Studie
Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien
Quantität und Qualität der Berichterstattung über Flucht und Migration klaffen weit auseinander. Das geht aus einer europaweiten Medien-Analyse hervor. Ein Ergebnis: Migranten und Flüchtlinge spielen als Akteure nur eine untergeordnete Rolle.
Mittwoch, 15.01.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.02.2020, 10:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In deutschen Medien wird überdurchschnittlich viel über Migration und Flucht berichtet. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Studie des European Journalism Observatory an der Technischen Universität Dortmund hervor. Danach publizierten die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in sechs Untersuchungswochen zwischen 2015 und 2018 mehr als 1.000 Beiträge zum Thema. Vor allem in vielen osteuropäischen Ländern seien im gleichen Zeitraum kaum mehr als 100 Artikel erschienen.
Für die Studie mit dem Titel „Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien: Die Berichterstattung über Flucht und Migration in 17 Ländern“ wurden Texte von 33 Online- und Printmedien analysiert. Gefördert wurde die Studie von der Otto-Brenner-Stiftung
SZ mit über 100 Artikeln pro Woche
Pro Woche erschienen in der „Süddeutschen Zeitung“ durchschnittlich 117 und in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ 51 Artikel. Ebenfalls überdurchschnittlich viel berichteten zudem die ungarischen Onlineportale „Magyar Hirlap“ und „Index.hu“: Der Studie zufolge wurden dort in den sechs Wochen sogar mehr als 1.500 Beiträge zu Flucht und Migration publiziert.
Auch inhaltlich zeigt die Studie Unterschiede auf: In vielen EU-Staaten sind Flucht und Migration Auslandsthemen. Für Deutschland als größtes Aufnahmeland der EU sowie die Ankunftsländer Italien und Griechenland liegt der Fokus der Berichterstattung hingegen auf dem eigenen Land. Die französischen, britischen und ungarischen Medien betonen auch die internationale Verhandlungsebene in ihren Berichten. In Italien und Frankreich stehen Zuwanderer aus Afrika im Vordergrund. Medien anderer Länder konzentrieren sich eher auf Menschen aus dem Mittleren Osten.
Probleme im Vordergrund
„Es ist fraglich, inwiefern die Medien so den berufsethischen Anspruch, eine `Stimme für die Stimmlosen´ zu sein, erfüllen können.“
Die untersuchten Medien in Osteuropa rücken der Studie zufolge Probleme mit Migranten und Flüchtlingen sowie Proteste in den Vordergrund. In den Medien in Westeuropa überwiegen hingegen Berichte über die Situation der Migranten und Flüchtlinge sowie über Hilfsbemühungen.
Dabei habe Deutschland ebenfalls eine Sonderrolle: Kein anderes Untersuchungsland berichtete so intensiv über Unterstützungsbemühungen. So seien 35 Prozent aller in der „Süddeutschen Zeitung“ zitierten Akteure Bürger und Institutionen, die Hilfestellung für Migranten und Flüchtlinge leisten.
Migranten sind selten Akteure
Migranten und Flüchtlinge selbst spielen den Angaben zufolge in der Berichterstattung als Akteure nur eine untergeordnete Rolle. Jupp
Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, sieht kritisch, dass Migranten und Geflüchtete selbst, meist lediglich eine „Statistenrolle“ innehaben. Nur in einem Viertel der Berichte sind sie die zentralen Akteure und dann hauptsächlich als große und anonyme Gruppe. Als Individuen (oder Familien) erkennbar sind die Migranten und Flüchtlinge in nur 8 Prozent der Berichte.
„Wie viele andere Studien stellen auch wir einen starken Fokus auf Regierungen als Hauptakteure in der Berichterstattung fest“, merkt Legrand an und fährt fort: „Es ist fraglich, inwiefern die Medien so den berufsethischen Anspruch, eine `Stimme für die Stimmlosen´ zu sein, erfüllen können.“
USA, eine bemerkenswerte Ausnahme
Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, dass nur eine geringe Zahl von Betroffenen in den Artikeln direkt oder indirekt zitiert wird, ergänzt Studienautorin und Professorin Susanne Fengler. Eine bemerkenswerte Ausnahme macht die Studie in den amerikanischen Medien aus, in denen weit mehr Migranten und Flüchtlinge dargestellt und auch zitiert werden.
Untersucht wurde die Berichterstattung von je zwei Medien aus 16 europäischen Staaten und den USA, darunter unter anderem Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen, Ungarn und Russland. In Griechenland wurde nur ein Onlineportal untersucht. (epd/mig) Leitartikel Panorama Studien
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