„Schicksal der Verletzlichsten“

Das Nildelta und die Bedrohung durch steigende Meeresspiegel

Ägypten richtet die Weltklimakonferenz aus und ist zugleich besonders durch die Erderwärmung bedroht. Die fruchtbaren Ackerböden des Nildeltas, die Millionen Menschen ernähren, müssen gegen das vorrückende Mittelmeer verteidigt werden.

Von Dienstag, 15.11.2022, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.11.2022, 14:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Es sind nur Millimeter, aber mit dramatischen Effekten. An der Nordküste Ägyptens am Mittelmeer steigt der Meeresspiegel zwischen einem und zwei Millimeter im Jahr. Im Nildelta, wo der mächtige Strom mit seinen vielen Kanälen Dattelpalmen, Bananen, Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln mit Wasser versorgt, geschieht das Gegenteil. Dort senkt sich die Erde jährlich um zwei bis drei Millimeter. Was wie eine Rechenaufgabe klingt, ist für die Menschen vor Ort eine existenzielle Bedrohung. Denn das Ergebnis ist, dass ein Land mit mehr als 100 Millionen Einwohnern womöglich 15 Prozent seiner Ackerfläche verliert – sie versalzt.

Etwa 700 Kilometer weiter südöstlich, am Roten Meer, liegt Scharm el Scheich, wo in diesem Jahr die Weltklimakonferenz ausgerichtet wird. Der Küstenort, auf Arabisch auch Stadt des Friedens genannt, liegt am südlichen Zipfel der Sinai-Halbinsel vor einer bergigen Wüstenlandschaft. In klimatisierten Hallen beraten auch am Montag Delegierte aus mehr als 190 Ländern unter dem Motto „Gemeinsam für die Umsetzung“, wie weltweit die CO2-Emissionen konkret reduziert werden können. Ziel ist es, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, aktuell sind es schon etwa 1,2 Grad Celsius.

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Der Anstieg der Meeresspiegel ist bereits jetzt unumkehrbar. Laut dem Weltklimarat, dem führenden Wissenschaftsgremium in diesen Fragen, wird es immer mehr dramatische Überschwemmungen geben. Deshalb muss in Küstenregionen nun getan werden, was im Jargon der Klimakonferenzen als „Anpassung“, bezeichnet wird: Die betroffenen Länder müssen Vorbereitungen treffen für höhere Meeresspiegel.

„69 Kilometer Sanddünendeiche sind schon da“

Deutschland fördert einige solcher Projekte in Ägypten: Im Norden widmet sich der frühere Mitarbeiter im ägyptischen Bewässerungsministerium, Mohamed Ahmed, dem Küstenschutz. Als Manager eines international geförderten Projekts erschafft er mithilfe von Reetzäunen natürliche Dünen: Die Zäune halten heranwehenden Sand auf, was zur Dünenbildung führt. „69 Kilometer Sanddünendeiche sind schon da“, sagt er. Sie sollen die Überflutung der fruchtbaren Felder des Nildeltas verhindern, die einige Hundert Meter dahinter liegen.

Ein weiteres Projekt liegt im Örtchen Al-Baida im Nildelta: Mit elektrischen Wasserpumpen konnte die Bewässerung von Feldern durch kleine Kanäle so verbessert werden, dass die dortigen Bauern und ihre Familien ihre Einnahmen deutlich steigern konnten: Das Wasser wird gleichmäßiger verteilt, was Wasserverschwendung ebenso wie Wasserknappheit reduziert.

„Das Schicksal der Verletzlichsten wird das Schicksal der Welt sein.“

Ist es allerdings zu spät für die sogenannten Klimaanpassungen, entstehen Schäden und Verluste, die unter dem Titel „Loss and Damage“ auf der Klimakonferenz verhandelt werden. Es geht um Gerechtigkeit und darum, dass Industrie- und Ölländer, die den Klimawandel verursacht haben, arme Staaten etwa im Fall von klimabedingten Unwetterkatastrophen entschädigen. In Scharm el Scheich gibt es dazu Plakate, die besagen: „Das Schicksal der Verletzlichsten wird das Schicksal der Welt sein.“ In einem ersten Schritt wurde nun ein sogenannter Schutzschirm gegen Klimarisiken gestartet, eine Art Versicherungsmodell für arme Gemeinden, finanziell ausgestattet von reichen Ländern.

Ein drittes von Deutschland gefördertes ägyptisches Projekt zeigt, wie im Fall einer Katastrophe schnell reagiert werden kann: Ägypten unterstützt Bedürftige mit „Takaful + Karama“-Karten, mit denen die Menschen vor allem in Postämtern Geld abheben können. Takaful heißt Solidarität, Karama bedeutet Würde. Gleichzeitig erfasst der Staat in Datenbanken damit, wer besonders bedürftig und verwundbar ist und kann im Notfall schnell reagieren.

Weniger Wasser für immer mehr Menschen

Yusria lebt in einem Armenviertel der Küstenstadt Alexandria und engagiert sich in dem Projekt für ihre Nachbarschaft. „Das Wort Karama bedeutet für mich: allgemeine Stabilität im Leben“, sagt sie. Stabilität wünschen sich auch die Bauern im Nildelta, unter deren Feldern sich allmählich Meersalz ansammelt.

Allerdings dürfte sich die Lage in Ägypten, das häufig als „Geschenk des Nils“ bezeichnet wird, weiter zuspitzen. Aus den derzeit 105 Millionen Menschen im Land werden 2050 voraussichtlich 160 Millionen geworden sein. Auch sie sind dann abhängig vom Nilwasser und von den fruchtbaren Feldern des Flussdeltas – beides wird dann aber noch knapper sein. (epd/mig) Aktuell Ausland

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