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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Im Gemüseladen

Letzte Woche wurde Ferda Ataman im Bundestag zur Bundesbeauftragten in Sachen Antidiskriminierung gewählt und ernannt, eine Personalie, die ich ganz genau beobachtet habe.

Von Montag, 11.07.2022, 19:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.10.2022, 6:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Letzte Woche wurde Ferda Ataman im Bundestag zur Bundesbeauftragten in Sachen Antidiskriminierung gewählt und ernannt, eine Personalie, die ich ganz genau beobachtet habe, wurde dies doch als „umstritten“ beschrieben, weil sie eine „streitbare Publizistin“ sei. Nun bin ich ja auch streitbar, und publiziert werde ich auch – selbst wenn meine Gedanken erfahrungsgemäß zu komplex sind, um auf eine twitterkompatible handvoll Zeichen heruntergebrochen zu werden. Es sind nicht zufällig Menschen wie Christian Lindner, Wolfgang Kubicki oder Donald Trump, die dort erfolgreich sind: Wer eh nicht weiter als 200 Zeichen denken kann und an seinesgleichen adressiert, hat mit Twitter sein Medium gefunden.

Dabei weiß ich nicht einmal, was so schlimm an der Ataman sein soll, schließlich hat sie all ihre Tweets gelöscht und ich kann nur noch in dritter Quelle überhaupt davon lesen, dass es da wohl böse Mitteilungen gebe, die die Kartoffeln von Union und AfD als diskriminierend gegenüber Kartoffeln verstanden hätten, weshalb sie ihrerseits nun die Gürkin nicht mitspielen lassen wollten. Aber selbst wenn ich suchen könnte – würde ich da wirklich Aussagen finden, die so umstritten sind, wie die jenes mindestens ein-, womöglich zweifachen Flugzeugbesitzers, der sich als „gehobenen Mittelstand“ betitelte, oder etwas davon, die deutschen Grenzen bis zur letzten Patrone gegen Kriegsflüchtlinge zu verteidigen? Und für diejenigen, die nicht mehr wissen, wer’s gesagt hat: nein, diese Aussagen kommen nicht aus den hinteren Bänken der AfD, diesem Kliemannsland unter den deutschen Parteien, sondern aus dem engsten Führungszirkel von CDU und CSU.

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„Vielleicht hat sie ja die Nähe der CDU/CSU zu staatlich organisierter Clankriminalität oder deren Verachtung für alles Christliche thematisiert…“

Vielleicht hat sie ja die Nähe der CDU/CSU zu staatlich organisierter Clankriminalität oder deren Verachtung für alles Christliche thematisiert, Massaker für Massaker, das im Auftrag der Christdemokraten an den europäischen Außengrenzen und in Afghanistan begangen wurde, wie es dieser streitbare Publizist tat? Oder hat sie vielleicht doch nur ausgesprochen, was sowieso alle wissen, Konservative aber nicht gerne hören – weil sich ansonsten die Systemhuren von SPD und Grünen ja auch gar nicht erst für sie interessiert hätten und sich schon gar nicht auch noch Stimmen aus der Opposition gefunden hätten?

Denn, so ehrlich will ich heute mal sein: Für mich ist diese Glosse ja eigentlich nur ein Sprungbrett. Ich habe noch große Pläne, will mich, wenn ich hier, frei nach Nietzsche, genug Nullen eingesammelt habe, noch zum Führer auf Lebenszeit ausrufen – ob meine oder eure Lebenszeit – das wird sich alles noch finden. Aber wenn die, deren ach so leerer Kopf üblicherweise am leichtesten nickt, die „Konservativen“ eben, jetzt schon bei einem bisschen Anecken auf Twitter so abdrehen, dann befürchte ich in stillen Momenten doch: Das könnte die Sache verkomplizieren.

„Hohe moralische Ansprüche werden in diesem Land doch eigentlich nur an Linke, Migranten und linke Migranten angelegt – die müssen Heilige sein…“

Und dann wieder denke ich: Hohe moralische Ansprüche werden in diesem Land doch eigentlich nur an Linke, Migranten und linke Migranten angelegt – die müssen Heilige sein, alle anderen dürfen sich benehmen, wie die Axt am FKK-Strand, dürfen über Jugendliche lästern, die auch noch etwas von dieser Welt übrig haben wollen, oder gleich über die … einer Luisa Neubauer sinnieren: Ist man erstmal konserviert, lebt es sich ganz ungeniert.

Und so predigen und moralisieren diese Moralapostel, die sich im Namen von Anstand und Moral gegen jede Moral und jeden Anstand wenden, nicht bloß ungeniert, sondern auch völlig bar jeder Selbsterkenntnis – ich erinnere mich auch noch lebhaft an 20jährige Rechte, Jungliberale und Jungunionler, die im Brustton der Überzeugung verkündeten: „Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz!“. Ja nee, richtig. Und wer in eurer Position solche Weisheiten von sich gibt, hat vor allem und in erster Linie mal kein Hirn.

Und überhaupt: Wer sich da mit allerlei Populismus zum Führer ausruft, der ist halt vieles, aber er kann per definitionem eben kein Linker sein, und daher gilt dann wohl glücklicherweise doch: freie Fahrt für freie Führer.

Und es waren ja schließlich auch die Konservativen, die Klerikalen und AfD-Meuthens Zentrumspartei, die dem Ermächtigungsgesetz der Nazis zugestimmt haben, die ihre parlamentarischen Rechte selbständig und freiwillig zugunsten der rechten Parlamentarier von der NSDAP aufgegeben haben (die sich ja auch, wie Faschisten heute nicht müde werden zu betonen, „Arbeiterpartei“ nannten und deshalb ja eigentlich irgendwie links waren), als selbst die SPD mit ihrer stolzen Tradition des Umfallens noch aufrecht gegen die faschistische Gefahr stand.

So oder so soll mir aber keiner von denen mehr kommen mit: Scholz ist so langweilig, so weichgespült. Wer „streitbare Publizisten“ nicht einmal in so einer Nebensache dulden will, hat jedes Recht verspielt, sich über das exakte Gegenteil im Kanzleramt aufzuregen – auch dann nicht, wenn der Urheber weder über Selbsterkenntnis im Speziellen, noch über Hirn im Allgemeinen verfügt.

Es gibt also noch Hoffnung. Für mich. Für Sie. Für uns alle. Meinung

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  1. Gerrit sagt:

    Man glaubt immer, es gäbe keine Steigerung mehr. Aber dieser „Nebenan-Beitrag“ ist einfach nur klasse!!!