Silence is complicity
Medien über den anti-asiatischen Terroranschlag in Atlanta
Haben Sie in den Nachrichten vom Massenmord an zumeist ostasiatischen Frauen durch den Amoklauf eines Weißen Mannes in Atlanta gelesen oder gehört? Nein? Ich zunächst auch nicht. Und das ist das Problem.
Von Kien Nghi Ha Montag, 12.04.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.11.2023, 15:46 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
Mitten beim Schreiben eines Artikels über anti-asiatische Gewalt platzte die Nachricht über die Ermordung von acht Menschen durch den Amoklauf eines Weißen Mannes in Atlanta in mein Leben hier in Deutschland rein. Das Hauptziel waren sechs ostasiatischen Frauen aus Korea und China. Obwohl ich mental nicht unvorbereitet war, hat mich die kaltblütige Brutalität schockiert. Die Opfer wurden am 16.03.2021 in drei asiatisch geführten Massagesalons erschossen: Daoyou Feng (44), Hyun Jung Grant (51), Suncha Kim (69), Soon Chung Park (74), Xiaojie Tan (49) und Yong Ae Yue (63) wurden von einem Weißen Frauenhasser gezielt ermordet, weil sie in asiatisch markierten Räumen als asiatische Frauen körperliche Pflegearbeit leisteten. Zu den weiteren Opfern zählen auch die ermordeten Delaina Ashley Yaun (33) und Paul Andre Michels (54) und der schwer verletzte Elcias Hernandez-Ortiz, die sich als Klient:innen zufällig zur Tatzeit am Tatort befanden.
„Ohne Social Media und Internet hätte ich in Deutschland über die von mir gewöhnlich genutzten Mainstreammedien möglicherweise bis heute nichts über diesen rassistischen und frauenfeindlichen Anschlag erfahren.“
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Ohne Social Media und Internet hätte ich in Deutschland über die von mir gewöhnlich genutzten Mainstreammedien möglicherweise bis heute nichts über diesen rassistischen und frauenfeindlichen Anschlag erfahren. Ich hatte nur am 20.3.2021 in der morgendlichen Radio-Nachrichtensendung des Deutschlandfunks in der Zeit von 6 bis 9 Uhr die einmalige Chance einen 4-minütigen Bericht zu hören, der Atlanta und die aktuell grassierende anti-asiatische Gewaltwelle vor allem in New York und der San Francisco Bay Area zusammenfasst. Für den Deutschlandfunk war Atlanta ganz offensichtlich kein besonders wichtiges Ereignis, dem übertrieben viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Dem Sender kann ich allerdings zu Gute halten, dass er am 18.03. zwei sehr informative und spannende Interviews mit der Journalistin Nhi Le und der Politikwissenschaftlerin Liya Yu in anderen Programmen gesendet hat, die ich jedoch ohne Podcast verpasst hätte.
Silence is complicity – das sollte jeder denkende Mensch in Post-Holocaust-Deutschland verstehen können. Bei den Redaktionen der Tageschau und der Tagesthemen – sie sind wahrscheinlich nicht die einzigen – könnten Zweifel aufkommen: Bisher wurden in den Fernseh-Hauptnachrichtensendungen der ARD, also dem Goldstandard der deutschen Medienberichterstattung, überhaupt nicht über den jüngsten anti-asiatischen Massenmord in Atlanta durch einen Weißen berichtet – es gibt nur kurze Tagesschau-Onlineberichte, die wie gewohnt wenig Hintergrundinformationen liefern, obwohl der Fall auf dramatische Weise erneut die brutale Dimension des anti-asiatischen Rassismus aufzeigt. Auch Der Spiegel Online hat die politische Dimension dieses Massenmordes nicht verstanden und berichtet in der Rubrik Panorama, wo kuriose Ereignisse aus aller Welt zusammengetragen werden, in diesem Fall zwischen Artikeln über einen Brand in Esslingen und den Problemwolf Roddy. Die tageszeitung verstand zwar, dass das Ereignis politisch motiviert ist, aber in der Printausgabe vom 18.03.2021 liegt der Artikel als kurze Randnotiz auf Seite 10 versteckt. Erstaunlich ist auch wie wenig der eindeutige Hass gegen asiatische Frauen zu Beginn in der Berichterstattung herausgestellt wurde, obwohl dieser Aspekt als zentrales Ereignis und Motiv nicht zu übersehen ist. Wenn dieser kursorische Eindruck der deutschen Medienlandschaft nicht täuscht, dann haben die anti-asiatischen Morde in Atlanta ungeachtet von #MeToo für Weiße Mittelschichtsfrauen nicht einmal den Hauch der Betroffenheit und politischen Relevanz erfahren wie sie bei einem rechtsextremen oder gar islamistischen Terroranschlag in den USA mit der gleichen Anzahl an Weißen Opfern zu erwarten sind.
