"Spätkolonialistische Attitüde“

Experte: „Gesamtstrategie zur Anwerbung von Flüchtlingen für die Pflege fehlt“

Allein mit der Ausbildungen von Flüchtlingen zu Pflegekräften ist dem Personalnotstand nicht beizukommen. Fachleute fordern eine Strategie und warnen vor der Anwerbung im Nicht-EU-Ausland mit „spätkolonialistischen Attitüden“ nach dem Motto „Hauptsache, wir in Deutschland sind versorgt“.

Von Dirk Baas Montag, 09.12.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.12.2019, 15:34 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sebastian Riebandt von der nordrhein-westfälischen Koordinierungsstelle für Flüchtlinge in Pflege- und Gesundheitsberufen findet klare Worte: „Das volle Potenzial Geflüchteter in der Pflege ist noch nicht ausgeschöpft.“ Riebandt, dessen Stelle soziale Einrichtungen dabei unterstützt, aus ihrer Heimat geflohene Menschen in Heime, ambulante Dienste und Kliniken zu bringen, rät: „Ihre Ansprache auf lokaler Ebene sollte strukturierter und gruppenspezifischer erfolgen.“ Doch wo brauchen sie welche fachlichen Hilfen? Sind sie überhaupt informiert darüber, dass sich in der Pflege beste Berufsperspektiven bieten?

„Ich kann mich überhaupt nicht beklagen“, sagte der Syrer Abdulrahim Sakkal (26) der Fachzeitschrift „Die Schwester – Der Pfleger“. Er wird gerade am Uniklinikum Essen zum Gesundheits- und Krankenpfleger ausgebildet. Davor lag ein 18-monatiger Integrationskurs für Flüchtlinge – angeboten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem Jobcenter Essen und der Diakonie Essen. Zum Kurs gehörte auch eine Praxishospitation an der Uniklinik. Von 25 Kursteilnehmern haben vier weitere die gleiche Ausbildung wie Sakkal begonnen.

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Eine nicht repräsentative Studie

Elke Strelow, Leiterin der Krankenpflegeschule der Segeberger Kliniken, hat 2018 für eine nicht repräsentative Studie Flüchtlinge, die eine Pflegeausbildung begonnen haben, über ihre persönliche Situation befragt. Sie wollte erfahren, wie sie den Weg in eine Pflegeausbildung fanden. Und auch, welche Unterstützung die jungen Leute brauchen, damit die Integration gelingt.

„Die Interviews haben gezeigt, dass ein sicheres soziales Gefüge, verbunden mit einer eigenen Wohnung und einer geregelten Beschäftigung, erheblich zur Integration beiträgt“, so Strehlow in dem Fachblatt. Und: Es brauche vorgelagerte Praktika, um das Berufsfeld kennenzulernen, und eine kontinuierliche Beratung und Begleitung der Azubis. „Um das Sprachniveau zu verbessern, sollte die Teilnahme an Sprachkursen selbstverständlich sein.“

Keine validen Daten

Valide Daten über die Zahl der Flüchtlinge, die bereits in der Pflege tätig sind oder eine Ausbildung dazu begonnen haben, gibt es nicht. Denn das Merkmal „Flucht“ wird in den Statistiken der Ausländer- oder Arbeitsmarktbehörden nicht erfasst.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bemüht sich, mehr Fachkräfte aus dem Ausland ins Land zu bringen. Erleichterungen gibt es für Herkunftsländer wie Mexiko, die Philippinen und das Kosovo. Diese Strategie findet keineswegs nur Zuspruch. Präsident Franz Wagner fordert, dass vor allem die Arbeitsbedingungen für das Personal hier in Deutschland signifikant verbessert werden müssten. „So könnte man viele deutsche Schwestern und Pfleger, die zum Teil aus Erschöpfung in Teilzeit arbeiten oder sich aus Frust beruflich neu orientiert haben, zurückgewinnen.“

„Spätkolonialistische Attitüden“

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Der Deutsche Caritasverband sieht die Anwerbung im Nicht-EU-Ausland ebenfalls kritisch. Man sollte nicht „spätkolonialistische Attitüden“ an den Tag legen nach dem Motto „Hauptsache, wir in Deutschland sind versorgt“, sagt Präsident Peter Neher.

Bei den Flüchtlingen ist die Ausgangslage eine andere. Die Menschen sind ohnehin hier und werden nicht selten über Jahre in Deutschland leben. Schon deshalb sei sinnvoll, möglichst viele dieser jungen Menschen in eine Fachausbildung zu bringen. Sebastian Riebandt betont, dass es dabei vor allem „auf die Unterstützungsmöglichkeiten ankommt, die den Ausbildungserfolg sichern“ und Abbrüche vermeiden helfen. Das könnten Sprachkurse oder sozialpädagogische Hilfsangebote sein.

Bildungskette

Wie das gezielte Heranführen von Flüchtlinge an die Pflege gelingt, zeigt der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe. Birgit Schierbaum, Leiterin Integration und Sprache, sagte dem „Evangelischen Pressedienst“, man setze auf das Konzept ununterbrochener Bildungsketten. So könnten Flüchtlinge vom Sprachkurs über den Hauptschulabschluss bis hin zur Pflegeausbildung unter dem Dach des Vereins bleiben.

Entscheidend sei deren kontinuierliche Betreuung über mehrere Jahre hinweg, betont die Fachfrau. „Wir können in vielen Situationen helfen, die gar nichts mit der Ausbildung zu tun haben, weil wir vor Ort gut vernetzt sind.“ Die Sache sei einfach: „Leute, die bei uns einen Sprachkurs gemacht haben und sich wohlgefühlt haben, können einfach hierbleiben.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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  1. Matthias sagt:

    Was sich der Präsident der Caritas da aussagt, hört sich zwar toll an ist aber eben Unsinn. Mit Mexiko und den Phillipinen wurden Länder ausgesucht, die mehr Pflegekräfte ausbilden, als Bedarf ist.

    Hier Menschen abzuwerben hat nicht mit Kolonialismus zu tun. Da sollte sich gerade der Präsident einer katholisch orientierten Einrichtung zurückhalten. Man könnte sich ja die „Anwerbung“ indischer Ordensschwestern ansehen und dann mit den Anwerbung in Mexiko vergleichen…..

    Allerdings ist es auch richtig, das Potential der Flüchtlinge zu nutzen. Man sollte das ein tun ohne das andere zu lassen. Denn in Summe kann ich mir nicht vorstellen, dass der Bedarf in Deutschland durch die Maßnahmen gedeckt werden kann.