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Menschen demonstrieren gegen den Klimawandel © gabe.cr @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Straftatbestand Ökozid

Verbrechen gegen die Natur vor Gericht?

Die Verursacher von Klimawandel und schweren Umweltschäden vor Gericht zu bringen, galt lange als idealistisches Ziel von Aktivisten. Nun interessieren sich immer mehr Juristen und Regierungen für das Verbrechen des Ökozids.

Von Dienstag, 20.07.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 19.07.2021, 16:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Es geht um Verbrechen wie Wasserverseuchung, Zerstörung von Regenwald oder Beschleunigung der Erderwärmung: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag soll nach dem Willen von Aktivistinnen und Aktivisten auch wegen Ökozids Ermittlungen aufnehmen können.

Seit Jahren kämpfen sie dafür, dass der Katalog der zu verfolgenden Verbrechen erweitert und damit die Anklage von Personen möglich wird, die für derlei massive Schäden für die Umwelt verantwortlich sind. Bisher kann das Gericht wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und des Verbrechens der Aggression ermitteln – Taten, die in erster Linie Menschen schaden.

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Zunehmend befassen sich nun auch Juristinnen und Juristen mit dem Umwelt-Thema. Ende Juni legte eine Expertengruppe erstmals eine Definition des Straftatbestands vor. Als Ökozid werden demnach Taten bezeichnet, die unrechtmäßig oder mutwillig mit dem Wissen begangen werden, dass sie schweren und großflächigen oder langfristigen Schaden an der Umwelt verursachen.

Wegweisendes Urteil gegen Shell

Quick-Info: Der Klimawandel und zunehmende Umweltkatastrophen – Wüstenbildung, Anstieg des Meeresspiegels, Überschwemmungen oder Dürre – gelten inzwischen zu den größten Fluchtursachen weltweit. Seit 2008 wurden durchschnittlich 26 Millionen Menschen jährlich aufgrund extremen Klimas in die Flucht getrieben. Die Zahl der klimabedingten Katastrophen steigen von Jahr zu Jahr.

Der von der Stiftung „Stop Ecocide“ ins Leben gerufenen Expertengruppe gehören unter anderen der britische Völkerrechtler Philippe Sands, Charles C. Jalloh von der UN-Völkerrechtskommission und der frühere Richter am Strafgerichtshof Tuiloma Neroni Slade an. „Immer häufiger gibt es Versuche, die Macht des Gesetzes zu nutzen, um mehr Umweltschutz zu erreichen“, sagte der Völkerrechtler Sands Ende Juni bei einer Veranstaltung der deutschen Botschaft in Den Haag. Die Anerkennung von Ökozid im Völkerrecht könnte dazu beitragen.

Unermüdlich versuchen Aktivistinnen und Aktivisten, Firmen, Unternehmer und Manager für schwere Umweltschäden und Mitverantwortung für den Klimawandel vor Gericht zu zerren. Lange galten solche Versuche als unrealistische Vorstellungen von Idealisten. Jüngst sorgte jedoch das Urteil eines niederländischen Gerichts gegen den Ölkonzern Shell international für Aufsehen. Und auch das Konzept des Ökozids stößt auf immer mehr Interesse von Regierungen und Völkerrechtlern, wie die nun vorgelegte Definition der Expertengruppe zeigt.

Straftatbestand unwahrscheinlich

Papst Franziskus erwog bereits im Jahr 2019, Sünden gegen die Umwelt in die Lehre der katholischen Kirche aufzunehmen und Ökozid auf internationaler Ebene als Verbrechen gegen den Frieden zu ächten. Im selben Jahr forderte der Botschafter des Inselstaats Vanuatu, John Licht, bei der Versammlung der Mitgliedsländer des Strafgerichtshofs eine Vertragsänderung, mit der das Verursachen schwerer Umweltschäden bestraft werden könnte. „Wir glauben, diese radikale Idee verdient eine ernsthafte Debatte“, sagte er. Auch das Europäische Parlament legte der EU und ihren Mitgliedsländern im Januar nahe, sich für die Aufnahme von Ökozid als internationales Verbrechen einzusetzen.

Ob der Straftatbestand tatsächlich in den Vertrag des Internationalen Strafgerichtshof, das Römische Statut, aufgenommen wird, ist allerdings genauso fraglich wie die Folge einer solchen Erweiterung. Damit Ökozid als Verbrechen anerkannt wird, müssten zwei Drittel der Mitgliedsstaaten des Gerichts zustimmen, was als unwahrscheinlich gilt.

Düstere Aussichten

Ohnehin würde laut dem Juraprofessor Kevin John Heller eine Vertragsänderung nur für jene Länder gelten, die sie auch akzeptieren. „Die Länder, die am wahrscheinlichsten Ökozid begehen, würden die Anerkennung der Änderung einfach verweigern“, schrieb Heller auf dem Völkerrechtsblog „Opinio Juris“. Diese düsteren Aussichten verringerten die symbolische Bedeutung jedoch nicht, betonte der Rechtswissenschaftler.

Jojo Mehta, die Vorsitzende der international tätigen „Stop Ecocide“-Stiftung, sprach nach der Vorstellung der Definition des Straftatbestands Ökozid von einem historischen Moment. „Die Welt erwacht und erkennt die Gefahr, der wir ausgesetzt sind, wenn wir unseren derzeitigen Kurs fortsetzen“, erklärte sie. Mit der Definition gebe es nun ein arbeitsfähiges Rechtsinstrument, das einem realen und dringenden Bedürfnis der Welt entspreche. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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  1. urbuerger sagt:

    Auf Grund der vielen Verstrickungen der Wirtschaft, der Industrie und des Aktien Kapitals mit der Politik in den meisten Ländern, vor allem aber der Industrienationen, wie z.b. Deutschland, wird es wohl noch eine ganze Zeit dauern, bis diese Gesetzeslage übergreifend eingesetzt werden kann!

    Auch wenn es inzwischen einige Urteile aus diversen Ländern gibt, wie das gegen Shell, glaube ich nicht wirklich dass es zu einem Gesetz kommen wird, welches die Verursacher dieses Tatbestandes auch wirklich bis ins Mark treffen würde!

    Man muss dabei immer bedenken, dass diese Konzerne dermaßen Reich sind, dass ihnen mit Geldstrafen kaum beizukommen ist!
    Einzig mit diversen Handelsbeschrânkungen könnte man eventuell Wirkung erzielen!
    Hierfür bedarf es aber Staaten, die sich nicht von den erpresserischen Maßnahmen der Konzerne einschüchtern lassen, ihnen muss von der Weltgemeinschaft eine Sicherung gestellt werden, dass sie nicht in die finanzielle Abhängigkeit Hineinrutschen, so wie das momentan mit den Verträgen der Chinesen vorauszusehen ist!
    Handeln die Staaten gegen die Interessen der chinesischen Firmen, werden ihnen die staatlichen Gelder Chinas sofort wieder entzogen und zur Rückzahlung gestellt!
    Wird nicht zurückgezahlt oder man kann nicht zurückzahlen, werden Naturalien, wie ganze Häfen, Bahnhöfe oder Bahnstrecken, die mit den Geldern und den chinesischen Firmen gebaut wurden als Eigentum Chinas deklariert!

    Auf diese Weise werden sich viele kleinere Entwicklungsländer mehrfach überlegen, ob sie einen Ökozid zur Anklage stellen lassen wollen!

    Hier muss noch viel Vorarbeit geleistet werden, um aus dem Ökozid eine wirkungsvolle Anklageform zu machen!!!