Walter Lübcke, Mord, Rassismus, Rechtsextremismus, Trauerfeier
Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde Opfer eine rechtsextrem motivierten Anschlags

Kein Schlusspunkt

Der Kampf gegen rechts soll weitergehen

Der Mörder von Walter Lübcke muss lebenslang in Haft. Dass Stephan Ernst ein Einzeltäter war, mögen viele indes nicht glauben. Der Linken-Politiker Schaus setzt sich dafür ein, die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zu untersuchen.

Von Freitag, 29.01.2021, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.01.2021, 20:28 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Urteile sind gefallen: Lebenslang für Stephan Ernst, den Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, ein Jahr und sechs Monate Haft auf Bewährung für den Mitangeklagten Markus H. Doch abgeschlossen ist der Fall damit nicht. Es bleiben Trauer und Schmerz – besonders für die Familie des Ermordeten, die als Nebenkläger an den meisten der 45 Verhandlungstagen teilgenommen hatte. Es bleibt die Kritik an Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutz, die von Beteiligten, Aktivisten und Politikern schon während des Verfahrens laut geworden war.

Die 17-jährige Enya Döhne stand am Donnerstagmorgen mit weiteren Schülervertretern und Lehrern im Regen vor dem Gericht, in der Hand ein Transparent mit den Worten: „Demokratische Werte sind unsterblich – Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“. Dazu zeigten die junge Menschen große Porträtfotos von Walter Lübcke.

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„Schluss mit rechten Netzwerken in Sicherheitsbehörden“

Sie wollten „ein Zeichen gegen rechts setzen“ und der Familie Lübcke ihr Mitgefühl und ihren Respekt ausdrücken, sagte die stellvertretende Schulsprecherin dem „Evangelischen Pressedienst“. Die Schule im Heimatort Lübckes hatte sich im September 2019 nach dem getöteten Politiker benannt und sieht sich in der Tradition der Werte, die Lübcke vertrat – und die aus Sicht des für den Mord zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Stephan Ernst der Grund für seinen Tod waren. Gerade für junge Menschen sei es wichtig, in Gesprächen mit Menschen, die solche Werte verneinten, klar Position zu beziehen, sagte die 17-Jährige.

Weiter in ihren Forderungen gingen die Frauen und Männer, die vor dem Gerichtsgebäude ein Transparent hochhielten mit der Forderung: „Schluss mit rechten Netzwerken in den Sicherheitsbehörden“. Das sei nötig „für eine umfangreiche Aufklärung, die rechte Netzwerke in Gesellschaft und Staat offenlegt und sämtliche Verbindungen zum Verfassungsschutz und NSU aufdeckt“, hieß es auf einem Flugblatt der „Interventionistischen Linken“ Frankfurt.

Linke: Kein Einzeltäter

Der Gegensatz zwischen rechtsextremen Netzwerken und der Einzeltäterthese treibt auch den Landtagsabgeordneten Hermann Schaus (Linke) um. Der Mitinitiator und stellvertretende Vorsitzende des Lübcke-Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtags hatte sich mitten in der Nacht angestellt und so einen der 18 Plätze im Zuschauerraum ergattert. „Ich bin überzeugt, dass E. kein Einzeltäter war“, sagte er nach der Urteilsverkündung. Der Ausschuss werde die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und die Rolle des Verfassungsschutzes genau untersuchen.

Wie schon beim NSU-Prozess sei das neonazistische Umfeld von Ernst und H. in Nordhessen zu wenig in den Blick genommen worden. Und wenn bei den Ermittlungen „nur auf die Tat geschaut wird, dann kommt natürlich ein Einzeltäter heraus“, sagte Schaus mit Blick auf Ernst.

„Komplettversagen“ der Sicherheitsbehörden

Der Anwalt der Familie Lübcke, Holger Matt, der in seinem Plädoyer von einem „Komplettversagen“ der Sicherheitsbehörden gesprochen hatte, sagte am Donnerstag: „Das Urteil überrascht uns nicht, wir sind dennoch enttäuscht über den Freispruch von H.“ Das Gericht sah, anders als die Anklage, keine Beihilfe von H. zu der Tat.

Wäre das Umfeld stärker einbezogen worden, auch in Richtung einer rechtsterroristischen Vereinigung, hätte man zudem auch H. stärker belasten können, kritisierte Schaus. Ähnliches gelte auch für die Ermittlungen zum Messerangriff auf Ahmed I., der rund drei Jahre vor dem Mord an Lübcke stattgefunden hatte und für den das Gericht Ernst freisprach.

Ahmed I.: Ein zweites Mal verraten

Geradezu wütend über diesen Freispruch äußerte sich der schwer verletzte Ahmed I.: „Ich bin sehr traurig, dass ich in Deutschland ein zweites Mal einen Verrat erleben musste“, sagte er mit Blick darauf, dass er sich schon von Polizeibeamten immer wieder schlecht behandelt gefühlt habe. Sein Anwalt Alexander Hoffmann hatte von „institutionellem Rassismus“ bei der Polizei gesprochen.

Die Kritik an den Ermittlungen bleibt, Schmerz und Trauer bleiben – und auch die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler, die Werte Lübckes weiterzutragen. Auch die Familie wollte mit ihrer Nebenklage ein Zeichen gegen Hass und Gewalt setzen, sagte deren Sprecher Dirk Metz am Donnerstag und betonte: „Und das ist gelungen.“ Aus ganz Deutschland habe die Familie Botschaften in diesem Sinne erhalten. (epd/mig) Leitartikel Recht

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  1. Ute Plass sagt:

    „Das Urteil deckt keine Tat auf, sondern schützt Zusammenhänge, die nicht „auffliegen“ dürfen.“https://www.nachdenkseiten.de/?p=69329

    Mit einem zunehmenden ‚autoritären Kapitalismus‘ der als
    ‚marktkonforme Demokratie‘ daher kommt, ist der Kampf gegen rechts‘ leider nur hohle Rhetorik.