Anja Hilscher, Migazin, Autorin, Muslima, Islam, Religion
Anja Hilscher © privat, Zeichnung: MiG

Kritische Masse

Ihre ach so tolle Unabhängigkeit

Denken Sie wirklich, Sie sind nicht manipulier- und verführbar? Denken Sie ernsthaft, Sie hocken nicht genauso in Ihrer Meinungsblase wie Trump-Wähler, Daesh-Terroristen oder Neonazis?

Von Donnerstag, 10.12.2020, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.12.2020, 17:35 Uhr Lesedauer: 16 Minuten  |  

„Kommst du kurz mit ins Treppenhaus? Ich will eine rauchen!“ sagte Irini. Mein Kumpel – ihr Freund! – sah sie entgeistert an: „Äh…du weißt doch, dass ich vor einer Woche aufgehört habe!“ „Na und?“, fragte Irini entgeistert zurück „Du sollst doch nicht mitrauchen. Ist doch deine freie Entscheidung! Hast du null Disziplin, oder was?“

Das wahrscheinlich raffinierteste Erfolgsrezept des Shaitans [Teufel] ist wohl, uns glauben zu machen, wir seien tatsächlich alle völlig unabhängig und selbstbestimmt. Diese Idee, wir seien mündige, aufgeklärte Bürger – nur, weil in unseren Lehrplänen steht, das sei anzustreben – sitzt tief in unseren Köpfen. Wir sind alle felsenfest davon überzeugt, wir wären im Dritten Reich im Widerstand gewesen und hätten, wären wir US-Bürger, natürlich nicht Trump gewählt. Irini – ebenso wie alle Süchtigen der Welt – hat natürlich selbst alles voll unter Kontrolle und könnte sofort aufhören mit Rauchen. Blöd sind immer nur die anderen.

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Aber jetzt mal Butter bei die Fische, liebe Migazin-Leser! Denken Sie wirklich, Sie sind nicht manipulier- und verführbar? Denken Sie ernsthaft, Sie hocken nicht genauso in Ihrer Meinungsblase wie Trump-Wähler? Glauben Sie, Trump-Wähler lachen sich, nach ihrer Stimmabgabe, diabolisch ins Fäustchen und rufen: „Yesss! Weitere vier Jahre für einen bösen, obszönen, frauenfeindlichen Kretin, der dumm ist wie drei Meter Feldweg!“ Äh…nein?! Diese Leute haben natürlich ein anderes Bild von Trump als wir! Und denken Sie wirklich, muslimische Jugendliche, die nach Syrien gehen, um sich der Terrorbande Da‘esh anzuschließen, beziehen ihre Infos aus ZDF-Reportagen? Denken Sie, die schreiben in ihrem Abschiedsbrief „Liebe Mama! Nicht traurig sein, aber ich muss meinen Glaubensgeschwistern beistehen. Du weißt, unser Glauben erlegt uns auf, grundlos Unschuldige abzumetzeln und gewaltsam eine Terrorherrschaft zu errichten! “ Äh…nee? Denen werden in ihren Bubbles andere Geschichten aufgetischt. Die denken auch, es geht um Verteidigung. Um Gut gegen Böse. Und, dass ihre Seite natürlich die gute ist. Und – ob Sie‘s glauben, oder nicht, die haben tatsächlich auch überzeugende Argumente. Denken Sie, jeder 16-jährige Nachwuchsnazi in Ostdeutschland sei dumm oder ein von Grund auf boshafter Charakter? Wäre es nicht möglich, dass er einfach „nette Nazis“ kennengelernt hat, die ein Jugendzentrum aufbauen, und die ihm erzählen, wie wichtig es sei, naturnah zu leben und die eigenen Traditionen am Leben zu halten? Hätten Sie etwas gegen diese Argumentation einzuwenden? Nein? Dann können Sie davon ausgehen, dass der 16-jährige Realschüler da erstmal auch keine bösen Absichten wittert.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist nicht alles so einfach, wie es aussieht. Es reicht nicht, „guten Gruppen“ anzugehören, um „gut“ zu sein. Es reicht nicht, in der BRD aufgewachsen zu sein, um aufgeklärt zu sein und die Demokratie am Leben zu erhalten. Der Shaitan, also so das Prinzip des Bösen, zu dem wir alle auch eine Anlage haben, ist nicht auf den Kopf gefallen, wissen Sie. Er kapert positive Ideen und Bewegungen. Er macht sich gute Absichten zunutze, indem er sie, schleichend, in eine andere Richtung umlenkt – oder in Extremismus abgleiten lässt. Muslime beten, wenn sie fromm sind, fünfmal am Tag: „Führe uns auf den geraden/mittleren Weg!“ Sprich: Der mittlere, maßvolle Weg ist immer der Richtige. Konkret wird z.B. davor gewarnt, so viel zu spenden, beten oder fasten, dass man selbst am Hungertuch nagt und die Schnauze voll hat. Der Koran formuliert das etwas anders, aber darauf läuft es hinaus. Man soll nicht unnötig nach noch mehr Geboten betteln, die man dann hinterher eh nicht einhalten wird. Außerdem ist es angeraten, ab und zu den Selbst- und Faktencheck zu machen, und zwar auf Herz und Nieren: „Was wird das hier eigentlich gerade? Was ist meine Absicht, was meine Motivation? Wohin führt es, wenn ich mich so verhalte?“ Wenn ich so fanatisch bin, dass ich Humor und Lebensfreude verliere und meine gesamte Umgebung in die Flucht treibe, weil ich auch sie tyrannisiere und sofort abstempele, dann bin ich, islamisch gesehen, auf dem Holzweg. Jeder Fanatiker ist von Grund auf von Panik beherrscht, und Panik ist die Lieblingsemotion des Shaitan. Das gilt für religiöse Anschauungen, aber auch für andere Ideologien. Vom Grundsatz her gute Handlungen und tolle und wichtige Ideen können jederzeit destruktiv werden: religiöse Bewegungen, Nächstenliebe, Frauenbefreiung. Gesunde Ernährung. Umweltschutz. Antirassismus. Das Streben nach kultureller Vielfalt, Gesundheit, Freiheit, Sicherheit, spiritueller Erkenntnis usw. usw.

