Abschiebungsvollzugsdefizit
Statistisch fragwürdig, aber gut für Schlagzeilen
Mit dem vermeintlichen „Vollzugsdefizit bei Abschiebungen“ wird seit 2015 regelmäßig Stimmung gemacht und es werden damit Gesetzesverschärfungen begründet. Die Zahlengrundlage ist aber fragwürdig. Die Interpretation dieser Zahlen, etwa durch Politiker, häufig ebenso.
Von Dirk Morlok Montag, 27.07.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.07.2020, 14:36 Uhr Lesedauer: 12 Minuten |
Seit 2015 wiederholt sich die Debatte in ermüdend geringen Abständen: Zu viele Abschiebungen würden scheitern, weil sich abgelehnte Asylsuchende ihrer Abschiebung vermeintlich entziehen oder sich dieser widersetzen, behaupten Politiker:innen und auch Medien gerne. Es läge also ein „Vollzugsdefizit“ bei Abschiebungen vor. Statistisch belegen lässt sich diese Argumentation jedoch nicht – im Gegenteil.1
Debatte zu „gescheiterten Abschiebungen“ verkennt tatsächliche Lage
Der häufig zu hörende Vorwurf, dass sich Betroffene gegen die Abschiebung wehren würden oder nicht anzutreffen seien, gipfelt in regelmäßig wiederkehrenden großen Schlagzeilen wie „drei von vier Abschiebungen scheitern“.
Damit soll suggeriert werden, dass von vier Personen nur eine abgeschoben wird, die anderen drei aber – trotz widerrechtlichen Verhaltens – bleiben könnten. Tatsächlich folgt meist aber bald der nächste Abschiebungsversuch. Auch wenn ein Abschiebungsversuch scheitert, heißt das folglich nicht, dass die Abschiebung nicht doch letztlich durchgeführt wird. Ein Indikator für ein „Defizit“ ist dies also nicht.
Über die Gründe für das vermeintliche Scheitern von Abschiebungen wird auch meist viel zu oberflächlich und einseitig berichtet. Abschiebungen dürfen zum Beispiel in der Regel nicht angekündigt werden. Die Betroffenen wissen also gar nicht, wann die Polizei kommt. Entsprechend kann ihnen auch nicht vorgeworfen werden, dass sie zum ihnen nicht bekannten Zeitpunkt nicht an ihrem Wohnort sind.
Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass manche tatsächlich nicht jede Nacht zu Hause schlafen, wenn ihnen konkret die Abschiebung droht. Denn sie haben Angst vor einer Abschiebung ins kriegserschütterte Afghanistan oder in Dublin-Staaten wie Italien, Griechenland oder Bulgarien, wo ihnen Obdachlosigkeit, Hunger und Elend drohen. Das sollte eher Anlass einer Debatte sein, als immer härtere Abschiebungsmaßnahmen.
Medizinische Hindernisse: Im Zweifel gegen die Erkrankten
Auch der Vorwurf, Abschiebungen würden an Erkrankungen „scheitern“, verkehrt die tatsächlichen Umstände. In 135 Fällen mussten 2019 Abschiebungen aufgrund medizinischer Bedenken abgebrochen werden. Die Frage, die sich hier aufdrängt: Warum wurde eine anscheinend sehr kranke Person überhaupt für eine Abschiebung angemeldet? Das Problem: Per Gesetz wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, abzuschiebende Ausländer also gesund sind.
Die Widerlegung dieser gesetzlichen Vermutung ist nur innerhalb sehr enger Fristen möglich. Zudem werden derart hohe Hürden an fachärztliche Gutachten gestellt, dass es Betroffenen regelmäßig nicht möglich ist, ihre Erkrankungen geltend zu machen. Dadurch kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass selbst schwerstkranke Menschen abgeschoben werden; es kommt selbst zu Abschiebungen aus Kliniken und Psychiatrien.
Unzulängliche Daten, statistische Spielereien, zu hohe Zahlen
Auch vermeintlich unbestechliche, immer wieder bemühte Statistiken müssen hinterfragt werden. In der politischen Argumentation werden – offenbar ganz bewusst – nur bedingt valide Daten des Ausländerzentralregisters ins Feld geführt und Aspekte vermischt. Damit wird suggeriert, dass a) die Mehrzahl der Ausreisepflichtigen nicht ausreise, b) manche Bundesländer viel zu lax in ihrer Abschiebepraxis seien und c), dass sich unzählige Menschen in Deutschland aufhielten, die hier nicht (mehr) sein dürften.
