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Menschen in der Stadt (Symbolfoto) © un-perfekt @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

„Politik nicht das zentrale Element“

Migranten wählen noch immer anders als die Restbevölkerung

„Auch ich bin Teil von Deutschland“: Dieses Selbstverständnis als Bürger ist nicht bei allen Migranten vorhanden. Besonders Ältere hält das in manchen Fällen vom Wählen ab. Bei der nächsten Generation ist aber ein Wandel in Sicht.

Von Freitag, 17.09.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.12.2021, 13:13 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Secim senin“ steht oben links auf der Website, „Du hast die Wahl“. Wenn die Bundeszentrale für politische Bildung wie hier auf Türkisch, auf Russisch oder auf Arabisch Menschen zum Wählen aufruft, spricht sie keine kleine Minderheit an. Etwa 7,4 Millionen deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger über 18 Jahre haben laut Mikrozensus 2019 einen Migrationshintergrund. Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes werden bei der Bundestagswahl am 26. September etwa 60,4 Millionen Personen wahlberechtigt sein – rechnerisch etwa zwölf Prozent davon mit Einwanderungsgeschichte.

Mit Blick auf den Einfluss sei dies eine relativ große Wählergruppe, sagt Politikwissenschaftler Jonas Elis von der Universität Duisburg-Essen. „Bei engem Wahlausgang könnten sie beim Einzug bestimmter Parteien in den Bundestag oder bei der Koalitionsbildung den Ausschlag geben“, sagt er. Genau lasse sich das aber nicht sagen, zumal Menschen mit Migrationshintergrund kein einheitliches Wahlverhalten zeigen.

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Vergleichsweise geringere Wahlbeteiligung

Einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration zufolge gaben bei der Bundestagswahl 2017 insgesamt 65 Prozent der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund an, ihre Stimme abgegeben zu haben – 20 Prozentpunkte weniger als die restlichen Deutschen. Innerhalb dieser Gruppe gaben wiederum Menschen, die aus anderen EU-Staaten eingewandert sind, häufiger ihr Stimme ab als Spätaussiedler oder Türkeistämmige.

„Die Gründe für eine Wahlbeteiligung unterscheiden sich bei ihnen gar nicht so sehr vom Rest der Bevölkerung“, sagt Politikwissenschaftler Elis. So habe der Faktor Bildung auch bei Migranten einen großen Einfluss. Relevant für die Entscheidung, wählen zu gehen, seien zudem die Parteienidentifikation und politisches Interesse.

Enttäuschte Migranten

Laut Politikwissenschaftler Andreas Wüst, der an der Hochschule München lehrt, gibt es zudem migrationsspezifische Gründe, nicht wählen zu gehen. „Für viele Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, ist Politik nicht das zentrale Element“, sagt er. Bei ihnen dominierten oftmals eher wirtschaftliche Fragen wie ihre Beschäftigung. Dazu komme das Problem der Akzeptanz, sagt Wüst: „Wenn Menschen gerne ein Teil Deutschlands wären, aber immer wieder das Gefühl bekommen, es nicht zu sein, warum sollen sie sich dann politisch beteiligen?“

Unterschiede innerhalb der Wahlberechtigen mit Migrationshintergrund zeigen sich auch bei der Parteienpräferenz. „Deutschrussen haben hauptsächlich aus Dankbarkeit über die Remigration durch Helmut Kohl eine Bindung zur CDU“, sagt Elis. Die Regierung unter dem konservativen Kanzler Kohl hatte es Russlanddeutschen gesetzlich erleichtert, als Aussiedler und Spätaussiedler nach Deutschland zu kommen. Erfolge der AfD unter den Russlanddeutschen bei der Bundestagswahl 2017 ließen allerdings vermuten, „dass sich die Bindung zur CDU etwas auflöst“, sagt Elis.

Parteienbindungen von Eingewanderten gelockert

Menschen, die bis 1992 aus Südeuropa und der Türkei eingewandert sind, fühlen sich einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus diesem Jahr zufolge hingegen mehrheitlich der SPD zugehörig. Laut Forscher Elis ist eine mögliche Erklärung, dass viele Türkeistämmige als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind. Gleichzeitig gebe es auch in dieser Gruppe starke Unterschiede: Kurden wählten beispielsweise eher die Linke.

Insgesamt hätten sich Parteienbindungen von Eingewanderten in den vergangenen Jahrzehnten gelockert, sagt Politikwissenschaftler Wüst. Mit der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts seien seit 2000 jedes Jahr 30.000 bis 40.000 Kinder von Migranten in Deutschland geboren worden, die mit 18 Jahren automatisch wahlberechtigt sind. „Das sind junge Menschen, die hier aufgewachsen und weniger durch Migration geprägt sind“, sagt er. Mit der Zeit würden sie eher wie die restliche Bevölkerung wählen. (epd/mig) Leitartikel Politik

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