Kaum haben wir eins dieser Ziele ernsthaft ins Visier genommen, ist größte Vorsicht geboten. Je größer der Idealismus, desto größer die Gefahr, abzustürzen: „Am Fuße des Leuchtturms ist es besonders dunkel“! Habe ich bei Facebook kürzlich gelesen. Irgendwas Buddhistisches. Könnte natürlich prinzipiell auch was Islamisches sein, aber erstens sind Leuchttürme in der Wüste eher rar gesät, und zweitens haben wir Muslime es mit Weisheiten momentan ja nicht so. Wird sich aber ändern, inshaallah, das merken Sie ja gerade. Ich erkläre Ihnen diese These mal anhand einiger Beispiele – antiautoritäre Pädagogik, Frauenbewegung, Spiritualität, Minimalismus/Nachhaltigkeit:

Die antiautoritäre Bewegung zum Beispiel erkannte, dass es kaum etwas Destruktiveres gibt als die brutale, herzlose Erziehung zum Kadavergehorsam, wie sie in unseren gestörten Breitengraden seit Jahrhunderten üblich war. Das ging übrigens schon im Säuglingsalter los. Dass das Schreienlassen „die Lungen kräftigt“ war eine seit Ewigkeit bekannte Binsenweisheit, die fleißig befolgt wurde. Jeder japanischer Pflegeroboter ist wahrscheinlich warmherziger als damals so richtig preußische Eltern. „Man muss den Willen der Kinder brechen, bevor sie zwei sind!“ wusste mein Urgroßvater. Hitler fand diesen japanisch-preußischen Erziehungsstil ziemlich klasse. Der sadistische Erziehungsratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ erreichte Millionenauflagen, übrigens bis weit in die Fünfziger hinein.

