen der Anerkennung und ein Signal an die Gesellschaft. Sie drücke die Trauer über das Leiden aus, das queeren Menschen von den Nazis angetan worden sei, mache aber auch deutlich, dass das Unrecht 1945 nicht endete und gebe den Betroffenen etwas von ihrer Würde zurück. Schirdewahn war 1964 als 17-Jähriger nach dem Strafrechtsparagrafen 175 verurteilt und erst 2017 vollständig rehabilitiert worden.

Tag der Befreiung des KZ-Auschwitz

Der Holocaust-Gedenktag wird seit 1996 am 27. Januar begangen, dem Tag der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee 1945. Im ganzen Land wird mit Veranstaltungen der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, von Sinti und Roma, Widerstandskämpfern und religiösen Gruppen sowie behinderter Menschen durch die Nationalsozialisten gedacht. An der Gedenkstunde im Bundestag nehmen die Spitzenvertreter der Verfassungsorgane und zahlreiche geladene Gäste teil.

Begleitet wurden die Reden durch eine Lesung des Schauspielers Jannik Schümann über Karl Gorath, der als schwuler Mann die nationalsozialistische Gewaltherrschaft überlebte und in der Bundesrepublik erneut verurteilt und inhaftiert wurde. Er starb 2003. Die Schauspielerin Maren Kroymann trug die Biografie der lesbischen Jüdin Mary Pünjer vor, die im Konzentrationslager Ravensbrück interniert und 1942 ermordet wurde. (epd/mig) Aktuell Politik

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