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Fleischindustrie

Kabinett beschließt nach Corona-Ausbruch Schutz ausländischer Arbeiter

Corona-Ausbrüche haben die Ausbeutung von ausländischen Arbeitern in deutschen Fleischfabriken ins Licht gerückt - bekannt sind die Umstände seit Jahrzehnten. Die Bundesregierung reagiert mit Auflagen und Kontrollen. Subunternehmen sollen verschwinden, Arbeiter angestellt werden.

Von Freitag, 22.05.2020, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.05.2020, 18:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nach massiven Corona-Ausbrüchen unter Arbeitern hat das Bundeskabinett schärfere Auflagen für die Fleischindustrie beschlossen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte nach der Kabinettssitzung am Mittwoch in Berlin, das Schlachten und die Verarbeitung des Fleisches in den Betrieben dürfe vom kommenden Jahr an nur noch von eigenen Beschäftigten erledigt werden. „Werksvertragsgestaltung und Arbeitnehmerüberlassung sind damit ab 1. Januar 2021 kommenden Jahres nicht mehr möglich“, sagte Heil.

Damit soll erreicht werden, dass Fleischfabriken die Verantwortung für Niedrigstlöhne und menschenunwürdige Unterbringung nicht länger von sich weisen können. Ausgelöst worden war die Debatte über die Fleischindustrie durch massenhafte Corona-Infektionen in Schlachtbetrieben in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die vielfach aus Rumänien und Polen stammenden Arbeiter sind in der Regel bei Subunternehmen beschäftigt und in überfüllten und überteuerten Unterkünften untergebracht.

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Problem besteht seit Jahrzehnten

Kritiker weisen auf die ausbeuterischen Umstände bereits seit Jahrzehnten hin. Recherchen haben mehrfach offengelegt, wie ausländische Arbeitnehmer unter Umgehung sämtlicher Arbeitnehmerschutzbestimmungen in unhygienischen und überfüllten Schlafcontainern untergebracht sind, bei Arbeitsunfällen schutzlos sind und ausgetauscht werden. Ermöglicht wird das durch die Konstruktion von Subunternehmen, bei denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind. Die Opposition begrüßte die Verschärfungen, die Industrie lehnte sie ab.

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Heil will nun einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem die Arbeitnehmerüberlassung im Kerngeschäft der Fleischindustrie unterbunden werden kann. Ausgenommen werden solle das Fleischerhandwerk, sagte Heil. Der kleine Metzger auf dem Land, der noch selbst schlachte, sei nicht betroffen. Die Verschärfungen zielten allein auf die Zustände in den Fabriken.

Info: Viele Unternehmen schließen mit Subunternehmen Werkverträge zur Erbringung bestimmter Leistungen. Dabei vereinbart beispielsweise ein Schlachthof mit einem Subunternehmer das Schlachten und Zerlegen einer bestimmten Anzahl von Schweinen in einer vorgegebenen Zeit. Wie viele Arbeiter der Subunternehmer für den Auftrag, das „Werk“, einsetzt, was er ihnen bezahlt und wie er die Arbeit organisiert, ist für den Schlachthofbetreiber ohne Belang. Werkverträge werden auch im Bau oder der Metallindustrie eingesetzt. Die Werkvertragarbeiter sind häufig nicht bei dem Subunternehmer angestellt, sondern treten formal als sog. Solo-Selbstständige mit einem eigenen Werkvertrag auf. Auch eine ganze Kette von Subunternehmern sind nicht unüblich. Menschenrechtler sprechen von einer „modernen Form der Sklaverei“ mit bundesweit mehreren Hunderttausend Beschäftigten.

Klöckners Kehrtwende

Das Kabinett beschloss auch eine Ausweitung der Arbeitsschutz-Kontrollen durch den Zoll und die Länder, eine Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung und höhere Bußgelder bei Verstößen. Die Arbeitgeber müssen mitteilen, wo ihre ausländischen Arbeiter eingesetzt und untergebracht sind. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) unterstützte die Beschlüsse. Sie erklärte, in der Fleischindustrie gebe es Zustände, die „nicht haltbar“ seien. Die Betriebe könnten die Verantwortung dafür nicht einfach an Subunternehmer auslagern. Dies gehe zulasten vieler Arbeiter, kritisierte die CDU-Politikerin.

Im Falle ausländischer Erntehelfer auf Spargelfeldern hatte die Landwirtschaftsministerin noch keine Gefahr erkannt. Recherchen hatten offengelegt, dass die überwiegend aus osteuropäischen Ländern stammenden Helfer trotz der Corona-Gefahr unter ausbeuterischen und gefährlichen Bedingungen arbeiten und wohnen. „Es kommen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die frei entscheiden können, wo sie arbeiten wollen in Europa, weil sie Geld verdienen möchten“, hatte Klöckner erklärt.

Heil: Fleischbranche hat getrickst

Ob es zu einem Verbot des „Sub-, Sub-, Subunternehmertums“ (Heil) in der Branche kommen würde, war zu Beginn der Woche noch offen. Heil zeigte sich nach der Kabinettssitzung zufrieden und kündigte an, man werde sich bei der Gesetzgebung nicht von Lobby-Interessen, sondern von der Sorge um das Allgemeinwohl leiten lassen.

