Italien, Libyen, Küstenwache, Flüchtlingspolitik, Mittelmeer
Kooperation zwischen Italien und Libyen zur Ausbildung der Küstenwache (Archivfoto) © Forze Armate StatoMaggioreDifesa/Twitter

EU-Entwicklungshilfe

Italien verschenkt Überwachungstechnik an die libysche Küstenwache

Mit einer verlegbaren Seenotleitstelle hoffen die EU-Mitgliedstaaten auf eine verbesserte Migrationsabwehr der Behörden in Libyen. Die Lieferung mit einem italienischen Kriegsschiff ist auch ein Signal an die Türkei.

Von Donnerstag, 09.12.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.02.2022, 20:06 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Küstenwache in Libyen hat neue Technik zur Beobachtung des Mittelmeers aus Italien erhalten. Die mit EU-Mitteln finanzierten Anlagen sind in Containern installiert und wurden von dem Hubschrauberträger „San Giorgio“ nach Tripolis gebracht. Die Tageszeitung „Repubblica“ beschreibt die Überführung als „verdeckte Operation“. Jedoch handelt es sich um die seit Langem angekündigte Lieferung einer mobilen Seenotleitstelle (Maritime Rescue Coordination Center – MRCC).

Die Finanzierung erfolgt im Rahmen des EU-Projekts „Unterstützung der integrierten Grenz- und Migrationsverwaltung in Libyen“ (SIBMMIL) aus Mitteln der Entwicklungshilfe. In einer ersten Stufe hatte die EU dafür 46 Millionen Euro aus dem Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika bewilligt, 2018 folgten weitere 15 Millionen Euro. Damit will die EU die libysche Küstenwache zur besseren Migrationsabwehr ertüchtigen.

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Funkgeräte aus Deutschland

Die in Containern installierte Informations- und Überwachungstechnik soll helfen, Geflüchtete in kleinen Booten auf dem Weg in Länder wie Malta oder Italien zu entdecken und anschließend nach Libyen zurückzuholen. Hierzu erhält die Küstenwache weitere drei Patrouillenschiffe aus Italien, die ebenfalls aus dem Nothilfe-Treuhandfonds finanziert werden.

Der Auftrag für die Lieferung der mobilen Leitstelle ging an die italienische Firma ELMAN. Ihre Ausrüstung besteht aus verschiedenen Kommunikationssystemen, wie sie im weltweiten Seenot- und Sicherheitsfunksystem (Global Maritime Distress and Safety System – GMDSS) vorgeschrieben sind. Das schreibt die ELMAN auf der eigenen Webseite. Demnach gehören Funkgeräte der deutschen Firma Rohde & Schwarz und Anlagen zum Empfang von Notfall- und Warnmeldungen von der britischen Firma Inmarsat zu dem System. Das italienische Innenministerium soll libysches Personal zur Bedienung der Technik ausbilden.

Informationen aus der EU-Luftüberwachung

Über mehrere Jahre hat die EU das zentrale Mittelmeer in der Militärmission IRINI oder in Missionen der Grenzagentur Frontex mit Flugzeugen beobachtet und Menschen in Seenot mit Schiffen gerettet. Inzwischen sind die maritimen Einheiten aus der Region abgezogen oder – wie in IRINI – weitab der Routen von Geflüchteten positioniert. Gleichzeitig hat die EU ihre zivile und militärische Luftüberwachung ausgebaut, über Sichtungen von Booten wird dann die libysche Küstenwache informiert.

Derartige Meldungen über Seenotfälle müssen aber an ein MRCC gerichtet werden. So sehen es die Regularien der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) vor, denen Libyen seit 2018 eigentlich genügen muss. Ohne über eine solche Seenotleitstelle zu verfügen, hat die Regierung vor drei Jahren ihre Zuständigkeit für eine eigene Seenotrettungszone erklärt und dafür 1,8 Millionen Euro von der EU-Kommission erhalten. An die Auszahlung der Gelder war die Erstellung einer Machbarkeitsstudie zur Einrichtung eines MRCC geknüpft.

