Kollektives Versagen
Schnittstelle von Anti-Schwarzem Rassismus und Schule
Polizeigewalt ist eine der Manifestationen Anti-Schwarzem-Rassismus, wie er sich in den deutschen Institutionen niederschlägt; Rassismus in Behörden, Lagern, Migrationspolitiken und im Bildungssystem. Alle diese Bereiche müssen zusammen gedacht werden.
Von Saraya Gomis Montag, 29.06.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.06.2020, 18:05 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Deutschland ist von kolonialrassistischen Vorstellungen, Handlungen und Erzählungen geprägt, die strukturell und institutionell unterschiedliche Auswirkungen auf den Status, sich aufhalten zu dürfen, die Gleichstellung und den sozio-ökonomischen Status haben. Auch auf Bildungsgerechtigkeit, Wohnungssuche, Bewegungsfreiheit, medizinische Versorgung, soziale Unterstützungssysteme und selbst auf die Zugänge zu Communities-Care wirkt diese Strukturiertheit der Gesellschaft ein. Rassifizierung dient als hierarchisierender Klassifikationsprozess und Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen sind den invasiven, kumulativen Formen des Anti-Schwarzen-Rassismus ausgesetzt, die auch in der Geschichte der Maafa gründen.
Eines der spezifischen Merkmale des Rassismus gegen Schwarzen Menschen liegt in der besonderen Verbindung von biologistischer Rassifizierung, dessen, was häufig als Kulturalismus bezeichnet wird, und dem sogenannten Rassismus ohne Rassen (im Sinne Stuart Halls). In dieser Verbindung wird bestimmt, wie sich Anti-Schwarzer-Rassismus manifestiert und welche soziale, ökonomische, politische und rechtliche Gestaltung Anti-Schwarzer-Rassismus findet. Aus dieser Verbindung ergibt sich u.a. die besondere Verfasstheit der Ausbeutung und Verwertung des Schwarzen Körpers, der rassistischen Absprache des Rechts am eigenen Körper oder auch die Ausbeutung und Verwertung von Schwarzem, afrikanischem und afrodiaporischem Wissen, Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Kompetenz oder Kultur.
Polizeigewalt ist eine der Manifestationen Anti-Schwarzem-Rassismus, wie er sich in den deutschen Institutionen niederschlägt; Rassismus in Behörden, Lagern, Migrationspolitiken und im Bildungssystem. Um einen umfassenderen Blick in die Systematik institutionellen Rassismus zu erhalten, müssen diese Bereiche zusammen gedacht werden. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, ist die Auseinandersetzung mit dem Lebensbereich Schule ein zentraler Baustein für die Erkenntnis der Tiefen eines institutionalisierten, rassifizierten Systems.
Im Kontext von Schule und Anti-Schwarzem Rassismus wird auch hierzulande bereits lange auf rassistische oder Rassismus reproduzierende Bildungsmaterialien, Quellen(-perspektiven), Medien und Aufgabenstellungen hingewiesen1.
Wir sprechen, schreiben und bearbeiten auch schon lange von Anti-Schwarzem-Rassismus geprägte Urteile über Lern-, und Leistungsvermögen sowie Intelligenz und Kompetenzen von Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Schüler:innen, deren Eltern, Sorge- oder Fürsorgeberechtigten bzw. deren Familien. Gleiches gilt für die rassistische und adultistische Sexualisierung junger Menschen, der Beurteilung ihrer Körper und Phänotyps, der reduktiven Exotisierung sowie Zuschreibung von höherem Alter, größerer Kraft, Bewegungsdrang, Aggressionen oder Schmerzunempfindlichkeit in Schulen. Widerstandswissen gegen sogenannte Unterstützungsmaßnahmen wie Fördermaßnahmen basierend auf Rassifizierungen von Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen mittels rassifizierender Pathologisierungen und Kolonialisierung von Bewegung, Körper und Stimme wird in sowohl in Elterngruppen geteilt als auch durch Schwarze Forschende dazu Wissen und Analysen bereitgestellt. Diskriminierende Begriffe wie das N-Wort, Vergleiche aus der Tierwelt oder mit Körperausscheidungen und deren Verteidigungen – wenn Vorfälle dieser Art thematisiert werden – gehören mit weiteren glokalen Kontinuitäten Anti-Schwarzen Dehumanisierungen über den europäischen(Kolonial-)Rassismus hinaus zum Alltag vieler Schwarzer Schüler:innen.
Wie andere Schüler:innen of Color oder jüdische Schüler:innen sind auch Schüler:innen afrikanischer Herkunft mit verschiedenen Formen der Diskriminierung und darüber hinaus mit den spezifischen Auswirkungen des Anti-Schwarzen-Rassismus konfrontiert. Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Schüler:innen teilen mit anderen Schüler:innen, die Diskriminierungen erfahren, spezifische Wirkungsverhältnisse der Verwobenheit mit anderen Diskriminierungen. Sie sind nicht nur mit Mikroaggressionen, stereotyper Bedrohung, Veranderung, rassistischer Gewalt oder Kulturalisierungen konfrontiert – Erfahrungen, die sie mit anderen Schüler:innen teilen –, sondern auch mit spezifischen invasiven Formen der Entmenschlichung in kolonialen Traditionen und Kategorien: Sie erfahren kumulative Formen der Diskriminierung, die über die Kulturalisierung hinausgehen und auf biologistische Schöpfungen, die über rassistische Einordnungen über Hautfarbe, Haar, Gesichtszüge hinausgehen, beruhen. Diese Eigenschaften des Anti-Schwarzen-Rassismus ordnet Schüler:innen afrikanischer Herkunft nicht nur aufgrund ihrer Kultur bzw. der Rassifizierung der Kategorie Kultur häufig in die unterste Stufe der Rassifizierungshierarchie ein, sondern auch aufgrund ihrer rassifizierten „Genetik“.