„Jede Argumentation zu Ausreisepflichtigen muss mit Zahlenangaben unter Vorbehalt auskommen; in der öffentlichen Debatte wird dies viel zu häufig ausgeblendet.“
Zunächst ist festzustellen, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen selbst nach Angaben der Bundesregierung höchst ungenau ist. Jede Argumentation zu Ausreisepflichtigen muss mit Zahlenangaben unter Vorbehalt auskommen; in der öffentlichen Debatte wird dies viel zu häufig ausgeblendet.
Zwar ist es richtig, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen in den letzten Jahren gestiegen ist: Ende 2019 waren 249.922 Personen als ausreisepflichtig im Ausländerzentralregister (AZR) gespeichert, im Vergleich zum Vorjahr mit 234.034 Ausreisepflichtigen ein Anstieg um 6,8%. Vergleicht man die Zahl mit Ende 2015 (205.221 Ausreisepflichtige), als mit rund 890.000 Asylsuchenden eine Rekordzahl an Geflüchteten nach Deutschland kam, hat sich die Zahl um 44.701 oder 21,8% erhöht.
Damit ist man weit von damaligen Prognosen der Beraterfirma McKinsey entfernt, die bereits für 2017 eine halbe Million an Ausreisepflichtigen vorhersagte. Zudem ist dieser vergleichsweise geringe Anstieg erklärbar und hat weniger mit einem vermeintlichen Vollzugsdefizit als vielmehr mit plausiblen, berechtigten Gründen zu tun, warum Menschen zwar ausreisepflichtig sind, aber trotzdem nicht zurückkehren können.
Viele Geduldete kommen aus dem Irak und Afghanistan
Vielmehr gibt es in vielen Fällen gute, nachvollziehbare Gründe, dass Menschen trotz erfolglosem Asylverfahren nicht abgeschoben, sondern geduldet werden. Allein fast 40.000 der Geduldeten kommen aus den beiden Staaten Afghanistan und Irak – der überwiegende Teil dürfte ein Asylverfahren durchlaufen haben.
In beide Staaten wird aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage seit Jahren in vergleichsweise begrenztem Umfang abgeschoben, auch wenn die Tendenz bei 361 Afghanistan-Abschiebungsfällen und 30 Abschiebungen in den Irak im Jahr 2019 deutlich ansteigend ist.
Duldungsgründe: Ausbildung, Krankheit, Familienangehörige
Auch eine qualifizierte Berufsausbildung kann ein Duldungsgrund sein – in den meisten Fällen besteht sogar ein gesetzlicher Anspruch. Die Betroffenen werden allerdings per Gesetz während ihrer beruflichen Ausbildung weiter im prekären Status gehalten und bleiben ausreisepflichtig, anstatt ihnen eine an die Ausbildung gekoppelte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Im Klartext:
„Menschen durchlaufen eine Ausbildung, werden aber zeitgleich als Ausreisepflichtige gezählt und dürfen trotzdem gleichwohl nicht abgeschoben werden – auch so lassen sich Zahlen hoch halten.“
Menschen durchlaufen eine Ausbildung, werden aber zeitgleich als Ausreisepflichtige gezählt, dürfen trotzdem gleichwohl nicht abgeschoben werden. Auch derart unsinnig-restriktive Regelungen tragen zu einem Anstieg der Zahl der Ausreisepflichtigen und Geduldeten bei. Eine Aufenthaltserlaubnis erhalten die Betroffenen erst, wenn sie die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben und im erlernten Beruf arbeiten.
Daneben können auch schwere Erkrankungen, die Ausübung der elterlichen Sorge oder Pflege enger Familienangehörige gute Gründe sein, weshalb man Deutschland nicht verlassen kann und eine Duldung erhält oder sogar ein rechtlich zwingendes Abschiebungshindernis vorliegt.
Dass die Zahlen der Ausreisepflichtigen und Geduldeten ansteigen, war nach den großen Fluchtbewegungen der Jahre 2015 und 2016 vorhersehbar. Viele von ihnen können und dürfen aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht abgeschoben werden. Die große Mehrzahl der Duldungen entsteht also aus Rechtsgründen und nicht, wie oft suggeriert, aus laschem Behördenhandeln oder weil Betroffene sich der Abschiebung entziehen würden.