„Im Unterschied zu den deutschen Leitmedien verstanden in den USA Journalist:innen und Aktvist:innen mit asiatischem Background sofort, dass weder die „asiatisch“ assoziierten Tatorte noch die spezifische Auswahl weiblicher Asian Americans als Opfer zufällig sein können.“
Der anti-asiatische Massenmord in Atlanta wurde in vielen US-Medien als prime time news behandelt nachdem diese eher verhalten und zögerlich über die anti-asiatische Gewaltwelle seit Februar 2021 berichtet haben. Die Frage ist nur wie lange die US-Medien und die US-Politik sich mit Atlanta auseinandersetzen werden, wenn die betroffenen Communities und ihre Allies den politischen und zivilgesellschaftlichen Druck nicht aufrechterhalten. Im Unterschied zu den deutschen Leitmedien verstanden in den USA Journalist:innen und Aktvist:innen mit asiatischem Background sofort, dass weder die „asiatisch“ assoziierten Tatorte noch die spezifische Auswahl weiblicher Asian Americans als Opfer zufällig sein können. Diese Gewalt ist weder im historischen noch im aktuellen Sinne wirklich neu, sondern nur eine weitere Zuspitzung des anti-asiatischen Corona-Rassismus. Trotz hoher Dunkelziffer wurden seit Anfang 2020 von der Initiative Stop AAPI Hate etwa 3.800 Fälle dokumentiert. Besonders stark sind die chinesischen, aber auch die koreanischen, vietnamesischen und philippinischen Communities in den USA betroffen.
Dabei ist es wichtig die Verbindung zwischen dem mörderischen Hass gegen Asiatinnen, aber auch anderen Frauen of Color, ihrer körperlichen Arbeit und den normalen rassistisch-sexistischen Gesellschaftsstrukturen hervorzuheben. In diesem Fall stellen sie keine Gegensätze dar, sondern verstärken sich gegenseitig. Als prekär Beschäftigte ist ihre ethnisierte, gegenderte und sexualisierte Arbeit von Anfang an riskant, gesellschaftlich stigmatisiert und wird von der Polizei routinemäßig kriminalisiert. Auf diese Weise werden nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Persönlichkeit und ihr Körper rassistisch wie sexistisch abgewertet. Ihre körperliche Arbeit kann durch diese Entrechtung umso billiger angeeignet werden, wobei Weiße heterosexuelle Männer aus der Mittelschicht sicherlich am stärksten von diesem gesellschaftlichen Arrangement profitieren. Durch diese Viktimisierung kann auch die gleichzeitige Ausbeutung ihrer asiatischen Weiblichkeit durch eine gesellschaftlich vermittelte Körperarbeit normalisiert oder im worst case auch durch sexualisierte Gewalt erzwungen werden. Der Mörder sah sich durch die Strukturen der normalisierten Ausbeutung und Aneignung berechtigt diese Frauen anzugreifen, ihre Körper grausam zu zerstören und diese ultimativ auf seine brutale und vernichtende Art in Besitz zu nehmen. Nach den Aussagen des Täters mussten die Opfer sterben, weil er sein sexuelles Verlangen nicht kontrollieren kann und sie in den Augen des jungen Weißen christlichen Fundamentalisten nicht nur das exotisierte und erotisierte weibliche Andere, sondern auch eine abgründige Sünde verkörpern, die es auszulöschen gilt. Sie mussten sterben damit er das Gefühl bekam sich retten zu können. Das Leben der asiatischen Frauen hatte für ihn keinen Wert, zählte nichts. Sein Leben bedeutet aber alles in seiner Welt. Seine Sicht auf das Leben und die Welt sind uns altbekannt. Es ist die Weltsicht eines Kolonialherrn, der nur sich selbst als Mensch sieht und anerkennt.