Die antiautoritäre Bewegung erkannte, dass das grausam und widernatürlich gewesen war. Deshalb ermutigten sie die Kleinkinder ausdrücklich, sich selbst zu entfalten. Etwa, in Doktorspielen ihre Körperöffnungen zu erkunden, obwohl die Kinder, im Gegensatz zu den Erziehern, da vielleicht gar keine Lust darauf hatten. Sie wiesen darauf hin, dass es völlig ok sei, den Bezugspersonen mit Holzklötzen auf den Kopf zu hauen oder Scheiße an die Wand zu schmieren. Weil das vorher verboten gewesen war. Meine Mutter setzte mich in eine Schlammpfütze, um sich von den Erziehungsmethoden ihres Opas abzugrenzen. Ich stand angeekelt auf und hielt ihr meine dreckigen Hände hin: „Sauber machen!“ Ich kannte den Uropa nämlich gar nicht. Im alternativen Kindergarten erklärte ich, dass es ziemlich langweilig sei, immer nur zu tun, was ich wolle. Ich fand es anstrengend, 24/7 Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Ich persönlich habe zwar die durchaus guten Absichten meiner Mutter erspürt und von diesem hippiemäßigen Erziehungsstil, der dazu animieren sollte, sich wirklich selbst zu erkennen, profitiert. Was man daran merkt, dass ich dagegen protestiert habe. Aber ich glaube, insgesamt ist es keine so brillante Idee, sämtliche überkommenen Werte über den Haufen zu werfen, nur, weil sie eben überkommen sind. Ich vermute, Abermillionen vereinsamter Omas und Opas in Altersheimen sehen das ähnlich. Das verdammte Silikon Valley ist voll von solchen Hippiekindern, und ich mag das Silikon Valley einfach nicht.

Die (erste) Frauenbewegung war bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aktiv und kämpfte für Dinge, die Musliminnen in Arabien bereits im siebten Jahrhundert besessen hatten. Wahlrecht, Recht auf Besitz, Bildung, Scheidung etc. Diese Bewegung wurde, ebenso wie die zweite in den Siebzigern, überaus gründlich und nachhaltig zur Ader gelassen. Edward Bernays, Freuds Neffe und Vater der „PR“, nutzte sie für einen überaus erfolgreichen Werbecoup für Zigaretten und erschloss Philip Morris einen riesigen Markt. Die Nazis, die Fans von Bernays waren, manipulierten das Volk nach Belieben und appellierten auch an das (vermeintliche) neue Selbstbewusstsein der Frauen, die jetzt ihre „Stärke“ zeigen durften: Zunächst als Gebärmaschinen, später auch als x-fach-belastete alleinerziehende Mütter und Mitarbeiterinnen in Munitionsfabriken. Auch in den folgenden Jahrzehnten konnten die inzwischen „emanzipierten“ Frauen zeigen, wie wenig sie wirklich kapiert hatten. Je nach Belieben und aktuell politisch gewünschtem Frauenbild, ließen sie sich umherschubsen – und nahmen dabei stets an, nur „selbstbewusst“ ihre „individuellen Wünsche“ auszuleben. So wie Magda Goebbels meinte, nur ihrem natürlichen, tief verankerten Wunsch zu folgen, eine große Kinderschar zu gebären, folgen heutige Frauen kollektiv ihrem natürlichen, höchst individuellen Wunsch, alleine um die Welt zu reisen und Manageretagen zu erobern. Der Gipfel der Pervertierung der Emanzipationsbewegung war wahrscheinlich erreicht, als gewisse prominente Vertreterinnen (nachdem sie damit fertig waren, dem Kapitalismus den Steigbügel zu halten) begannen, die Frauen weiter aufzuspalten, indem Sie nach allen Regeln der Kunst gegen den Islam hetzten. Anstatt islamische Frauenbewegungen zu unterstützen.

