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Afghanistan

Tausende Ortskräfte und Angehörige warten auf Rettung

Ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gibt es harsche Kritik an der Bundesregierung. Es seien zu wenig gefährdete Afghanen aufgenommen worden, das Prozedere dauere zu lange und sei unmenschlich. Innenministerin Faeser verspricht: „Wir lassen sie nicht zurück“.

Sonntag, 14.08.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.08.2022, 5:56 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Taliban in Afghanistan haben den Jahrestag ihrer Machtübernahme am 15. August zum Feiertag erklärt. Das Arbeits- und Sozialministerium habe diese Festlegung am Wochenende bekanntgemacht, meldete der afghanische Rundfunksender Killid Radio am Sonntag auf Twitter. Derweil warten immer noch Tausende gefährdete Afghanen auf eine Ausreise. Racheakte, Verfolgung, Folter und Gewalt prägten die Realität von Frauen und Männern, die sich für ein freies und demokratisches Afghanistan eingesetzt haben, erklärte die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Berlin. Zehntausende von ihnen seien zurückgelassen worden und müssten um ihr Leben fürchten. Die Organisation „Kabul Luftbrücke“, die Hunderten Menschen eine Ausreise ermöglicht hat, forderte eine Anlaufstelle der Bundesregierung für gefährdete Afghanen.

Nach Angaben der fluchtpolitischen Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, warten noch mehr als 5.000 Familienangehörige von in Deutschland anerkannten afghanischen Flüchtlingen auf einen Botschaftstermin, um ein Visum zur Familienzusammenführung beantragen zu können. „Viele von ihnen sitzen monate- oder gar jahrelang unter unzumutbaren Bedingungen in Afghanistan fest“, sagte sie in Berlin. Besonders problematisch sei die Lage für Frauen, deren Rechte die Taliban deutlich eingeschränkt hätten. Die Wartezeiten auf einen Termin betragen Bünger zufolge mehr als ein Jahr.

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Deutlichere Anstrengungen gefordert

Bünger, die AWO und „Kabul Luftbrücke“ forderten deutlichere Anstrengungen der Bundesregierung. Die bisher laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) aufgenommenen 18.000 Menschen seien nicht genug, erklärte die AWO. Etwa 6.000 weitere Afghanen hätten eine Zusage und warteten auf ihre Einreise. Daneben seien Zehntausende zurückgelassen worden, die wegen ihrer Tätigkeit als Ortskräfte, ihres Einsatzes für Demokratie, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung gefährdet seien. Die radikal-islamistischen Taliban hatten am 15. August 2021 die afghanische Hauptstadt Kabul erobert und damit die Herrschaft über das Land wieder übernommen.

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Laut der „Kabul Luftbrücke“ braucht es dringend eine Anlaufstelle der Bundesregierung für gefährdete Afghanen. Eine solche sei jedoch nicht geplant. Zudem sei versäumt worden, die nötigen Personalkapazitäten zu schaffen, um das Aufnahmeprogramm des Bundes sinnvoll umzusetzen, kritisierten die Aktivistinnen und Aktivisten, die nach eigenen Angaben bisher mehr als 2.500 Menschen bei der Ausreise aus Afghanistan unterstützt haben. „Dass noch nicht mal die Anfragen gefährdeter Personen aus dem letzten August abgearbeitet sind, ist nicht nachvollziehbar“, kritisierte „Luftbrücken“-Mitglied Tareq Alaows.

Fachkräfte erhalten Visum, Ortskräfte in der Warteschleife

Die Bundesregierung müsse eine Online-Plattform einrichten, an die sich Betroffene wenden können, forderte Alaows. Ansonsten setze sich das Chaos der alten Regierung fort. Die Lage der Gefährdeten verschlechtere sich von Tag zu Tag, da die Taliban die Ausreise der Menschen immer effektiver zu verhindern versuchten.

Bünger zufolge hat die Bundesregierung zwar einige Maßnahmen ergriffen, um die Verfahren zu beschleunigen – so seien Visastellen angewiesen worden, Ermessensspielräume zu nutzen und das aufwendige Urkundenüberprüfungsverfahren sei ausgesetzt. „Doch das kommt viel zu spät und reicht bei Weitem nicht aus.“ Während Fachkräfte nach spätestens drei Wochen einen Visumtermin erhalten müssten, lasse die Bundesregierung verzweifelte Familienangehörige in der Warteschleife hängen.

Faeser: „Wir lassen sie nicht zurück“

Auch beim ersten „Kongress afghanische Ortskräfte“ in Berlin forderten am Samstag ehemalige afghanische Helfer der Bundeswehr in der Französischen Friedrichstadtkirche schnelles Handeln. Der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, Marcus Grotian, sagte aber auch, dass es inzwischen zahlreiche Menschen mit Zusagen gebe, liege daran, dass sich etwas verbessert habe. Nur zehn Prozent der Zusagen seien von der alten Regierung gemacht worden und 90 Prozent von der neuen.

Die Bundestagsabgeordneten Helge Lindh (SPD), Robin Wagner (Grüne) und Alexander Müller (FDP) sagten, es müsse alles getan werden, um so viele Ortskräfte und deren Familien wie möglich aus Afghanistan zu retten. Sie sprachen sich zugleich für eine Aufarbeitung der Versäumnisse aus und verwiesen auf den Afghanistan-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versicherte unterdessen in der „Bild am Sonntag“: „Wir lassen sie nicht zurück.“ Sie arbeite mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am neuen Bundesaufnahmeprogramm, „mit klaren Kriterien“, erklärte sie. Mittlerweile habe man 15.759 afghanische Ortskräfte und Familienangehörige nach Deutschland geholt. (epd/mig) Leitartikel Politik

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