„Es bleibt zu hoffen, dass auch in diesem Fall nicht die Sicht des Täters sich medial, juristisch und politisch durchsetzt und er in dieser Geschichte nicht die Definitionsmacht über seine Opfer hat.“
Diese Gewalttat erinnert an die Kolonialgeschichte der USA, in der anti-chinesische Pogrome ebenso wie Genozide gegen Natives nicht jenseits, sondern überkreuzt zur Schwarz-Weißen-Dichtomie der Versklavung tief in der Gesellschaft verankert sind und Weiße Identität bis heute mitprägen. Andere US-Medienberichte spiegelten diese Identität, indem sie mit historischer Ignoranz aufwarteten und z.T. unwidersprochen die unglaubwürdigen Aussagen des Täters kolportieren, der ein rassistisches Motiv bestreitet und von der Staatsanwaltschaft bisher nicht des hate crime beschuldigt wird. Dabei gibt es medial wenig beachtete Augenzeugenberichte der südkoreanischen Tageszeitung Chosun Ilbo, dass der Mörder „I am going to kill all the Asians“ bei seiner notwendigerweise geplanten Tat ausgerufen hat. Statt diesen Spuren nachzugehen, hatte der ermittelnde Weiße Polizeikapitän augenscheinlich großes Mitgefühl für den Täter, da er das Massaker als „a really bad day for him“ interpretierte und die Täter-Inszenierung als krankes, sexsüchtiges Opfer in Zentrum stellte. Wie sich herausstellte, hatte dieser Polizist T-Shirts mit rassistischen und anti-chinesischen Slogans zum Thema „Coronavirus“, die von der Firma eines früheren Polizeisheriffs hergestellt wurden, 2020 auf Facebook gepostet. Es bleibt zu hoffen, dass auch in diesem Fall nicht die Sicht des Täters sich medial, juristisch und politisch durchsetzt und er in dieser Geschichte nicht die Definitionsmacht über seine Opfer hat.
