Prof. Amir-Moazami im Gespräch
Assimilation und Integration sind Fallen
Worum geht es in Integrations- und Assimilationsdebatten eigentlich? In ihrem neuen Buch „Interrogating Muslims“ geht Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami dem Integrationsparadigma nach. Im MiGAZIN-Gespräch erklärt sie, was in der Debatte falsch läuft, warum Integration ausgrenzt und kritisch hinterfragt werden muss.
Von Atahan Demirel Dienstag, 17.01.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.03.2023, 13:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Atahan Demirel: Frau Amir-Moazami, worum geht es in ihrem neuen Buch „Interrogating Muslims“?
Schirin Amir-Moazami: Grob gesagt, geht es um die Diskursanreizungen zum Islam und zu Muslim:innen in Europa. Es geht also darum, dass Muslim:innen als zur Minderheit gemachte Gruppe immer und immer wieder nach ihren Praktiken und ihrer Kompatibilität mit liberalen Normen befragt werden. In meinem Buch zeige ich, dass diese einseitige Fragerichtung Muslim:innen immer wieder aufs Neue als problematische Minderheit markiert, der Fragerahmen selbst aber unberührt bleibt.
„… weil mich besonders die subtileren Machtmechanismen interessieren und weil Integration gemeinhin als lobenswert gilt und selten kritisch hinterfragt wird.“
Dabei bin ich notwendigerweise auf das Integrationsparadigma gestoßen. Damit habe ich mich beschäftigt, weil mich besonders die subtileren Machtmechanismen interessieren und weil Integration gemeinhin als lobenswert gilt und selten kritisch hinterfragt wird. Es geht mir also um die Ausschlüsse, die vermeintlicher Einschluss hervorbringt, weil sich Integrationsappelle immer einseitig an Minderheiten richten, die als (noch) nicht dazugehörig gelten.
In der akademischen Forschung ist Integration gemeinhin entweder positiv konnotiert oder wird schlicht verworfen und mit Assimilation gleichgesetzt. Warum Integration als politisches Instrument der Regulierung von Pluralität als unabdingbar erachtet wird, wo der Integrationsdiskurs herkommt und vor allem wie er funktioniert, um Minderheiten hierarchisch zu sortieren, ist hingegen nur selten auf dem Prüfstand.
Sie sprechen vom Integrationsparadigma. Was ist das?
„In Deutschland ist auffällig, dass die Einwanderungspolitik lange Zeit ziemlich konzeptlos war.“
Schirin Amir-Moazami: Beim Integrationsparadigma geht es prinzipiell immer um Einwanderung und auch um die Regulierung und Regierung von kultureller, religiöser und ethnischer Pluralität. In meiner Forschung untersuche ich die damit verbundenen Logiken und die Funktionen des Integrationsparadigmas. Mir war dabei wichtig zu zeigen, dass die verbundenen Politiken eine längere Geschichte haben, die eng mit der Formierung, aber auch mit der Krise des Nationalstaates zusammenhängen. Zugleich ist zum Beispiel in Deutschland auffällig, dass die Einwanderungspolitik hier lange Zeit ziemlich konzeptlos war. Der Ruf nach Integration vor allem gegenüber Muslim:innen wurde nach dem 11. September 2001 laut. Interessanterweise wurden Integrationsprogramme zu einem Zeitpunkt verstärkt, zu dem Muslim:innen längst integraler Bestandteil Deutschlands waren.
Warum bedarf es überhaupt einer Integrationspolitik? Können oder wollen beispielsweise Muslim:innen nicht an der Gesellschaft teilhaben?
Schirin Amir-Moazami: Integration kann sehr vieles meinen. Dazu gehört sicher auch Teilhabe. „Integratio“, „integrare“ kommt aus dem Lateinischen und meint wiederherstellen, reparieren, erneuern. Integration scheint also für eine Gesellschaft als Maßnahme zwingend zu werden, die als fragmentiert und im Zerfall begriffen erachtet wird – und zwar aufgrund ihrer kulturellen und religiösen Vielfalt.
„Tatsächlich gelten „Muslim:innen“ gegenwärtig als besonderes Problem für ein intaktes soziales Gewebe, vor allem wenn sie als solche sichtbar sind und Teilhabe als Religionsgemeinschaft einfordern.“
Tatsächlich gelten „Muslim:innen“ gegenwärtig als besonderes Problem für ein intaktes soziales Gewebe, vor allem wenn sie als solche sichtbar sind und Teilhabe als Religionsgemeinschaft einfordern. Bei genauem Hinsehen hat das aber sehr viel weniger mit Muslim:innen oder dem Islam hierzulande zu tun, als mit einem Mechanismus, der für Nationalstaaten konstituierend ist. In meiner Forschung habe ich die Anfänge dieses Mechanismus analysiert und bin recht schnell auf die sogenannte „Judenfrage“ im 19. Jahrhundert gestoßen. Selbst wenn das keineswegs gleichzusetzen ist, war auch Assimilation einerseits attraktiv, weil es mit einladenden Gesten der gesellschaftlichen Teilhabe verknüpft war. Andererseits war es eine Art Falle, weil Jüd:innen trotz aller Bemühungen, sich anzupassen, stets weiterhin als Jüd:innen adressiert wurden.
Sowohl Assimilation als auch Integration geht von der defizitären Minderheit aus, die in der Mehrheit aufgehen soll, zugleich aber weiterhin als Minderheit markiert bleibt. Bei diesen Ähnlichkeiten bekommt man schon Gänsehaut.
Welche konkreten Probleme sehen Sie denn bei der Politik dabei?
„In der Integrationsdebatte besteht also die Annahme, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen sich anpassen sollen, an was genau bleibt aber vage und immerzu wandelbar.“
Shirin Amir-Moazami: Die größte Schwierigkeit liegt eigentlich darin, dass Muslim:innen und der Islam partout zum Problem gemacht werden. Grundsätzlich werden Pluralität und Differenz nicht als Möglichkeit der eigenen Horizonterweiterung betrachtet, sondern eher als störende Herausforderung. Das hat dann nichts mit Muslim:innen und dem Islam zu tun, sondern mit dem Wunschkonzert einer homogenen Gesellschaft.
Es gibt Anstöße, Diversität beispielsweise im Rahmen von Dialogveranstaltungen zu fördern, doch häufig wird dabei vorgegeben, wie der Dialog zu funktionieren hat. In der Integrationsdebatte besteht also die Annahme, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen sich anpassen sollen, an was genau bleibt aber vage und immerzu wandelbar. Da läuft also in der Anlage etwas grundsätzlich falsch. Interview Leitartikel Panorama
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