Solidarität mit Ukrainern
Migrationsforscherin warnt vor Rassismus gegen Russen
Eineinhalb Wochen nach Kriegsbeginn gab es in zahlreichen deutschen Städten Friedenskundgebungen. Bei aller Sympathie für Flüchtlinge aus der Ukraine mahnt Migrationsforscherin Schwenken zur Wachsamkeit vor Rassismus gegen Russen.
Montag, 07.03.2022, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 06.03.2022, 17:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Eineinhalb Wochen nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine sind am Wochenende in Deutschland wieder Zehntausende für ein Ende der Gewalt auf die Straßen gegangen. Allein in Hamburg demonstrierten am Samstag laut Polizei rund 30.000 Menschen, in München schlossen sich etwa 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer Menschenkette zwischen den ukrainischen und russischen Generalkonsulaten zusammen. In der bayerischen Landeshauptstadt, Frankfurt am Main und Berlin gab es auch am Sonntag wieder Kundgebungen.
Bei aller Solidarität für Ukraine und für die Flüchtlinge aus dem Land, warnte die Osnabrücker Migrationsforscherin Helen Schwenken vor möglichen späteren Konflikten, gerade mit Blick auf die seit Jahren in Deutschland lebenden Menschen mit russischen Wurzeln. Es gebe durchaus einen antirussischen Rassismus, der aber wegen der vielen Debatten um Rassismus gegen Schwarze weniger thematisiert werde. „Vor allem die Schulen und andere Bildungseinrichtungen sind jetzt gefragt, früh gegenzusteuern“ sagte die Direktorin des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien dem „Evangelischen Pressedienst“.
CDU-Generalsekretär verurteilt Aggressionen gegen Russischstämmige
Probleme sieht auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Er hat Anfeindungen gegen russischstämmige Menschen in Deutschland scharf verurteilt und mehr Zusammenhalt gefordert. „Wir brauchen in Deutschland eine bessere Form der zwischenmenschlichen Völkerverständigung“, sagte Czaja dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. „Wir müssen den Deutschen aus Russland und den Menschen mit russischen Wurzeln deutlich signalisieren, dass sie nicht unsere Gegner sind. Unser Gegner ist nicht das russische Volk.“
Der Christdemokrat berichtete von Anfeindungen gegen Russlanddeutsche in seinem Wahlkreis in Berlin. „Ich sehe mit Sorge, dass es in meinem Wahlkreis Angriffe gegen russische Geschäfte und die russisch-deutsche Schule gibt.“ Es komme zu Schmierereien an den Häuserwänden wie „Russenladen“ und „Kriegsverantwortliche“. Russisch sprechende Menschen erlebten Pöbeleien in der U-Bahn. „Wir sollten frühzeitig auf diesen schwelenden innerdeutschen Konflikt reagieren, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“, forderte Czaja. Die Bundesregierung und die Kultusminister müssten jetzt Vorschläge machen, an welchen Orten kultureller und zivilgesellschaftlicher Austausch unterstützt werden könne und wie zum Beispiel Nachbarschaftsorganisationen gestärkt werden könnten.
Empathie ähnlich groß wie 2015
Die Empathie für die Geflüchteten aus der Ukraine indes ist nach Schwenkens Beobachtung ähnlich groß wie 2015 für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. Aufgrund der relativ großen ukrainischen Community in Deutschland, die rund 250.000 Personen umfasse, gebe es allerdings mehr familiäre Beziehungen. Auffällig sei, dass osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen jetzt eine große Aufnahmebereitschaft zeigten, während sie damals syrische, afghanische oder afrikanische Flüchtlinge strikt abgelehnt hätten. „Da zählt offenbar sehr die von ihnen wahrgenommene historisch-kulturelle Nähe.“
Deutlich werde das auch daran, dass Flüchtlinge anderer Nationen aus der Ukraine an den Grenzen oder schon vorher häufig zurückgewiesen würden. Sie wisse etwa von indischen, nigerianischen oder nepalesischen Studierenden, die noch in der Ukraine daran gehindert wurden, in Züge Richtung Westen einzusteigen. Derzeit seien Vertreter zahlreicher Länder etwa an der polnisch-ukrainischen Grenze unterwegs, um ihre Staatsangehörigen aus der Krisenzone zu bringen: „Sie sagen den jungen Menschen, sie müssten es zu Fuß über die Grenze zu Polen schaffen. Dann würden sie in ihre Heimatländer gebracht.“
Deutschland profitiert von Erfahrungen aus 2015
Schwenken zufolge profitiert die deutsche Gesellschaft derzeit bei der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge von den im Jahr 2015 gemachten Erfahrungen. Staat, Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen reagierten heute viel schneller und professioneller. „Damals lief die Hilfe erst an, als die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf den Bahnhöfen ankamen. Diesmal waren Unterkünfte und Hilfsgüter vorbereitet, noch bevor überhaupt ein Ukrainer hier war.“
Die aufgebauten Strukturen und erprobten Abläufe etwa in Erstaufnahmeeinrichtungen müssten jetzt nur reaktiviert werden. Kommunen sammelten zentral Angebote von Privatleuten, die Flüchtlinge unterbringen wollten. Vereine und Initiativen griffen offenbar auf damals eingerichtete Social-Media- und Messenger-Gruppen zurück und organisierten in kurzer Zeit Spendenaktionen und Hilfslieferungen, sagte Schwenken. Dabei kommunizierten sie direkt, welche Waren gebraucht würden. (epd/mig) Aktuell Panorama
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