Menschenrechte in Äthiopien
„Wir können mit unserer Arbeit Leben verändern“
Der Äthiopische Menschenrechtsrat wird am Montag von Amnesty International ausgezeichnet. Trotz Lebensgefahr will der Direktor der Organisation, Dan Yirga Haile, weiter für die Wahrung der Menschenrechte in seiner Heimat streiten.
Von Bettina Rühl Sonntag, 29.05.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.05.2022, 7:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Dan Yirga Haile erinnert sich noch gut daran, wie er zum ersten Mal vom Äthiopischen Menschenrechtsrat hörte. Das war 2005, der heute 38-Jährige studierte damals Jura und demonstrierte gegen die zwar formal demokratische, faktisch aber autoritäre Regierung in seiner Heimat. Bei den Protesten wurden im Juni 2005 mindestens 36 Menschen von Polizisten getötet, Hunderte weitere verletzt. Tausende der vorwiegend jungen Demonstrierenden wurden in Lagern abseits der Hauptstadt Addis Abeba eingesperrt.
Bei einem seiner Fußmärsche durch die Stadt bekam Dan einen Bericht in die Hand gedrückt, in dem die Menschenrechtsverletzungen der Regierung schonungslos kritisiert wurden. „Ich war wie elektrisiert“, erinnert er sich. „Ich habe mich gefragt: Wer sind diese Leute, die die Regierung so mutig zu kritisieren wagen? Ich wollte sie unbedingt kennenlernen und mich ihnen anschließen.“ Wenig später trat er dem Äthiopischen Menschenrechtsrat bei, der den Bericht verfasst hatte. Nun wird die Organisation mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Amnesty-Sektion ausgezeichnet. Als ihr geschäftsführender Direktor nimmt Dan den mit 10.000 Euro dotierten Preis am 30. Mai in Berlin entgegen.
Gegründet wurde der Menschenrechtsrat im Oktober 1991. Wenige Monate vorher hatten Rebellen den Militärdiktator Mengistu Haile Mariam gestürzt. Die langjährigen Kämpfer übernahmen ohne jede politische Erfahrung die Macht. Etwa 30 Professorinnen und Professoren der Universität von Addis Abeba gründeten den Menschenrechtsrat, um sie beim Aufbau der staatlichen Institutionen zu beraten und dafür zu sorgen, dass die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und die Demokratisierung des Landes nicht aus dem Blick geraten.
„In Äthiopien kann jederzeit alles passieren“
Doch die Regierung reagierte mit Repression: Die Mitglieder des Rates verloren ihre Stellen an der Universität, wurden eingeschüchtert und bedroht. Die Reaktionen blieben in den folgenden Jahrzehnten ähnlich. „In Äthiopien kann jederzeit alles passieren“, stellt Dan nüchtern fest. „Ein Mitglied unserer Organisation wurde auf der Straße regelrecht exekutiert, andere verhaftet, im Gefängnis schwer gefoltert. Mir kann jederzeit das Gleiche widerfahren.“
Trotzdem geben die ehrenamtlichen Aktivistinnen und Aktivisten sowie die derzeit 32 hauptamtlich Mitarbeitenden nicht auf. Sie überwachen die Einhaltung der Menschenrechte und berichten, wenn diese verletzt werden. Sie setzen sich im ganzen Land für benachteiligte Gruppen ein, bieten unentgeltlichen Rechtsbeistand, informieren die Bevölkerung in Workshops über ihre Rechte.
Zwei Millionen Menschen vertrieben
Im Frühjahr 2018 schien sich die Menschenrechtslage in dem 105-Millionen-Einwohner-Land nach dem Amtsantritt Abiy Ahmeds als Ministerpräsident zunächst zu verbessern. Abiy, der einen Friedensvertrag mit dem benachbarten Erzfeind Eritrea schloss und politische Gefangene freiließ, wurde als Reformer begrüßt. 2019 wurde er für die Versöhnung mit Eritrea mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Doch schon im Herbst 2020 eskalierte eine schon lange schwelende Krise zum Krieg in der nördlichen Region Tigray. Schnell griffen die Kämpfe auf die benachbarten Regionen Afar und Amhara über. Der Äthiopische Menschenrechtsrat, Amnesty International und die UN werfen allen Konfliktbeteiligten schwere Verbrechen vor. Nach UN-Angaben wurden seit Beginn der Kämpfe Tausende Menschen getötet und mehr als zwei Millionen Männer, Frauen und Kinder vertrieben. Außerdem werden Meinungs- und Pressefreiheit wieder drastisch eingeschränkt.
Auszeichnung für selbstlosen Einsatz
Der Krieg habe die Arbeit der Menschenrechtsaktivisten nochmals schwieriger und gefährlicher gemacht, betont Dan, der zugewandt ist und einen offenen Blick hat. Mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen wegen des Kriegs zu ermitteln, sei nur unter großen Gefahren möglich: Viele mutmaßliche Tatorte seien kaum zugänglich, die Infrastruktur zerstört und in vielen Gegenden werde weiterhin gekämpft. „Wir müssen fürchten, während unserer Untersuchungen ebenfalls getötet zu werden.“ Wenn sie ihre Berichte veröffentlichen, fürchteten die Aktivistinnen und Aktivisten weitere Repressionen bis hin zum Mord, sagt Dan.
Amnesty begründet die Auszeichnung der Organisation nun mit ihrem „selbstlosen und mit persönlichen Gefahren verbundenen Einsatz für die Menschenrechte in Äthiopien“. Den Preis empfindet Dan nicht nur als große Ehre, sondern auch als Ermutigung, weiterzumachen. „Wir können mit unserer Arbeit Leben verändern, das ist mir jeden Einsatz wert“, sagt er. (epd/mig) Aktuell Ausland
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