„Seit der Lektüre von „Haben oder Sein“ lese ich lieber gute Bücher dreimal und denke drüber nach, statt neue zu lesen.“

Minimalismus? Konsumreduktion? Bisschen runterfahren? Kann man da was gegen sagen? Klingt doch total nachhaltig und trendy, oder? „Simplify your life!“, lautete der Titel des Buches, das mich vor einiger Zeit in der Bücherei anlachte. Ausgeliehen, geschweige denn ge- oder gar durchgelesen habe ich „Simplify your life!“ natürlich nicht. Ich glaube, ich hätte dort auch nicht viel Neues erfahren. Ich lese lieber den Titel und dann meditiere ich drüber. Hinterher mache ich eine Kolumne draus. Erich Fromm wäre stolz auf mich. Seit der Lektüre von „Haben oder Sein“ lese ich lieber gute Bücher dreimal und denke drüber nach, statt neue zu lesen. Oder gar zu kaufen.

Begeistert war ich aber von der Tatsache, dass sich die Ideen des „Weniger ist Mehr“, der „Entschleunigung“, des „Minimalismus“, „Digital Detox“ „Slow Food“ (und, spätestens seit Corona, des Zuhausebleibens) immer mehr zum Trend entwickeln. Ich begann, dem Thema auf der Spur zu bleiben. Zu Hause begann ich, mir Dokus über „minimalistisch“ lebende Leute reinzuziehen. Ich erinnere mich an einen Bericht über einen jungen Mann, der stolz berichtete, er besäße nur 50 Gegenstände und zöge, befreit von einengenden sozialen Bindungen, seit Jahren als Arbeitsnomade durch die Lande. Weiterhin sah ich eine Reportage über ein Paar, das sich, unter Einsatz von viel Zeit, Geld und Nerven, auf ausgeklügelte Weise auf 8 Quadratmetern in ihrem neuerworbenen „Tiny House“ einrichteten, wozu sie natürlich ihr Leben umgekrempelt, und nicht nur Dinge, sondern auch Menschen hinter sich gelassen hatten. Ich spürte plötzlich einen schalen Geschmack im Mund. Ein nicht genau definierbares Gefühl der Leere. Warum nur? Ich schaltete den Laptop aus und versuchte es mit Nachdenken. Erfolglos. Angesichts der Tatsache, dass sich die erhoffte Eingebung nicht einstellen wollte, tat ich das, was Menschen tun, wenn die Flimmerkiste wahlweise an oder aus ist: Ich aß Schokolade. Ritter Sport weiß mit ganzen Nüssen. Wie bitte? Kennen Sie nicht? Aber vielleicht kennen Sie das Phänomen, wenn Essen so einmalig lecker ist, dass sie die auf der Zunge liegenden Ausrufe des Entzückens in letzter Sekunde unterdrücken. Und zwar, um ihrem Gegenüber nicht mal probehalber einen Bissen abgeben zu müssen. So ging es mir das erste Mal mit Ritter Sport weiß mit ganzen Nüssen. Die Tatsache, dass das „Gegenüber“ mein eigenes Kind war, macht die Sache nicht eben rühmlicher. Aber Schwamm drüber.

Die Sache mit den Dokus ist inzwischen einige Jahre her. Das Gefühl eines unerklärlich schalen Geschmacks im Mund stellte sich später noch einige Male ein. Ein Bekannter von mir ist ein nachdenklicher, zurückgezogener Mensch, der viel liest. Seit Jahren meditiert er regelmäßig. Hell begeistert zeigte er mir einige der Bücher, die ihn beeindruckt hatten – allesamt mit dem Tenor „Reich/Beliebt/Erfolgreich etc. durch…“ Wahlweise: „positiv Denken/Meditation/Technik XY“ usw. Die neueste Errungenschaft eines anderen Freundes trägt den Titel „How to invest in a sustainable world“. Das Buch ist noch nicht auf Deutsch erhältlich. Sein Englisch ist zwar ziemlich mäßig, aber er hält es für so wichtig und zukunftsweisend, dass er sich, mit Hilfe mehrerer Übersetzungs-Apps, bereitwillig dadurch quält. In Nachhaltigkeit investieren? Hmmm…

„Im Islam steht und fällt alles mit der ‚Niyat‘, der ‚richtigen Absicht‘. Warum tue ich eigentlich, was ich tue? Vielleicht tue ich vermeintlich ‚Gutes‘ einfach, weil es hip ist? Oder, weil ich gestört bin oder damit einfach eigennützige, weltliche Ziele erreichen will? Dann ist es nicht mehr gut. Fertig.“