„Wenn der Eindruck nicht gänzlich täuscht, haben z.B. asiatische Influencer:innen in der Diaspora bisher kaum oder gar nicht über die anti-asiatische Gewaltwelle berichtet und auf ihren Kanälen geteilt. Der Unterschied im Vergleich zur medialen Anteilnahme bei der Ermordung von George Floyd sticht dabei ins Auge.“
Wenn der Eindruck nicht gänzlich täuscht, haben z.B. asiatische Influencer:innen in der Diaspora bisher kaum oder gar nicht über die anti-asiatische Gewaltwelle berichtet und auf ihren Kanälen geteilt. Der Unterschied im Vergleich zur medialen Anteilnahme bei der Ermordung von George Floyd sticht dabei ins Auge. Symptomatisch für den medialen und politischen Umgang ist der Fall des getöteten Filipino American Angelo Quinto im kalifornischen Antioch. Er wurde am 23.12.2020 zu Hause vor den Augen seiner Familie durch Weiße Polizisten getötet. Auch als der Fall Ende Februar 2021 durch einige Medienberichte etwas bekannter wird, ändert sich diese Situation nicht, obwohl ein wenig beachtetes Video vorliegt. Nach Zeug:innenaussagen wurde Angelo Quinto wie George Floyd mit der berüchtigten Knie-Hals-Erstickungstechnik getötet, obwohl er unbewaffnet war und niemand bedrohte. Seine letzten Worte „Please don‘t kill me“ werden wohl im Unterschied zu anderen männlich konnotierten Äußerungen wie Michael Browns „Hands up, don‘t shoot“ und George Floyds „I can‘t breathe“ wohl nicht als ikonische Symbole des systemischen Rassismus in die Geschichtsbücher eingehen. Wie dieses Beispiel verdeutlicht, hat das sich ausbreitende und etablierende anti-rassistische Wissen Schlagseiten, Lücken und Blindstellen. Dies zeigt einmal mehr, dass anti-rassistische Bewegungen auch ungewollt und unbeabsichtigt Rassismus unsichtbar machen und Opfer erster und zweiter Klasse mitkreieren können. In Deutschland ist Angelo Quinto fast gänzlich unbekannt, da Medien wie Der Spiegel oder die tageszeitung bisher gar nicht berichtet haben. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass Black Lives Matter nur ein Modephänomen des Weißen Mainstreams war, das einen billigen Nachweis eigener Hipness und die Selbstaufwertung der liberalen Mittelschicht ermöglicht, um sich trendy, sexy und cool zu fühlen. Asiatische Rassismusopfer schmecken nicht wie Adobo, Dimsum, Kebab, Kimchi, Masala, Pho, Safranhuhn oder Sushi. Unsere Körper werden anscheinend nicht durch ästhetisierende Identifikation konsumiert, sondern im Gegensatz dazu durch Distinktionsgewinn verwertet. Es sieht so aus, als ob ein asiatisches Leben in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie weder auf Youtube noch im Feuilleton viel Wert ist. Solange wir aber unser eigenes Leben nicht wirklich wertschätzen, dürfen wir uns nicht wundern das andere es auch nicht tun.
Ich hoffe, dass Atlanta zu einem turning point im medialen und vielleicht sogar im gesellschaftlichen Umgang mit anti-asiatischer Gewalt wird. Nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Diasporen müssten anti-rassistische Forderungen erneut zur globalen Botschaft werden. Sicherlich besteht die Gefahr, dass eine solche Kampagne als Branding und Marketing benutzt werden kann und die Opfer durch missbräuchliche Aneignung erneut viktimisiert werden. Dagegen hilft nur ein bewusster Umgang und ggf. massiver Protest. Eine konzertierte mediale und politische Initiative würde uns die Chance eröffnen nicht nur auf strukturelle und institutionelle Ausschlüsse hinzuweisen, sondern auch andere Communities und Aktivist:innen of Color anzusprechen. Das hat nicht nur strategische Gründe, weil asiatische Communities in der Diaspora häufig isoliert und zersplittert agieren, aber auch in der Gesellschaft politisch und kulturell bisher eher schwach aufgestellt sind. Vor allem ist gleichberechtigte interkommunale Solidarität bei der gleichzeitigen Beachtung von Differenzen in und zwischen Individuen, Organisationen und Communities der einzige Weg eine tatsächlich befreiende Politik des Anti-Rassismus zu leben.
MeinungInfo: Der Text ist ein Auszug aus dem Artikel „Machtkritische Solidarität? Anti-asiatische Gewalt und interkommunale Allianzen“, der im Frühjahr 2021 in der erweiterten Neuauflage des Sammelbands „Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond“ (Verlag Assoziation A) erscheinen wird. Der Beitrag wurde in leicht veränderter Form als Rede auf der Demonstration „In Gedenken. In Widerstand: Solidarität mit Atlanta und mit Asiatischen Diaspora Communities“ am 28.03.2021 vor dem Brandenburger Tor und der US-Botschaft gehalten.
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