Mahnmal

Eine südafrikanische „Kerze der Erinnerung“ an den Holocaust

Mit einem Holocaust- und Genozidzentrum in Johannesburg hält Tali Nates die Erinnerung an den Schrecken der NS-Zeit und den Völkermord in Ruanda wach, damit sich solche Gräuel nicht wiederholen. Dafür wird sie mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet.

Von Mittwoch, 20.07.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.07.2022, 7:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Tali Nates Erbe ist ihre Motivation. Die Worte ihres Vaters, der sie immer wieder daran erinnerte, dass sie ohne einen Deutschen namens Oscar Schindler nicht leben würde, treiben die Südafrikanerin an. So ist es nur logisch, dass Tali Nates Gründerin und Exekutivdirektorin des Holocaust- und Genozidzentrums in Johannesburg ist, das vor drei Jahren seine Türen für die Öffentlichkeit öffnete. Für ihren Einsatz erhält sie in diesem Jahr die Goethe-Medaille der Bundesrepublik Deutschland, die am 24. August in Weimar verliehen wird.

Nates, 1961 geboren, stammt aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden. Ihr Vater Moses Turner schaffte es auf die Liste Oscar Schindlers, mit der der deutsche Industrielle mehr als Tausend Juden vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten rettete. Damals waren Turner und sein Bruder Hendrik noch Jugendliche, als sie von Schindler als unverzichtbare Mitarbeiter gelistet und damit vor den Klauen der Nazis bewahrt wurden.

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Im Alter von 14 Jahren war ihr Vater schon in vier Konzentrationslagern gewesen, berichtet Nates. Einer seiner Jobs sei es gewesen, Leichen in Massengräbern zu entsorgen. Als Erwachsener habe er zwar selten über die Schrecken und Gräuel gesprochen und sie in seiner geplagten Seele versteckt. Aber nachts seien die Dämonen oft hervorgebrochen und hätten ihn in Alpträumen heimgesucht und gepeinigt.

Gründung des Johannesburg Holocaust and Genocide Centre

In Israel, wo sie aufwuchs, hörte Nates von Besuchern der Familie Erzählungen über den Holocaust. Sie glaubte, es seien Verwandte, später erfuhr sie, dass es enge Freunde des Vaters waren, die zusammen mit ihm die Grauen des Krieges und der Verfolgung überlebt hatten. Diese Geschichten konnte sie nicht verarbeiten, sie machten sie fertig, traumatisierten sie.

Tief verwurzelt in ihrer Seele zogen die Erzählungen aus der Kindheit und die Albträume des Vaters mit nach Johannesburg, als Nates einen Südafrikaner heiratete und sich dort niederließ. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie hervorbrechen und wie sie Form annehmen würden. Die Gründung des Johannesburg Holocaust and Genocide Centre war die Antwort.

Mahnmal auch für die Toten des Genozids in Ruanda

Das Zentrum erinnert an die Opfer der NS-Zeit. Aber es ist auch ein Mahnmal für die Hunderttausenden Toten des Genozids in Ruanda 1994. Haufen aus bunten, aber fleckigen Kleidungsstücken von Opfern des ruandischen Völkermords und Fotos von Verwundeten holen das Blutbad ins Jetzt und Hier. Auch andere Gräuel wie das Massaker an den Herero im damaligen Deutsch-Südwestafrika oder der Genozid an den Armeniern in der heutigen Türkei finden einen Platz in dem Zentrum.

Vor der Tür ist eine Sektion den Geschehnissen vor Ort gewidmet: Die Bilder dort erinnern an Taten fremdenfeindlicher Gewalt in Südafrika. Das Zentrum ist ein Ort des Dialogs und der Vielfalt. Ein Ort, der die Gefahren der Gleichgültigkeit gegenüber Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie hervorhebt.

Eine herausfordernden Zeit

Tali Nates nahm sich die Zeit, auf die Stimmen von Überlebenden, Historikern und Kuratoren, Schülern und Lehrern zu hören. Dazu reiste sie rund um die Welt. „Es war ein langer Prozess, um die Fotos zu sammeln, Filme zu machen, mit Überlebenden zu sprechen“, sagt die Historikerin. Acht Jahre habe es gedauert, bis das Zentrum öffnen konnte, berichtet die Frau mit den langen blonden Haaren von einer herausfordernden Zeit. Ihre Stimme wird zu einem Flüstern, als sie sagt, dass die Bürde ihr fast zu groß wurde. „Manchmal hatte ich das Gefühl, ich würde es nicht schaffen.“

Und dann, als der Entschluss zum Bau des Zentrums stand und alles in die Wege geleitet war, kam die Diagnose Krebs – bei ihr und bei Tochter Kim. Doch auch der trotzte Nates gemeinsam mit der Tochter. Ihr Mann sei ihr Fels in dieser Zeit gewesen und habe ihnen geholfen durchzuhalten und weiterzumachen.

Viele Holocaust-Überlebende in Südafrika

Nicht aufgeben und Mut fassen ist eine Botschaft, die Nates auch den Opfern politischer Verfolgung vermitteln will. In Südafrika gebe es eine Reihe von Holocaust-Überlebenden, die es bislang nicht schafften, ihre schreckliche Geschichte zu erzählen, sagt Nates. Viele von ihnen kämen immer wieder ins Zentrum zu den Vorlesungen, Gesprächen und Ausstellungen. Jedes Mal nähmen sie ihre Erlebnisse und Erinnerungen wieder mit nach Hause, sagt Nates. „Aber eines Tages fassen sie vielleicht den Mut und teilen ihre Geschichte.“

Ihre Mutter sehe sich als so etwas wie eine „Kerze der Erinnerung“, sagt Kim Nates, die bis vor kurzem als Assistentin im Zentrum mitarbeitete. „Ich kann diesem Bild gut folgen“, meint sie. „Sie wurde nach ihrer Tante benannt, die von den Nazis umgebracht wurde. Damit ist allein der Name ein Gedenken. Und darum ist sie auch bereit, sich ganz für das Zentrum aufzuopfern.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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