Die Fleischindustrie sei eine wichtige Branche für Deutschland. „Für ein Geschäftsmodell jedoch, dass die Ausbeutung von Menschen und die Ausbreitung von Pandemien in Kauf nimmt, kann es in Deutschland keine Toleranz geben“, sagte Heil. „Es ist Zeit, in diesem Bereich aufzuräumen.“ Die Fleischbranche habe in der Vergangenheit immer wieder gesetzliche Regelungen umgangen und die Behörden ausgetrickst.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Opposition begrüßten den Regierungsbeschluss. Freiwillige Regelungen hätten nichts an den katastrophalen Zuständen geändert, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, forderte scharfe Kontrollen, um die unmenschlichen Zustände abzustellen. Jutta Krellmann, Linke-Sprecherin für Arbeit, fordert schnelle und konsequente Kontrollen sowie die Ausweitung der neuen Regeln auch für Saison-, Bau und Gebäudereiniger. Auch dort seien ähnliche Strukturen vorhanden.

Linke: Maiföse Strukturen

„Mafiöse Strukturen und Profitgier sind in der Fleischindustrie tief verwurzelt. Die Branche war immer gut darin, bestehende Gesetzeslücken auszunutzen“, erklärt Krellmann. Zudem brauche es ein konsequentes Handeln der staatlichen Kontrollbehörden. „Die Kontrolldichte ist sofort zu erhöhen und nicht erst in sechs Jahren“, so die Linke-Politikerin.

Die Arbeitgeber nannten es hingegen inakzeptabel, dass einzelne Missstände der Politik dazu dienen sollten, erfolgreiche Instrumente der Wirtschaft wie Werkverträge abzuschaffen. Das gehe gegen die Berufsfreiheit, kritisierte die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Die Geflügelwirtschaft warnte, Werkverträge allein für die Fleischindustrie zu verbieten, sei verfassungswidrig. Der Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft, Friedrich-Otto Ripke, forderte einen Runden Tisch aus, um neue Regeln zu entwickeln. Zugleich erklärte er aber, rechtlich erscheine es ihm auch erfolgversprechend, gegen ein Verbot von Werkverträgen für die Fleischindustrie zu klagen. (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Gerrit sagt:

    Seit Jahrzehnten ist es bekannt. Immer hat die Politik weggeschaut. M.W. wurde das Instrument „Werkvertrag“ in 1973 eingeführt und eigentlich, insbesondere in der Fleischindustrie, dafür genutzt, Menschen auszubeuten, damit wir „billig“ einkaufen können. Natürlich gibt es auch andere Branchen, die die „Klaviatur der Werkverträge“ gut spielen können.

    In Corona-Zeiten fällt es der Politik auf einmal auf, daß hier gravierende Misstände herrschen. Denn jetzt geht es um unser eigenes Wohlergehen – dazu gehört dann bitte aber auch das Wohlergehen der Betroffenen.

    Ach ja, Frau Klöckner muss auch wieder „ihren Senf dazu geben“. Ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, daß all die Erntehelfer in 2020 anders untergebracht sind als 2019 und davor.
    Besonders menschenunwürdig ist ihre Aussage: “ Es kommen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die frei entscheiden können, wo sie arbeiten wollen in Europa, weil sie Geld verdienen möchten“. Das sind Menschen, die diese Arbeit brauchen, um ihre Familien zu ernähren. Von Freiheit in der Entscheidung kann man da wohl kaum sprechen.

    Bei einer Besoldungsgruppe „B11 + X“ kann man schon solche „großen Bögen spucken“ … unverständlich! Sie sollte sich lieber mal um’s Tierwohl kümmern, auch so ein Mißstand. Vielleicht sollte sie mal auf die Homepage ihres eigenen Ministeriums gucken. Dort brüstet sich das Ministerium damit, daß der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist???

    Herr Tönnies macht auf einmal Vorschläge zur Lösung, weil er wohl merkt, daß der Fleischindustrie „die Felle wegschwimmen“. Wo waren Herr Tönnies und andere in den vergangenen Jahren mit Vorschlägen. Da waren die Probleme lange bekannt – aber keine Vorschläge!

    Und wenn der Verband der Deutschen Geflügelwirtschaft jetzt einen „Runden Tisch“ fordert, dann geht es doch letztlich nur darum, die zu erwartenden Bestimmungen „weich zu waschen“.
    Bei uns in der Kommunalpolitik sagt man: „Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis“. Der kann dann tagen bis Ultimo, aber ändern wird sich nicht viel.

    Ich HOFFE, die Politik bleibt dieses Mal hart. Und wenn dann die Schlachtindustrie auswandern will, wie angedroht, dann ist das so.
    Dann sollte Frau Klöckner endlich einmal Rückgrat beweisen und dafür sorgen, daß Tiere nicht über große Entfernungen transportiert werden dürfen. Dann hat sich das Problem mit dem Umzug nämlich erledigt.
    Und sollte die Schlachtindustrie dort ähnlich agieren wie hier, bezogen auf die Menschen UND die Tiere, dann sollen sie ihr Zeug anderswo verkaufen.

    Ich esse gern ein gutes Stück Fleisch, aber nicht unter den Voraussetzungen.