Fehlende Reisedokumente: nicht so eindeutig, wie es klingt!
Zwar sind laut der im AZR erfassten Duldungsgründen über 40 Prozent der Ausreisepflichtigen wegen fehlender Reisedokumente geduldet – insbesondere hier vermuten Hardliner regelmäßig das Vollzugsdefizit, weil Betroffene vermeintlich ihre Identität „verschleiern“ oder ihrer Pflicht zur Mitwirkung an der Beschaffung von Reisedokumenten nicht nachkämen.
Unerwähnt bleibt hierbei jedoch, dass verschiedene Staaten kaum bereit sind, Reisedokumente auszustellen, die „Schuld“ am Abschiebungshindernis also nicht zwangsläufig bei den Betroffenen zu suchen ist. Zudem sind unter dieser Gruppe sehr viele Afghan:innen und Iraker:innen zu finden, bei denen die Tatsache der fehlenden Reisedokumente nicht ursächlich für deren Nicht-Abschiebung ist. Darunter sind aber auch Staatsangehörige aus den Staaten des Westbalkan, mit denen es Rückübernahmeabkommen gibt, also in aller Regel keinerlei Probleme bei der Beschaffung von Reisedokumenten auftreten sollten. Somit sind auch diese im AZR erfassten Daten mit äußerster Vorsicht zu genießen, da sie den tatsächlichen Sachverhalt mindestens unzureichend, in vielen Fällen sogar falsch wiedergeben.
Teile der Ausreisepflichtigen-Zahl nicht erklärbar
„47.535 Menschen waren als ‚ausreisepflichtig ohne Duldung‘ im AZR gespeichert. Wer diese Menschen sind, ist völlig unklar. Trotzdem wird regelmäßig mit ihnen Stimmung gemacht. Dabei dürften viele sich schon längst nicht mehr in Deutschland befinden.“
Unter den Ausreisepflichtigen waren im vergangenen Jahr 202.387 Menschen im Besitz einer Duldung, 47.535 Menschen waren als „ausreisepflichtig ohne Duldung“ im AZR gespeichert. Wer diese Menschen sind, ist völlig unklar. Trotzdem wird regelmäßig mit ihnen Stimmung gemacht. Aussagen der Bundesregierung in der Antwort auf die Bundestags-Anfrage legen indes nahe, dass viele dieser Menschen gar nicht mehr in Deutschland sind.
In der Antwort auf Frage 21 wird mitgeteilt, dass eine Ausreise außerhalb der finanziell geförderten Programme zur „freiwilligen“ Rückkehr keinen Niederschlag im AZR findet. Erfährt die Ausländerbehörde, dass eine Person nicht mehr unter der bisherigen Meldeadresse wohnt, wird sie im AZR lediglich als „unbekannt verzogen“ vermerkt. Läuft dann die Geltungsdauer der Duldung ab, wird sie statistisch unter der Kategorie „vollziehbar ausreisepflichtig ohne Duldung“ erfasst, da die Ausreise nicht aktenkundig sei.
Viele Ausreisepflichtige sind nicht mehr in Deutschland
Es muss also davon ausgegangen werden, dass der Großteil dieser Menschen nicht mehr in Deutschland ist. Das würde bedeuten, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen um bis zu 20 Prozent niedriger sein kann, als auf Grundlage der AZR-Datenlage gerne behauptet wird. Dies legen auch entsprechende „Bereinigungen“ des AZR (BT-Drucksache 19/8021, Frage 27c) nahe, wonach diese Zahlen immer wieder deutlich nach unten korrigiert werden mussten. Auch ist bekannt, dass manche abgelehnten Asylsuchenden aus Angst vor drohender Abschiebung in andere EU-Länder weiterflüchten (z.B. afghanische Geflüchtete in Bayern, das einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Personen ohne Duldung an allen Ausreisepflichtigen ausweist).