Info: Dieser Beitrag ist eine Kooperation von MiGAZIN mit dem Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg, unterstützt durch das Projekt „Empowerment – quer gedacht?!“ von adis e.V. – gefördert im Programm „Demokratie leben!“. Das Netzwerk versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen. Das Netzwerk informiert Interessierte in regelmäßigen Abständen von circa 1-2 Monaten per E-Mail-Newsletter über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen im Feld der Migrationspädagogik. Dieser Text ist zuerst dort in einer ungekürzten Fassung erschienen.
Auswirkungen von Anti-Schwarzem-Rassismus zeigen sich zum einen spezifisch, etwa in Formen der Bestrafung, der Kontrolle von Körper und Geist, zum anderen in Überschneidung mit den Erfahrungen anderer Schüler:innen mit Diskriminierungserfahrungen, wie etwa der Wahrscheinlichkeit, bestimmte Schulen nicht besuchen zu können, oder den Diskriminierungen, die durch das Einbinden von Sozialdiensten, psychologischer Hilfe, Polizei und anderen Institutionen im Bad des strukturellen, institutionellen Rassismus entstehen.
Im Sachbericht von 2019 der Kontakt- und Beratungsstelle zu Anti-Schwarzem-Rassismus EACH ONE des Vereins EOTO e.V. heißt es für den Bereich Bildung:
„Schwarze Kinder erfahren in besonders hohem Maße im Bildungsbereich Benachteiligung: Die Kriminalisierung Schwarzer Schüler*innen, die zu schlechten Noten, Schulverweisen, Mobbing und Isolation führen, verläuft dabei oft über die Markierung und Degradierung des Schwarzen Körpers. Nennenswert ist, dass in den meisten Fällen, in denen Schwarze Kinder in der Bildung diskriminiert wurden, das N-Wort gefallen ist. Dies verweist auf den Zusammenhang dieser Beleidigung mit der rassistischen degradierenden und ausschließenden Behandlung Schwarzer Menschen. Die mangelnde Reaktionsfähigkeit und Sensibilität für die Gewaltsamkeit des Wortes wurde vielerorts festgestellt und bedarf dringender Sensibilisierungs– [im Sinne von Professionalisierung] und Schutzmaßnahmen.“
Überlebensstrategien für Schwarze, afrikanische und afrodiasporische junge Menschen im Bildungssystem beinhalten auch hier u.a. Communities Care, Selbstorganisation und auch das Gespräch (the talk). Denn auch im Kontext Schule ist zum Beispiel immer wieder Racial Profiling, das auch den Weg zur Schule begleitet und die in der Schule eingeforderte Pünktlichkeit, ggf. zunichte machen kann, ein relevantes Thema; auch über das voranstehende Anrecht auf die eigene Unversehrtheit hinaus.
Den spezifischen Erfahrungen von Anti-Schwarzem-Rassismus von jungen Schwarzen Menschen in der professionellen Arbeit in Schule überhaupt Raum zu geben, angemessene Interventions-/Präventionsarbeit zu leisten und Schutz sicherzustellen wird durch einen weiteren Aspekt des Anti-Schwarzen-Rassismus häufig besonders erschwert: Die Aneignung und Konsumption von Black Consciousness, Black Power, Black Culture oder einer Afrika-Romantik als kapitalbringende Pop-Kultur ermöglicht das Dethematisieren von Rassismus gegen Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen. Konsum wird dabei mit Wertschätzung und antirassistischer Haltung gleichgesetzt. In einem noch unveröffentlichten Text führe ich dazu aus, dass
„[e]in Aspekt der Rassifizierung von Schwarzen Menschen afrikanischer und afrodiasporischer Herkunft (…) ist die kapitalistische Verwertung der Resilienz und der Selbstermächtigung, der Erfahrungen, der Widerstandspraxis, der Widerstandssymbole und widerständigen Analyse ebenso wie die des Schwarzen Körpers mit Haut und Haar. Unter diesem Aspekt von Anti-Schwarzem-Rassismus wird nicht nur z.B. Blackfishing betrieben, sondern es ermöglicht performative und konsumierende, häufig nur auf (u.a. depolitisierte, ahistorisierende) Teilaspekte ausgerichtete Teilhabe an „Pop-Kultur“ und ist vor allem auf die Konsument:in (z.B. positive Eigenwahrnehmung) oder die Produzent:in (z.B. Gewinn, Ansehen der Marke) ausgerichtet und hat nicht mit einer größeren Anerkennung, Aufmerksamkeit oder Arbeit für überprüfbare globale und lokale strukturelle und institutionelle Veränderungen zu tun.“
Auch im Angesicht des Dilemmas, dass viele Aspekte der fortwährenden Widerstandsarbeit und der Selbstermächtigung der oben beschriebenen Verwertung zum Opfer fallen wird, setzen Schwarze Eltern den Marginalisierungen, die ihre Kinder, Familie und Communities erfahren, die Zentrierung, die Heterogenität sowie den positiven Selbstbezug unablässig entgegen. Institutioneller Rassismus wird im Macpherson-Report als kollektives Versagen einer Organisation bezeichnet, Menschen aufgrund von Diskriminierungen und Rassismus einen angemessenen und professionellen Service bereitzustellen, definiert. Schwarze Communities wissen dies schon lange: Der strukturellen Machtasymmetrie werden die gegenseitige Bildung, das Erstellen von Analysen und Expertisen, Heilung, Zusammenschluss, Verweigerung sowie Widerstand und Allianzen entgegengesetzt.
- Siehe zum Beispiel den rassismuskritischen Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora.
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