Die „Gottbegnadeten“
Ausstellung über Künstler in der NS-Zeit und ihre Karrieren nach 1945
Das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin thematisiert in einer Ausstellung die Nachkriegskarrieren von NS-Künstlern. Viele von ihnen hatten auch nach 1945 in der Bundesrepublik und Österreich überraschend großen Erfolg.
Von Sigrid Hoff Freitag, 27.08.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 26.08.2021, 17:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ein Foto zeigt, wie im Hof des Bendlerblocks in Berlin 1953 eine schwere Skulptur aufgestellt wird. Die überlebensgroße Bronzefigur von Richard Scheibe, ein Jüngling mit gefesselten Händen, erinnert an den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 mit dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler. Vier der Umstürzler und Attentäter, darunter Claus Schenk Graf von Stauffenberg, waren dort, dem Sitz des Oberkommandos des Heeres, sofort erschossen worden.
1953 hatte Richard Scheibe den Auftrag für das Ehrenmal vom Berliner Senat erhalten, obwohl sein Name im August 1944 – knapp einen Monat nach dem Attentat – auf der sogenannten Gottbegnadeten-Liste stand. Im Auftrag von Adolf Hitler und seinem Propagandaminister Joseph Goebbels erstellt, verzeichnete die Liste knapp 400 Künstler, die das NS-Regime im Zuge des „totalen Krieges“ ausdrücklich vom Dienst an der Front oder Arbeitseinsatz befreite.
Die „Gottbegnadeten“
Erstmals widmet sich eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) Berlin unter dem Titel „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ mit den Vertretern der 114 bildenden Künstler auf dieser Liste den Nachkriegskarrieren. „Die Popularita t der ‚gottbegnadeten‘ bildenden Ku nstler und ihr visueller Beitrag zur NS-Ideologie waren immens“, betont Raphael Groß, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum. Um so mehr überrasche ihr Erfolg in der Bundesrepublik und in Österreich nach 1945 bis in die 1970er Jahre hinein, den die Ausstellung nachzeichnet.
Die Schau geht zurück auf Forschungen des Kunsthistorikers und Kurators Wolfgang Brauneis. Anhand von rund 300 Skulpturen und Gemälden, Gobelins und Zeichnungen sowie Fotos, Plakaten und Presseberichten zeichnet sie die Biografien einzelner „Gottbegnadeter“ nach und zeigt, wie fließend sie den Übergang von der Diktatur in die Demokratie schafften. Thematisiert werden Netzwerke, die den Erfolg ermöglichten, die Rezeption der Kunst und die wenigen öffentlichen Proteste bis heute.
Mythos entlarvt
Die Schau räumt zugleich auf mit der Vorstellung, die Kunst der NS-Zeit sei nach 1945 einem radikalen Neubeginn gewichen. Eine Auffassung, die auch schon die parallel im DHM gezeigte Ausstellung zur Geschichte der Kasseler Weltausstellung documenta als Mythos entlarvt.
Zu den Biografien, die Kurator Brauneis nachzeichnet, gehören bekannte Künstler wie Arno Breker (1900-1991), der Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers. Ihm war es gelungen, dank guter Kontakte zur Industrie, aber auch in die Politik, mit nur wenigen stilistischen Anpassungen sich weiterhin Aufträge zu sichern. Zu den herausragenden Exponaten in der Schau gehört die große Bronzefigur der Pallas Athene, die er in den späten 1950er Jahren für ein Wuppertaler Gymnasium entwarf. Ein Foto zeigt den Künstler 1983 neben einer Porträtbüste des ehemaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard (1897-1977), der zu den Bewunderern Brekers zählte.
Seltene Proteste
Weniger bekannt ist der Kölner Bildhauer Willy Meller (1887-1974). Er war in der NS-Zeit äußerst erfolgreich und hatte unter anderem Bauschmuck für NS-Ordensburgen und das NS-Seebad Prora auf Rügen entworfen. Nach 1945 wurde er als „Mitläufer“ eingestuft. 1952 erhielt er den Auftrag für den „Bundesadler“ am Palais Schaumburg, bis zum Umzug der Bundesregierung nach Berlin der Bonner Amtssitz des Bundeskanzlers. Und er schuf zahlreiche Denkmäler zur Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, darunter 1962 die Trauernde, die bis heute vor dem NS-Dokumentationszentrum in Oberhausen steht.
Proteste gegen die Beauftragung in das NS-Regime verstrickter Künstler, etwa auch in den Medien, blieben selten, wie die Ausstellung deutlich macht. Eine rühmliche Ausnahme sind die zeitgenössischen Debatten, die sich um den Gobelin Frau Musica von 1969 ranken, den Hermann Kaspar (1904-1986) für das Foyer des Meistersingersaals in Nürnberg entwarf. Als junger Künstler hatte er in den 1930er Jahren Mosaiken für die Neue Reichskanzlei in Berlin und für das Haus der Deutschen Kunst in München entworfen.
Bis heute im Foyer
Widerstand gegen Kaspars Lehrtätigkeit an der Münchner Akademie für Bildende Kunst, wo er bereits vor 1945 Professor wurde und – mit nur kurzer Unterbrechung 1945 – bis zu seiner Emeritierung blieb, führte in den 1960er Jahren zu einer langjährigen Debatte über seine Rolle in der NS-Zeit. Der Protest blieb ohne Erfolg, der Gobelin schmückt bis heute das Foyer.
Und schließlich beweist eine eigens vom DHM in Auftrag gegebene Fotodokumentation, wie nach wie vor Arbeiten von Künstlern der „Gottbegnadeten“-Liste öffentliche und halböffentliche Räume prägen. Eine Generallösung für den Umgang damit will Kurator Brauneis nicht anbieten. Er plädiert für eine differenzierte Sichtweise auf die Werke und ihre Rezeption. (epd/mig) Feuilleton Leitartikel
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