Mehr als ein Drittel der Geduldeten waren nie im Asylverfahren
Unter den knapp 202.387 geduldeten Menschen sind 130.781 abgelehnte Asylsuchende, d.h. über ein Drittel der Geduldeten hat niemals einen Asylantrag gestellt, sondern war auf anderer rechtlicher Grundlage in Deutschland und wurde ausreisepflichtig. Gründe könnten z.B. der weitere Aufenthalt nach einem gescheiterten Studium oder eine in die Brüche gegangene Ehe mit einer Person mit deutscher Staatsbürgerschaft sein. Oder aber die Betreffenden sind nach Ablauf eines Besuchsvisums schlicht nicht wieder ausgereist.
Viel mehr abgelehnte Asylanträge als Ausreisen?
Die Zahl der Ausreisen wird hingegen regelmäßig klein geredet. Hierbei wird auf die Zahl der „freiwilligen“ Ausreisen verwiesen und diese in Kontext mit der deutlich höheren Zahl der ablehnenden Asylentscheidungen gesetzt. Im letzten Jahr sind bspw. 13.105 Personen mit finanzieller Förderung des Bundes aus Deutschland ausgereist, dazu kommen mindestens 6.730 mit Landesmitteln geförderte Ausreisen.
Addiert man diese Zahlen zu den erfolgten Abschiebungen, stehen knapp 42.000 zwangsweise oder „freiwillige“ Ausreisen zu Buche. Dem gegenüber stehen mit 54.034 ablehnenden Asylentscheidungen und 59.591 formellen Verfahrenserledigungen insgesamt rund 113.500 Entscheidungen, die nicht zum Schutzstatus führten.
Viel mehr Ausreisen als tatsächlich erfasst
Auch dieser Vergleich muss unter die Lupe genommen werden. Zum einen liefert das AZR auch hier eine nur unzureichende Datenlage. Statistisch erfasst werden nämlich nur die finanziell geförderten Ausreisen, nicht jedoch die Personen, die ohne Förderung des Staates ausreisen.
Die tatsächliche Zahl der „freiwilligen“ Ausreisen liegt also deutlich über den knapp 20.000 durch Bund und Länder geförderten Ausreisen. Dies belegen auch Zahlen der Bundespolizei, die im vergangenen Jahr 31.644 kontrollierte Ausreisen mit einer Grenzübertrittsbescheinigung zählte. Die Nicht-Erfassung aller anderen Ausreisen führt im AZR vielfach zu den oben beschriebenen „Ausreisepflichtigen ohne Duldung“.
Asylablehnung ist nicht (sofort) mit Ausreisepflicht gleichzusetzen
Zudem greift ein direkter Vergleich der (nicht validen) Ausreisezahlen mit negativen Asylentscheidungen deshalb zu kurz, weil abgelehnte Asylsuchende nicht per se ausreisepflichtig werden. Viele nehmen ihr Recht wahr, die negative Entscheidung durch ein Gericht überprüfen zu lassen – in nicht wenigen Fällen mit Erfolg.
„Viele abgelehnte Asylsuchende bekommen erst im gerichtlichen Verfahren einen Schutzstatus zuerkannt.“
So bekommen viele abgelehnte Asylsuchende erst im gerichtlichen Verfahren einen Schutzstatus zuerkannt. Bei afghanischen Asylsuchenden war dies 2019 sogar bei rund 48% aller inhaltlich geprüften Verfahren vor Gericht der Fall. Auch in vielen Dublin-Verfahren, in denen ein anderer EU-Staat für zuständig erklärt wird und die einen Großteil der formellen Verfahrenserledigungen ausmachen, stoppen Gerichte Abschiebungen. Beispielsweise in Staaten wie Bulgarien, Griechenland oder Italien, in denen Schutzsuchenden massive Menschenrechtsverletzungen drohen.
Im Falle des Scheiterns von Rechtsmitteln tritt die Ausreisepflicht also zeitlich verzögert ein, da Klageverfahren sehr lange dauern können.
Doppelt so viele Ausreisen von abgelehnten Asylsuchenden wie Ausreiseentscheidungen
Und dennoch ist es nicht so, dass Ausreisen nicht in großer Zahl stattfinden. Im Gegenteil: Im Jahr 2019 gab es insgesamt 15.389 im AZR erfasste Ausreiseentscheidungen gegenüber abgelehnten Asylsuchenden. Die Ausreiseentscheidung markiert den Zeitpunkt der rechtskräftigen Ausreisepflicht, also bspw. wenn Betroffene nicht gegen ihren Asylbescheid klagen und dieser bestandskräftig wird oder die Ablehnung der Klage unanfechtbar wird, das Asylverfahren also abgeschlossen ist.