Zwei konkurrierende Küstenwachen

Laut dem Kommissar für die Europäische Nachbarschaftspolitik Olivér Várhelyi hat die libysche Küstenwache anschließend die für ein solches MRCC benötigten Geländefahrzeuge, Krankenwagen, Schutzanzüge, Rettungsausrüstung sowie „Kommunikationsgeräte“ beschafft. Auch dies wurde aus Mitteln der EU-Entwicklungshilfe bestritten. Es ist allerdings unklar, wo die Ausrüstung verblieben ist.

Auch wer das containerbasierte MRCC an den libyschen Küsten betreiben soll, ist nicht bekannt. Im Land gibt es zwei große Behörden mit maritimen Überwachungsaufgaben, die aus teilweise konkurrierenden Milizen bestehen. Die zivile Küstenschutzverwaltung (General Administration for Coastal Security – GACS) gehört zum Innenministerium und ist für die Zwölfmeilenzone zuständig. Für Sicherheitsaufgaben auf hoher See ist hingegen die zum Militär gehörende Küstenwache (Libyan Coast Guard – LCG) verantwortlich. Beide übernehmen indes Aufgaben der Hafensicherheit.

Erfolglose Vorgängermissionen

Vor acht Jahren hat die EU eine von Italien geleitete „Mission zur Unterstützung des integrierten Grenzmanagements in Libyen“ (EUBAM Libyen) gestartet. Sie soll die Behörden des Landes bei der Überwachung der Landgrenzen im Süden sowie an den Seegrenzen unterstützen, auch die EU-Kommission und der Auswärtige Dienst sowie Frontex nehmen daran teil. Eine der Aufgaben von EUBAM Libyen ist die Neuorganisation der beiden Küstenwachen. Wegen des aufflammenden Bürgerkrieges existiert die Mission jedoch seit zwei Jahren nur in einer Minimalbesetzung.

Das 2014 begonnene EU-Projekt „Seepferdchen Mittelmeer“ verlief offenbar ebenfalls im Sand. Unter Leitung der spanischen Gendarmerie sollte die libysche Küstenwache an ein Informationssystem aller EU-Mittelmeeranrainer angeschlossen werden. Darüber wäre Libyen als erster Drittstaat auch indirekt mit dem EU-Überwachungssystem EUROSUR, das von Frontex in Warschau betrieben wird, vernetzt worden. Bislang gibt es allerdings keinen Beleg, dass das 5,5 Millionen Euro teure Vorhaben jemals umgesetzt wurde.

Signal an die Türkei

Mit dem containerbasierten MRCC unternimmt die EU einen neuen Versuch, Libyen als Türsteher zur Migrationsabwehr zu instrumentalisieren. Das Einlaufen eines italienischen Hubschrauberträgers in den Hafen von Tripolis ist aber auch ein Signal an die Türkei, die nach Beginn des Bürgerkriegs Truppen und militärische Ausrüstung zur Unterstützung der „Einheitsregierung“ geschickt hatte. Die türkische Marine bildete anschließend auch die libysche Küstenwache aus – eine Aufgabe, die zuvor die EU-Militärmission übernommen hatte. Wiederholt hat der Europäische Auswärtige Dienst in Brüssel versucht, Libyen zur Wiederaufnahme von Trainings durch IRINI zu bewegen. Die militärische Präsenz der Türkei hat dies jedoch verhindert.

Die Zeitung „Repubblica“ feiert die Lieferung der mobilen Seenotleitstelle deshalb als eine erfolgreiche Aktion gegen den „türkischen Aktivismus in Libyen“ und einen Neubeginn guter Beziehungen mit der EU. Ob sich das Verhältnis wirklich verbessert, wird sich in den nächsten Monaten erweisen. Im Januar soll in Libyen der Präsident neu gewählt werden. Fast hundert Kandidat:innen bewerben sich um das Amt, darunter auch ein Sohn des einstigen Machthabers Muammar al-Gaddafi und der General Chalifa Haftar, der 2019 den Bürgerkrieg begann. (mig)

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