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"Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen" Herausgeber: Wolfgang Benz © Metropol-Verlag

Buchtipp zum Wochenende

Antisemitismus: Benz kritisiert Gesinnungsdebatten

Wissenschaftler aus Deutschland und Israel sehen die Antisemitismus-Debatten hierzulande in einer Schieflage. Statt nüchterner Expertise herrsche Gesinnungsstärke vor. Antisemitismusforscher Wolfgang Benz sieht die Freiheit der Wissenschaft bedroht.

Von Freitag, 10.07.2020, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.07.2020, 17:31 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz beklagt eine zu stark von Emotionen und politischen Interessen geleitete Antisemitismus-Debatte in Deutschland. „Dass der notwendige Diskurs über Antisemitismus, über Juden und Nichtjuden in Deutschland, über Israel und deutsch-israelische Beziehungen nicht emotionsfrei geführt werden kann, ist wohl klar“, sagte Benz am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des Buches „Streitfall Antisemitismus“: „Nicht aber, dass er ausschließlich von Emotionen und politischen Interessen bestimmt sein darf.“

In dem von Benz herausgegebenen Buch untersuchen 15 Autoren die Debatten um möglichen und tatsächlichen Antisemitismus hierzulande. Darunter sind der israelische Historiker Moshe Zimmermann, der emeritierte Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, der langjährige „taz“-Journalist Daniel Bax und der Antidiskriminierungsbeauftragte der Berliner Bildungsverwaltung, Dervis Hizarci.

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Auslöser für das Buch gab es laut Benz gleich mehrere: Er nennt die Kritik der israelischen Regierung 2017 am Jüdischen Museum in Berlin und dessen „Jerusalem“-Ausstellung – Benz spricht von einem „Feldzug“, in dessen Folge Museumsdirektor Peter Schäfer das Handtuch warf. Weitere Gründe für das Buch seien die Resolution des Bundestages 2019 gegen die Israel-feindliche BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) und als jüngstes Beispiel der Antisemitismus-Vorwurf gegen den Kameruner Gelehrten Achille Mbembe gewesen.

Expertise weniger gefragt als Gesinnungsstärke

Rationalität und wissenschaftliche Erkenntnis im Kampf gegen den leider verbreiteten wirklichen Antisemitismus über Bord zu werfen und ausschließlich auf die Leidenschaft aus frommer Gesinnung zu vertrauen, führe auf Irrwege mit bösen Folgen, warnte Benz. Beim Thema Antisemitismus sei derzeit Expertise weniger gefragt als Meinungs- und Gesinnungsstärke. Konkret sieht der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin nach eigenen Worten die Wissenschaftsfreiheit akut bedroht.

In seiner Laufbahn als Forscher habe er „beinahe täglich erlebt“, von „selbst ernannten Experten“ umzingelt zu sein, die ihre Meinung „Gesinnungsstark und mit Eifer zum Ausdruck bringen“, sagte er. Aber die Entwicklung in den vergangenen drei Jahren hat für Benz und Micha Brumlik eine andere Qualität.

Jüngstes Manifest: Der Fall Mbembe

Als jüngstes „Manifest“ eines politisch angetriebenen denunziatorischen Aktionismus sieht Benz den Fall Mbembe. Der weltweit renommierte Gelehrte sei anders als behauptet kein Antisemit, habe nie den Holocaust relativiert und das Existenzrecht Israels bestritten und sei auch kein BDS-Aktivist. Trotzdem habe der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, ein Redeverbot für Mbembe in Deutschland gefordert. In der Folge wurde der Wissenschaftler von dem Eröffnungsvortrag der Ruhrtriennale 2020 ausgeladen.

Brumlik spricht dabei von dem Phänomen der „Kontaktschuld“. Sobald sich jemand mit einem BDS-Aktivisten auf ein Podium setze, werde er als Israelfeind und Antisemit stigmatisiert. Einem freien und offenen Diskussionsklima sei dies abträglich. Um so wichtiger sei es, dass Benz sich getraut habe, dieses Buch herauszubringen: „Das ist notwendig wie nie zuvor“, sagte Brumlik. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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  1. Peter Enders sagt:

    Die Eiferer können oder wollen nicht verstehen, wie sehr sie ihrer Sache schaden. Das wusste schon Brecht: „Wer die gegenstaatliche Literatur unterdrückt, schadet der fürstaatlichen Literatur.“ Biermann wurde infolge seiner Ausbürgerung weithin bekannt und populär.