Hakan Demir, SPD, Bundestag, Neukölln, Kolumne, MiGAZIN
Hakan Demir © Foto: Jannis Chavakis, Zeichnung: MiG

Von Neukölln in den Bundestag

„Ich bin Neuköllner“

Hakan Demir ist Enkel von Gastarbeiter:innen und tritt für den Bundestag an. Alle zwei Wochen berichtet er uns von seinem Wahlkampf, diesmal von seinen Begegnungen am Grill.

Von Mittwoch, 16.06.2021, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.06.2021, 10:17 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

„Sie sind doch Türke“, sagt sie, als sie meinen Flyer sieht und setzt noch einen drauf. „Das hätte ich nicht gedacht.“ Auf die Frage, was sie denn gedacht habe, lacht sie laut auf und ruft. „Berliner!“ Irgendwie finde ich das okay. Denn es gibt das Gerücht, dass Zugezogene sich nur dann als Berliner:innen bezeichnen dürfen, wenn ein:e gebürtige:r Berliner:in sie als solche:n adelt.

An diesem Tag gibt es Sucuk, Couscous, Erfrischungsgetränke, ein paar Bierbänke und ein bisschen Herkunftstalk. Wir sind am Neuköllner Schifffahrtskanal und haben uns eine kleine Ecke reserviert – das Wasser ist ruhig, ab und zu regnet es – aber nur so viel, dass man noch nicht nach Hause geht. Wir haben an diesem Tag zu einem politischen Grillen eingeladen. Und die Kiezbewohner:innen kommen. Es ist eine Bodenzeitung ausgerollt, an der die Menschen anhalten, die sie neugierig macht. Es stehen Themen darauf wie Mieten-, Klima- und Sozialpolitik.

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Familien mit Kinderwagen, junge Paare, Hipster, Nicht-Hipster, Obdachlose, Rentner:innen, Geflüchtete – alle kommen und bleiben für ein paar Momente unsere Gäste. Die Sozialdemokratie scheint für ein paar Stunden wieder dort zu stehen, wo sie hingehört – mittendrin und ganz nah bei den Menschen – nicht auf Podien, nicht auf Tour, sondern hinter dem Grill mit der Zange in der Hand und das Herz auf der Zunge.

„Nein, ich bin kein Türke. Ich bin Neuköllner mit türkischem Hintergrund“, antworte ich der älteren Frau auf der Bierbank. Dennoch erwische ich mich manchmal dabei, dass ich in manchen Vierteln, in denen ich die AfD für stark halte, meinen Namen nicht sofort nenne. Ich bin dann immerzu nur „Der Bundestagskandidat.“ Warum eigentlich? Mach ich mich selbst zum Fremden oder antizipiere ich eine negative Reaktion, eine Konfrontation, der ich überdrüssig bin? Wer „Türke“ sagt, meint vielleicht nichts Böses, aber dennoch meint man für einen kurzen Moment: „Du bist nicht von hier.“ Und das nervt ein bisschen.

Fakt ist: Ich bin von hier und ich will in den Deutschen Bundestag. Ich will Menschen vertreten, die hier leben. Und dann denke ich mir, wie ich kürzlich mein Praktikum bei Curry Paule gemacht habe – ein Unikat der Wurstbranche. Niemand hat mich hier anders behandelt. Hier war ich einfach jemand, der die Wurst schnitt, ab und zu ein wenig berlinert oder anders gesagt: ein Neuköllner mit türkischem Hintergrund, der die Zange in der Hand und das Herz auf der Zunge trägt. Meinung

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