„Moskauer Circus“
„Wir sind eine Familie, bei uns gibt es keinen Krieg“
Vor über 20 Jahren gründete ein deutsch-ukrainisches Artisten-Paar den „Moskauer Circus“. Der Name ist eine Hommage an die osteuropäische Zirkuskultur, doch inzwischen sehen manche Deutschen darin ein Problem.
Von Karsten Packeiser Mittwoch, 20.07.2022, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.07.2022, 7:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Wenige Tage, nachdem russische Soldaten in die Ukraine eingerückt waren, gastierte der „Moskauer Circus“ von Gino Frank und seiner Frau Leyla Mak in Baden-Württemberg. Einmal sei eine Frau auf das Gelände gekommen und habe die Zirkusleute als „Mörder“ beschimpft, berichtet Mak. Dass die Akrobaten keine Verantwortung für den russischen Angriff tragen, hätte die empörte Bürgerin wohl ahnen können. Dass Leyla Mak selbst und rund die Hälfte ihrer Zirkusleute aus der Ukraine stammen, macht den Vorfall nicht besser.
Beim „Moskauer Circus“ mit seiner 70-köpfigen Truppe und fünf sibirischen Tigern handelt es sich um ein deutsches Unternehmen. Verbindungen zum russischen Staat gibt es nicht. Das Direktorenpaar hatte sich einst bei einer Deutschland-Tournee ukrainischer Akrobaten kennengelernt. Die beiden Luftartisten heirateten und führten gemeinsam am Trapez Kunststücke vor, ehe sie sich auf die Leitung ihres Unternehmens konzentrierten.
Mit dem Namen „Moskauer Circus“ wollten die beiden ausdrücken, dass sie in der Tradition der osteuropäischen Zirkuskultur stehen. Dort gebe es nun einmal die weltweit besten Artisten. „Wir sind ein renommiertes Zirkusunternehmen und wollen den Namen nicht ablegen“, sagt Frank. „Und selbst wenn wir wollten – das Geld dafür hätten wir gar nicht.“ Vor dem Hintergrund der langen Corona-Zwangspause und den rasant steigenden Energiekosten sei die Situation für Zirkusse in Deutschland gerade ohnehin nicht rosig.
Orchester in die Armee eingezogen
Heute arbeiten für den „Moskauer Circus“ Ukrainer, Deutsche, Russen, Italiener und Spanier. Die beiden Clowns sind im wirklichen Leben ein Ehepaar – er ist Ukrainer, sie Russin. „Wir sind eine Familie, bei uns gibt es keinen Krieg“, sagt Frank. Doch längst ist das ukrainische Drama zum beherrschenden Thema auf dem Zirkusplatz geworden. Denn die meisten hier fürchten um ihre Angehörigen, Freunde und Kollegen.
So kommt in diesem Jahr im 21 Meter hohen weiß-roten Zirkuszelt die Musik vom Band. „Wir hatten eigentlich ein Orchester aus Charkow gebucht“, seufzt der Direktor. Die Musiker hätten auch schon ihre Arbeitsvisa erhalten, seien aber auf dem Weg nach Deutschland an der Grenze gestoppt und zum Teil direkt in die Armee eingezogen worden.
Wunsch: Kriegsende
Leyla Maks Eltern leben im Donbass, wo prorussische Separatisten und die prowestliche Kiewer Regierung sich bereits seit acht Jahren bekämpften. „Meine Mutter ist gehbehindert und schafft es nicht mehr schnell genug in die Schutzkeller“, erzählt sie. „Bei Luftalarm legt sie sich unter den Schrank oder in die Badewanne.“
Leylas Sohn Oleksandr Mak, wie seine Mutter ein echtes Zirkuskind, steht ebenfalls in der Manege. „Mich hat es immer in die Luft gezogen – so hoch wie möglich“, sagt er. Jetzt aber wünscht er sich nur, dass der Krieg zu Ende geht und die russischen Soldaten aus seinem Land abziehen.
Bürgerbeschwerden wegen Circus-Namen
Im März diesen Jahres, nach der Ankunft des „Moskauer Circus“ in Neuwied, sah sich die Stadtspitze sogar zu einer Presseerklärung veranlasst. Einzelne Bürger hätten sich beschwert, dass ein Zirkus mit diesem Namen in solchen Zeiten in der Stadt auftreten dürfe. Man habe Verständnis „für die emotional aufgeheizte Lage“, warne aber mit Nachdruck davor, alle russischen oder Russisch sprechenden Menschen pauschal zu verurteilen. „Neuwied steht für ein respektvolles Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen und Kulturen“, erklärte Oberbürgermeister Jan Einig (CDU). „Dieses friedliche Miteinander dürfen wir uns nicht zerstören.“
Auch d „Moskauer Circus“ ist bemüht um Deeskalation. Damit dem Publikum und allen Passanten sofort klar ist, wie der Zirkus zum Krieg steht, flattern vier große ukrainische Flaggen am Eingang. „Eigentlich wollten wir 20 bestellen“, sagt Gino Frank, „aber die sind ausverkauft.“ (epd/mig) Aktuell Panorama
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