Inzwischen habe ich des Rätsels Lösung. Also das mit dem schalen Geschmack. Der Lösungssatz lautet: KNAPP VORBEI IST AUCH DANEBEN! Man kann es nämlich nur entweder richtig anpacken oder falsch. Erich Fromm erklärt Ihnen das näher in „Haben oder Sein“. Im Islam steht und fällt alles mit der „Niyat“, der „richtigen Absicht“. Warum tue ich eigentlich, was ich tue? Vielleicht tue ich vermeintlich „Gutes“ einfach, weil es hip ist? Oder, weil ich gestört bin oder damit einfach eigennützige, weltliche Ziele erreichen will? Dann ist es nicht mehr gut. Fertig. Wer meditiert, um reich, beliebt und erfolgreich zu werden, möglichst noch im Wochenend-Crashkurs zu 570 Euro, hat leider das Klassenziel verfehlt. Aber volle Lotte. Der bindungsunfähige Typ mit den 50 Gegenständen hat‘s auch versemmelt. Abenteurer, die weder sesshaft werden noch Bindungen eingehen können, weil sie vor sich selbst weglaufen, gab es schon vor Jahrhunderten. Genau dieser Kategorie Psychos, die uns ihre Not als Tugend oder Coolness verkaufen, haben wir den aktuellen Zustand der Welt zu verdanken. Und sie sitzen im Silikon Valley! Wird Zeit, dass ihr abdankt, ihr neurotischen Spacken! Da könnt ihr euch noch drei „Sapiens“ hinter euer „Homo“ pappen – verstanden habt ihr gar nichts! Ihr merkt nicht, dass ihr nur die eine Getriebenheit durch die andere, das eine Statussymbol durch das andere ersetzt habt! Es gibt kein richtiges Leben im falschen!

Auch das Paar, dass seine Rastlosigkeit und seinen Konsumtrieb einfach auf sein Tiny-House-Projekt umgeleitet hat: Vermasselt! Ebenso wie die Frau, deren Portrait ich vor einigen Tagen in der Zeitung las: Nach einem Burnout ist die ehemalige Managerin mit 70-Stunden-Woche ausgestiegen. Sie lebt jetzt auf dem Land. Im Einklang mit sich und der Natur: „Ommmmm!“ Endlich hat sie ihren Lebenssinn gefunden! Sie meditiert täglich zwei Stunden, hat eine Ausbildung zur Heilpraktikerin gemacht, wuppt einen Biohof und reist durch die Lande, um Vorträge zum Thema „Burnout als Lebenschance“ zu halten. Nebenher betreibt sie eine Webseite.

Dämmert es Ihnen?

