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Lübcke-Prozess

Ex-Justizministerin: Strukturelle Defizite im Kampf gegen Rechtsextremismus

Ein Jahr nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke hatt der Prozess gegen die beiden Verdächtigen begonnen. Die Hinterbliebenen wollen alle Umstände der Tat erfahren. Die Kritik an einem Versagen der Behörden wiegt schwer.

Mittwoch, 17.06.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.06.2020, 23:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Familie von Walter Lübcke will mit ihrer Nebenklage im Mordprozess am Frankfurter Oberlandesgericht ein Signal gegen Hass und Gewalt setzen. Die Witwe und die beiden hinterbliebenen Söhne teilten die Werte und sozialen Überzeugungen des vor gut einem Jahr getöteten Kasseler Regierungspräsidenten, sagte Dirk Metz als Sprecher der Familie am Dienstagmorgen vor Prozessbeginn. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) beklagte in Zusammenhang mit dem Mordfall anhaltende strukturelle Defizite bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus.

Am Oberlandesgericht Frankfurt am Main sind Stephan E. (46) und Markus H. (44) angeklagt. Die Bundesanwaltschaft wirft Stephan E. Mord vor, Markus H. Beihilfe zum Mord. Stephan E. ist in einem weiteren Fall des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung angeklagt. Er soll 2016 in Lohfelden bei Kassel einen Flüchtling niedergestochen haben. Das Gericht hat bis Ende Oktober 32 Verhandlungstage vorgesehen.

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Die Bundesanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten vor, aus rechtsradikaler, fremdenfeindlicher Gesinnung gehandelt zu haben. Lübcke soll seit einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden zur Zielscheibe fremdenfeindlichen Hasses geworden sein. Damals warb er für die Eröffnung einer Flüchtlingsunterkunft und wehrte sich gegen störende Zwischenrufe.

Anwalt der Familie: Übelste Beweggründe

Der Anwalt der Familie, Holger Matt, sagte, die Nebenklage wolle alle Umstände der Mordtat erfahren. „Nach meiner Überzeugung handelt es sich um ein kaltblütig geplantes, heimtückisch begangenes, feiges Mordverbrechen aus übelsten Beweggründen“, sagte Matt.

Leutheusser-Schnarrenberger sagte, es sei unstrittig, dass der hessische Verfassungsschutz in Bezug auf die Gefährlichkeit des Tatverdächtigen zu einer Fehleinschätzung gekommen sei. „Es geht hier nicht um jemanden, der noch nie auffällig geworden ist, sondern es geht hier um einen Angeklagten, der verurteilt war, der Kontakte hatte, der im Blickfeld war“, erklärte sie am Dienstag im SWR. „Dass der dann mit einem Mal aus dem Radar verschwindet, das kann und darf Verfassungsschutzbehörden nicht passieren.“

SPD fordert politische Aufarbeitung

Offenbar sei in Teilen der Verfassungsschutzbehörden auch weiterhin nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit auf Rechtsextremismus und die Gefährdungen daraus geachtet worden, sagte die FDP-Politikerin. Ob neben strukturellen Veränderungen auch personelle Konsequenzen gezogen werden müssten, solle der geplante Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages klären.

Die hessische SPD-Vorsitzende Nancy Faeser forderte eine politische Aufarbeitung des Mordes an Lübcke. Der geplante Untersuchungsausschuss solle klären, warum der mutmaßliche Täter vor der Tat nicht mehr vom Verfassungsschutz des Landes beobachtet worden sei, sagte Faeser am Dienstag im Deutschlandfunk. Der Mann habe Vorstrafen gehabt, die eindeutig rechtsextremistisch motiviert gewesen seien. Von dem Prozess erhoffe sie sich Hinweise auf eine Vernetzung der Neonazis untereinander, sagte Faeser.

Linke: Keine Einzeltäter

Auch die Fraktion der Linken im hessischen Landtag will in dem geplanten Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke Versäumnissen der Sicherheitsbehörden nachspüren. Noch im Frühjahr 2015 sei im damaligen NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags ein Dokument erörtert worden, in dem E. und H. unter anderen Neonazis in Nordhessen genannt worden seien, sagte der innenpolitische Sprecher der Linken, Hermann Schaus, am Montag in Wiesbaden.

Ihre Namen seien dem Verfassungsschutz bekannt gewesen. Merkwürdig sei, dass die Akte von E. im Verfassungsschutz praktisch zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Juni 2015 gelöscht worden sei, die Akte von H. im Januar 2016 noch nach der Lohfelder Bürgerversammlung. E. und H. seien keine Einzeltäter, sondern hätten sich seit vielen Jahren in rechtsextremistischen Kreisen bewegt. (epd/mig) Aktuell Panorama

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