„Allein diese Zahl zeigt, dass sich das seit vielen Jahren beklagte Defizit bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht gegenüber abgelehnten Asylgesuchen nicht belegen lässt.“
Dem gegenüber stehen 37.624 im AZR erfasste Ausreisen abgelehnter Asylsuchender. Damit war die Zahl der Abschiebungen und „freiwilligen“ Ausreisen abgelehnter Asylsuchender also mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der Ausreiseentscheidungen bei Abgelehnten. Allein diese Zahl zeigt, dass sich das seit vielen Jahren beklagte Defizit bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht gegenüber abgelehnten Asylgesuchen nicht belegen lässt.
Zunehmende Brutalität bei der Durchsetzung von Abschiebungen
Besorgniserregend ist, dass Abschiebungen in den letzten Jahren mit zunehmender Brutalität durchgesetzt werden: In 1.764 Fällen kamen so genannte „Hilfsmittel körperlicher Gewalt“ durch die Bundespolizei bei Abschiebungen oder Dublin-Überstellungen zum Einsatz – ein Anstieg um 43% im Vergleich zum Vorjahr. Diese „Hilfsmittel“ sind u.a. Handschellen, Hand- und Fußfesseln, Stahlfesseln oder sogenannte Bodycuffs. Im Jahr 2015 wurden diese Fesselungen „nur“ in 135 Fällen eingesetzt, die Zahl hat sich binnen vier Jahren also verdreizehnfacht.
Ebenso erhöhte sich die Zahl der für die „Sicherheitsbegleitung“ eingesetzten Bediensteten von Bundespolizei und Ländern erheblich. Waren im Jahr 2017 noch 8.100 Beamte im Einsatz, erhöhte sich deren Zahl über 10.963 im Jahr 2018 auf 14.074 im letzten Jahr – und das, obwohl die Zahl der begleiteten Abschiebungen rückläufig ist. Es werden also weniger Abgeschobene durch immer mehr Beamte begleitet, bewacht und dabei zunehmend gefesselt, was darauf hindeutet, dass Abschiebungen in bestimmte Herkunftsländer mit immer größerer Brutalität durchgesetzt werden. Die Kosten des Bundes allein für die Sicherheitsbegleitung: 7,575 Mio. Euro.
Paradox: Rigide Abschiebepolitik führt zu steigenden Zahlen Ausreisepflichtiger
Doch selbst eine immer härtere Gangart in der Abschiebungspraxis führt nicht dazu, dass es im Umkehrschluss weniger Ausreisepflichtige gibt. In einigen Bundesländern mit einer besonders rigiden Abschiebepraxis, wie bspw. Bayern, ist die Zahl der Ausreisepflichtigen im letzten Jahr überdurchschnittlich stark angestiegen – obwohl man im Gegensatz zum leicht rückläufigen Bundestrend mehr abgeschoben hat als im Jahr zuvor.
Dieser Trend lässt sich mutmaßlich dadurch erklären, dass der alleinige Fokus auf die Durchsetzung von Abschiebungen andere Optionen, wie die humanitären Regelungen der Aufenthaltsverfestigung im Aufenthaltsgesetz, gänzlich aus dem Blickfeld drängt.
Statt Restriktionen: Reale, pragmatische Lösungen
Es ist zynisch und überdies sinnlos, Menschen mit Arbeitsverboten, der „Duldung Light“, Leistungskürzungen, der Unterbringung in AnKER-Zentren und sonstigen integrationsfeindlichen Maßnahmen zu überziehen. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund, dass zehntausende Geduldete aus nachvollziehbaren Gründen längerfristig nicht in ihr Land zurück können, sollte man endlich eine an der Realität orientierte Politik betreiben statt immer wieder nach rechts zu schielen.
Menschen, die sich während ihrer oftmals jahrelang andauernden Asylverfahren bestens integriert haben, muss Arbeit, Ausbildung und eine Perspektive in Deutschland ermöglicht werden, anstatt sie in einem Leben mit dauernder Angst vor drohender Abschiebung zu halten.
MeinungInfo: Dieser Text ist zuerst erschienen auf Pro Asyl.
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