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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Häme und Spott in Zeiten der Corona

Auf Trumps Corona-Infektion wollte ich eigentlich mit Häme und Spott reagieren. Schließlich hat er diesen Standard selbst gesetzt. Trotzdem tue ich das nicht. Andererseits: Eine Glosse ist eine Glosse ist eine Glosse.

Von Dienstag, 06.10.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.10.2020, 14:26 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle all die Häme und all den Spott über Donald Trump ergießen, die über Donald Trump zu ergießen sind. Denn diesen Standard hat Donald Trump gesetzt: Keine Situation ist so ernst, als dass sie nicht für Spott und Häme dienen könnte. Und wenn mir dann noch von einer handvoll Journalisten die sich – mal glaubwürdiger, mal weniger glaubwürdig – für seriöse Journalisten halten, erklärt wird – mal glaubwürdiger, mal weniger glaubwürdig – dass wir jetzt alle ernst und seriös bleiben müssten, weil die Situation zu ernst sei für Spott und Häme, dann bin ich bereits getriggert. Eine Glosse ist eine Glosse ist eine Glosse.

Trotzdem stehe ich vor einem Problem. Zwischen dem Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung vergeht Zeit. Und die Situation ist, entgegen der Lügen zum Gesundheitsstatus des Präsidenten, die uns aus seinem Umfeld erzählt werden, immer noch volatil. Würde ich hier etwas Aggressives schreiben wie: „Hoffentlich verreckt dieser schlecht frisierte senile Fettsack mit dem aufgesprühten orangen Lack in der Fresse rechtzeitig vor der Wahl.“, dann erscheint das vielleicht bereits zwischen all den geheuchelt höflichen Nachrufen. Kann ich also nicht bringen. Sagt man ja auch nicht. Ganz allgemein nicht und in so einer Situation noch weniger.

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Andererseits kann er bis zum Erscheinungszeitpunkt ja auch schon über den Berg sein – dann wirkt es nur noch lächerlich, wenn ich mir hier wünsche, dass dieser rassistische Bürgerkriegstreiber und Corona-Leugner im Weißen Haus, der sich weigert, die Ideologie der Weißen Überlegenheit zurückzuweisen, nun also selbst Covid-19 hat und in den kommenden Tagen hoffentlich mit den Füßen voran das Krankenhaus verlässt.

Es ist ein Graus.

Weil die USA eine gefestigte, liberale Demokratie sind, machen wir uns an dieser Stelle daher einfach mal keine Sorgen darum, dass Donald Trump wieder gesund wird, sondern schauen uns an, gegen welche Kandidaten Joe Biden sonst noch antritt. Denn für einen neuen republikanischen Präsidentschaftskandidaten ist es angesichts bereits ausgelieferter Stimmzettel und verstrichener Anmeldefristen zu spät – sodass die Reps im Falle des Falles allerhöchstens einen jener „Unabhängigen“ oder Drittkandidaten unterstützen könnten, die es im Feld noch gibt.

Und da wäre zuallererst einmal Kanye West, ein Schwarzer Rapper, der eigentlich nur für vier Dinge bekannt ist. Erstens dafür, dass er sich für Gott hält; zweitens dafür, einer Musikerkollegin während einer Preisverleihung die Dankesrede unterbrochen zu haben, weil er der Meinung war, jemand anderem gebühre der Preis; und drittens dafür, dass er der Ansicht ist, Sklaverei sei gar nicht so schlimm gewesen, andernfalls hätten sich die Schwarzen schließlich nicht jahrhundertelang so bereitwillig versklaven lassen. Der PR-Stunt einer Präsidentschaftskandidatur dieses Trump-Freunds, von der kolportiert würde, sie solle einzig und allein in den Swing-States den Demokraten ausreichend Schwarze und junge Stimmen kosten, um Donald Trump ins Ziel zu tragen, taugt allerdings kaum zu mehr. Nur in zwölf Staaten steht West überhaupt auf dem Wahlzettel.

Auch die Grünen können wir ignorieren. Nicht nur stehen auch sie überhaupt nur auf 29 Wahlzetteln: kein Republikaner würde freiwillig zu deren Wahl aufrufen.

Bleibt die Libertäre Partei der USA, sozusagen die FDP der Neuen Welt. Und dieser steht sie in Sachen Seriosität auch in nichts nach. Mit Kandidaten, die schon daran scheitern, die USA auf einer Karte Nordamerikas zu finden, stehen sie für die Wählerschafts Trumps, wie niemand sonst. In der Vergangenheit vertreten durch hervorragende Präsidentschaftskandidaten wie Joe Exotic (bekannt von Netflix) oder Vermin Supreme (dt. etwa: „das oberste Ungeziefer“; geht nicht ohne Stiefel auf dem Kopf aus dem Haus) probiert es die Partei diesmal mit einer Psychologin, die überzeugende 51% der Partei hinter sich scharen konnte (immerhin gut doppelt so viele, wie der bereits genannte Vermin Supreme) – bei den unverbindlichen (!) Vorwahlen der Partei war sie zuvor bereits erfolgreich Zweitplatzierte geworden. Wie ihre Partei allgemein steht auch jene Jo Jorgensen für das liberale Prinzip „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht.“ In der Folge will sie den Staat und all seine Aufgaben natürlich beschneiden oder abschaffen, sei es das Gesundheitssystem, die Außenpolitik, die Sicherheitspolitik – oder die Corona-Politik, da die Maßnahmen zum Schutz vor dem Virus ein beispielloser Eingriff in die persönliche Freiheit darstellten. Einzig Subventionen in die Kernkraft will die Libertäre ausbauen, damit diese sichere und zukunftsträchtige Technologie konkurrenzfähig bleibt. Auch wenn sich Jorgensen in Aspekten direkt gegen die Politik Trumps wendet, muss man diese Politik wohl als „Trump auf Speed“ bezeichnen.

Natürlich ließe sich damit auch dann kein Blumentopf gewinnen, wenn eine republikanische Partei angesichts eines toten eigenen Kandidaten versuchte, ihr ganzes Gewicht hinter diese Anwärter zu werfen – denn allzu viele würden diesen Weg schlicht nicht mitgehen. Aber darum ginge es ja auch gar nicht.

Was bleibt also noch zu sagen? Vielleicht diese doch versöhnlichen Worte in Richtung Donald Trumps: Mit einem US-Präsidenten Mike Pence für die nächsten 3 Monate werden wir schon klarkommen – adieu! Mit schwäbischem Gruße. Meinung

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  1. Peter Enders sagt:

    Endlich mal wieder eine lesenswerte Glosse im MiGAZIN :-))