
NS-Zwangsarbeit
„Es gibt immer noch viele blinde Flecken“
Im Zweiten Weltkrieg sind Schätzungen zufolge mehr als 26 Millionen Männer, Frauen und Kinder durch das NS-Regime als Zwangsarbeiter ausgebeutet worden. Die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin bemängelt blinde Flecken und mangelnde Forschung.
Von Lukas Philippi Mittwoch, 12.08.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.08.2020, 16:05 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
20 Jahre nach Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) sieht das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin noch zahlreiche blinde Flecken bei der Aufarbeitung. „Die Geschichte des Zwangsarbeitseinsatzes bei wichtigen Unternehmen wie der Reichsbahn oder Siemens ist noch zu wenig erforscht“, sagte die Leiterin des Dokumentationszentrums, Christine Glauning, am Dienstag in Berlin dem „Evangelischen Pressedienst“.
Das Gesetz zur Gründung der Stiftung EVZ trat am 12. August 2000 in Kraft. Vorangegangen waren jahrelange Verhandlungen auf internationaler Ebene und mit deutschen Unternehmen. Ziel der Stiftung war eine „humanitäre Geste“ an noch lebende ehemalige Zwangsarbeiter aus der NS-Zeit in Form von Geldzahlungen sowie Bildungs- und Erinnerungsarbeit.
Zu wenig Forschung
„Es gibt immer noch viele blinde Flecken“, sagte Glauning: „Themen, die noch der tiefer gehenden Recherche bedürfen.“ Als Beispiele nannte die promovierte Historikerin den Widerstand von Zwangsarbeitern, das Verhalten der Deutschen gegenüber den Millionen von zwangsverschleppten Menschen sowie das Schicksal der rund 250.000 in Konzentrationslager überstellten, oft ermordeten Zwangsarbeiter. „Leider gibt es zu wenig systematische Forschung an den Universitäten: Wünschenswert wäre eine Professur, die sich kontinuierlich der Geschichte der NS-Zwangsarbeit als allgegenwärtigem Massenphänomen im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten widmet“, sagte Glauning.
Im Zweiten Weltkrieg sind Schätzungen zufolge mehr als 26 Millionen Männer, Frauen und Kinder durch das NS-Regime als Zwangsarbeiter ausgebeutet worden. 8,4 Millionen von ihnen wurden aus den besetzten Gebieten Europas in das Deutsche Reich verschleppt. Hinzu kamen etwa 4,5 Millionen Kriegsgefangene, die Zwangsarbeit leisten mussten.
Vermittlung der Geschichte
„Es gibt kaum ein Thema, das auch heute noch so anschlussfähig ist wie die Geschichte der NS-Zwangsarbeit“, unterstrich die Leiterin des Dokumentationszentrums: „Nicht nur die gesamte deutsche Wirtschaft, auch die NS-Gesellschaft profitierte in hohem Maße von der Ausbeutung von Millionen von Menschen. Zwangsarbeit war allgegenwärtig und unübersehbar.“
Von der Stiftung EVZ wünsche sie sich, dass sie sich wieder mehr dem „Kernthema“ widme, der Vermittlung der Geschichte der NS-Zwangsarbeit, sagte Glauning. Auch Forschungsfragen und die Erschließung wichtiger Quellenbestände in Osteuropa wären wichtig. Zudem sollten die „verbleibenden Stimmen von Überlebenden“ gesichert werden. (epd/mig)
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