Martin Luther King, Demonstration, USA, Rassismus
Martin Luther King demonstriert gegen Rassismus © US Department of State @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Ein Kraftakt

„Onkel Martin“ und der Kampf gegen Rassismus

Juandalynn Abernathy ist die Patentochter von Martin Luther King und ausgebildete Opernsängerin. Seit mehr als 40 Jahren lebt sie in Deutschland. Der Rassismus folgte ihr von Alabama bis auf die Schwäbische Alb.

Von Donnerstag, 30.07.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 30.07.2020, 8:51 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Rassismus kennt Juandalynn Abernathy, seit sie denken an. In Montgomery im US-Bundesstaat Alabama wo sie in den 50er und 60er Jahren aufwächst, herrscht strikte Trennung zwischen Schwarz und Weiß, es gibt separate Sektoren im Bus, getrennte Toiletten. Einen verheerenden Bombenanschlag des Ku-Klux-Klan überstehen das afroamerikanische Mädchen und ihre Schwestern nur durch viel Glück unbeschadet, wie sie erzählt.

Die 64-Jährige, die heute im württembergischen Balingen lebt, ist ausgebildete Opernsängerin und Tochter des baptistischen US-Predigers Ralph Abernathy (1926-1990). Gemeinsam mit Martin Luther King begründete er in den 50er Jahren die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die sich für die Rechte von Afroamerikanern einsetzte. „Onkel Martin“ sagt Juandalynn, wenn sie von King spricht – sie ist sein Patenkind. King erhielt für sein Engagement den Friedensnobelpreis, 1968 wurde er von einem Rassisten erschossen.

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Juandalynns Vater trieb den gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und die Benachteiligung der Schwarzen weiter voran, wurde dafür mehr als drei Dutzend Mal eingesperrt. „Damals gingen die Menschen auf die Straße, heute tun sie es wieder – und das ist wichtig!“, sagt Juandalynn.

„Wohnung doch schon vergeben“

Seit mehr als 40 Jahren lebt sie in Deutschland, auf der Schwäbischen Alb. Und muss sich auch hier mit Rassismus auseinandersetzen. Gut erinnert sie sich noch an die Zeit, als sie mit ihrem norddeutschen Mann eine Wohnung suchte – und an die Tränen, die sie vor Enttäuschung vergoss: „Die Leute waren zuerst immer sehr interessiert, weil mein Mann eine Arbeit bei der Bundeswehr hatte“, sagt sie. Doch als die Vermieter dann bei der Besichtigung feststellten, dass die Frau des Offiziers schwarz ist, hieß es: „Tut uns leid – jetzt ist die Wohnung doch schon vergeben.“

Die Juandalynn Abernathy des Jahres 2020 wuselt energiegeladen durch ihr Haus in Balingen, im Garten laufen drei Hunde. Wenn sie lacht, dann vibriert die Luft. Die Musik gibt ihr Stärke und Zuversicht. Sie studierte am „Boston Conservatory of Music“, Stipendien und Tourneen haben sie dann nach Deutschland geführt.

Imposante Stimmgewalt

Dass sie ihre negativen Anfangserfahrungen in Balingen – „es gab beinahe Verkehrsunfälle, weil die Menschen mich so angestarrt haben“ – hinter sich lassen konnte, verdankt sie auch ein wenig ihrer imposanten Stimmgewalt: Neu in Balingen, zieht sie sich zunächst immer mehr zurück, verlässt kaum noch das Haus. Bei der Taufe ihres Sohnes – die Baptistin Juandalynn ist inzwischen in die evangelische Kirche eingetreten – kommt die Wende.

Sie besteht darauf, singen zu dürfen. Nicht ahnend, welches Talent er da vor sich hat, ist das Staunen des Organisten grenzenlos. Bei der Zeremonie rührt die Sängerin die Zuhörer zu Tränen. Wenig später gründet sie einen Gospelchor, der in wenigen Jahren enorm wächst, bis zu 150 Sänger und Sängerinnen sind zeitweise dabei.

In Schwarz und Weiß eingeteilt

Welche Kraft es kostet, welche Disziplin und welchen Mut, sich gegen ungerechte Zustände aufzulehnen, weiß sie. Sie erzählt eine Geschichte aus ihrer Kindheit in Atlanta, Georgia: Um sich nicht der erniedrigenden Rassentrennung zu unterwerfen, sollten die Abernathy-Kinder beim Einkaufen nicht auf die Toilette gehen, die in Schwarz und Weiß eingeteilt war. Eines Tages, während die Kinder mit der Mutter im größten Kaufhaus Atlantas sind, muss der kleine Bruder von Juandalynn aber doch. Wütend stürmt die Mutter mit dem Sohn auf die Straße und in ein Café in der Nähe, wo Schwarze die Toilette benutzen dürfen.

Wenig später organisiert die Familie Proteste vor dem Kaufhaus. Denn es waren nicht nur die Toiletten: „Das müssen Sie sich mal vorstellen: Sie durften dort Kleider als farbiger Mensch zwar kaufen, aber vorher nicht anprobieren!“, ruft Juandalynn Abernathy und wirft die Hände in die Luft.

Giftiges Brodeln nach der Wahl Obamas

Der Protest zeigte Wirkung: Das Kaufhaus schaffte die getrennten Toiletten ab, wie sie erzählt. Ein Mosaikstein im Kampf der noch sehr jungen Bürgerrechtsbewegung und nur ein Erlebnis von vielen, die sie geprägt haben. „Mein Vater hat mir immer gesagt: ‚Vergiss nie, dass Du das erste Kind der Friedensbewegung bist‘.“

Die Entwicklungen unter der Präsidentschaft von Donald Trump überraschen sie nicht: Als Barack Obama der erste dunkelhäutige Präsident der USA wurde und Juandalynn jubelte, habe ihr Bruder ihren Enthusiasmus gebremst. „Ich fürchte, es wird jetzt erst so richtig schlimm“, habe er gesagt. Was ihm Angst machte: das giftige Brodeln in den Herzen der rassistischen Bevölkerungsteile, die Obama und seine Präsidentschaft als Schmach empfanden. „Die haben mit Trump ihr Ventil gefunden“, sagt sie. Und Trump habe dafür gesorgt, dass offen rassistische Menschen sich jetzt frei fühlten, ihre Ablehnung und Menschenverachtung ungebremst und stolz ausleben könnten.

Aufblühender Rassismus in den USA

In den vergangenen Jahren ist es ruhiger geworden um Juandalynn Abernathy, öffentliche Auftritte sind selten – vor allem so denkwürdige wie 1996 in Atlanta bei der Eröffnung der Olympischen Spiele, als sie für die deutsche Delegation sang. Ein größeres Fernsehpublikum erreichte sie im Vorjahr bei der Castingshow „The Voice Senior“ auf Sat.1. Ihre große Leidenschaft gilt dem Komponisten Richard Strauss (1864-1949). Aber: „Es gibt nur noch sehr wenige Schüler, die klassischen Gesang lernen wollen“, sagt sie.

Eine Rückkehr in die USA kommt für sie nicht infrage, obwohl dort große Teile der Familie leben – gerade auch wegen des Rassismus, der nun neu und hässlich aufblühe. Was sie besonders verstört: „Wissen Sie, es gibt Verwandte, die Trump wählen“, sagt sie nachdenklich. „Wahrscheinlich bleibe ich auch deswegen hier, weil ich mich diesen ganzen Dingen nicht mehr aussetzen möchte.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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