„Also, ich kauf ja echt gern. Aber ich schmeiß dann eben auch gerne wieder weg!“ erklärte die Nachbarin auf dem Balkon unter uns eines Tages laut und vernehmlich, als ich gerade die Blumenerde wechselte. Ist nicht so, dass ich extra gelauscht hätte – echt nicht! Selbstverständlich war dieser Satz aus dem Mund meiner Nachbarin nicht selbstironisch, sondern bierernst gemeint – genau deshalb ist er ja so komisch. Die besagte Nachbarin war wahrscheinlich der Ansicht, es sei ein Zeichen ihrer Spiritualität, dass sie sich von materiellen Besitztümern gut „trennen“ könne. Bei dem Wort „trennen“ werde ich immer hellhörig. „Sich trennen können“ ist nämlich auch so eine vom Neoliberalismus gekaperte Esoterikformel. Der Neoliberalimus, aka Shaitan, findet es klasse, wenn Sie sich von allem Möglichen trennen: Sachen (Sonst haben Sie ja keinen Platz für den ganzen neuen, pseudonachhaltigen Krempel, den Sie brauchen, um im Trend zu liegen!) oder auch von Menschen (Man braucht „Abstand“, um sich selbst zu „entwickeln“, Kinder müssen sich unbedingt „ablösen“ und zu viele Kompromisse sollte man keinesfalls eingehen – außer natürlich, wenn es um die Karriere geht. Da dürfen Sie sich nach Herzenslust verbiegen und selbst belügen). Last not least aber müssen Sie sich von einem trennen: Ihrer Persönlichkeit, Ihren Überzeugungen, Prinzipien, Werten und Gewohnheiten. „Innovation“ ist das Lieblingswort des neokapitalistischen Shaitans. Hau weg, den Scheiß! Alt ist schlecht, neu ist gut. Ein völlig gesichts- und geschichtsloser, bindungs-, religions- und meinungsloser Hanswurst, der entwurzelt genug ist, um den Bedürfnissen des Weltmarktes jederzeit hinterherzureisen und sich für einen völlig selbstbestimmten Individualisten hält – das ist er, der neue Mensch! Das ist das Big-Reset-Menschenbild, das der Neokapitalismus uns schmeichelnd als „flexibel, weltläufig, emanzipiert, individualistisch und selbstbestimmt“ verkauft. Und wer profitiert davon? Die Rechten. Leider. Weil immer weniger Leute darauf reinfallen. Wo die Linken abgeblieben sind, fragen Sie? Tja…das wüsste ich auch gerne.

Bedrohlichen Ideen oder Bewegungen können die psychologisch und pädagogisch geschulten Herrscher auf verschiedene Weisen begegnen. Falls es mit Spalten, Ignorieren oder Lächerlichmachen nicht klappen will, bleibt also immer noch ein Ass im Ärmel: Gib dich als Freund aus! Wundert es Sie nicht auch, dass ausgerechnet die AfD aktuell auf die Einhaltung von Grundrechten und demokratischen Prinzipien pocht? Wundert es Sie nicht, dass mächtige Männer sich immer wieder als Frauenbefreier aufspielen? Ist es nicht doch ziemlich seltsam, dass Weltwirtschaftsforum sich als gemeinnützige Organisation inszeniert, die für Demokratie, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Umweltschutz eintritt?

Muss man das glauben? Und die WHO? Hat natürlich einzig die Gesundheit Ihrer Schäfchen im Auge. Von der Tatsache, dass die Gates-Foundation ihr im Laufe der letzten zwanzig Jahre rund 2,5 Milliarden Dollar gespendet hat, darf man sich nicht zu Verschwörungstheorien verleiten lassen. Es ist reiner Zufall, dass sie baldmöglichst einen elektronischen Impfpass einführen will, der bei Reisen vorgelegt werden muss. Sie rät sogar ausdrücklich davon ab, Corona- Immunitätsausweise oder Antikörpernachweise gelten zu lassen (!). Schließlich könne man sich mehrmals infizieren… Noch ist es nur die Qantas, die explizit ankündigt, demnächst keinen Reisenden ohne Corona-Impfung mehr an Bord zu lassen, aber ich fürchte, andere Airlines werden nachziehen. Zwei-Klassen-Gesellschaft durch Corona-Impfpass? Es ist mal wieder eine typisch tendenziöse Fokussierung auf die vermeintlich egoistische „Spaßgesellschaft“, die beleidigt ist, weil sie ohne Impfpass nicht in Clubs oder Hertha-Spiele gelassen wird. Tatsache ist: Migranten mit Familien mit weit entfernt lebenden Verwandten werden, wenn das Realität werden sollte (wovon ich ausgehe), wohl keine Wahl haben, ob sie sich impfen lassen möchten. Und hier noch ein netter Link, falls Sie die Schnauze noch nicht voll haben von meinen Hiobsbotschaften:

Muss man das glauben? Mein Tipp: Lesen Sie mehr als nur das Etikett! Lesen Sie auch das unleserlich Kleingedruckte. Lernen Sie Neusprech und misstrauen Sie allen toll klingenden Adjektiven. Im Zweifelsfall trifft immer das Gegenteil zu. Und klicken Sie nie, nie, nie auf den großen grünen Button! Immer auf den anderen. Wenn überhaupt. Stay tuned! Meinung

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