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Durch das Netz gefallen

Italiens „Sicherheitsdekret“ macht bis zu 140.000 Flüchtlinge obdachlos

Das "Sicherheitsdekret" der italienischen Regierung macht ungezählte Flüchtlinge obdachlos. Sie sammeln sich täglich hinter dem römischen Bahnhof Tiburtina. Ein Elendstreff, dessen Zustrom stetig wächst. Es fehlt an allem - doch es gibt auch Hilfe.

Von Bettina Gabbe Mittwoch, 07.08.2019, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.08.2019, 19:33 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Wenn die Abendsonne die Glasfassaden des römischen Bahnhofs Tiburtina in warmes Licht taucht, versammelt sich an seiner Rückseite ein Heer von neuen Obdachlosen. Hier, im Anblick verlassener Wärterhäuschen und Wiesen mit meterhohem trockenen Gras, treffen sich jeden Abend Flüchtlinge, die kein Anrecht mehr auf Unterkunft haben.

Auf Betreiben des italienischen Innenministers Matteo Salvini von der rechtsnationalen Lega verabschiedete das Parlament im vergangenen Herbst das so genannte Sicherheitsdekret. Es kürzte Mittel für Aufnahmeeinrichtungen, so dass dort keine Sprachkurse mehr angeboten werden. Überdies wurde der Kreis der Berechtigten drastisch eingeschränkt. Zudem wurde die Möglichkeit abgeschafft, abgelehnten Asylbewerbern humanitären Schutz zu gewähren.

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Das renommierte Forschungsinstitut ISPI aus Mailand schätzt, dass deshalb bis Ende 2020 bis zu 140.000 Migranten obdachlos werden. Die Betroffenen dürfen nicht arbeiten, um für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen oder ihre Rückreise zu finanzieren. Abschiebungen in die Herkunftsländer gestalten sich mangels Rücknahme-Abkommen als schwierig.

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„Rassismus salonfähig gemacht“

Andrea Costa kümmert sich seit Jahren mit seiner Hilfsorganisation Baobab um Flüchtlinge am Bahnhof Tiburtina. Früher sammelten sich dort Migranten auf dem Weg in andere europäische Länder. Doch seit Italien alle Ankömmlinge registriert, ist der Weg zu einem Asylverfahren etwa in Deutschland versperrt.

Mittlerweile versorgt Baobab vor allem Flüchtlinge, die aus den Aufnahmeeinrichtungen ausgeschlossen werden. Die Nervosität unter den Gestrandeten wächst, beobachtet Costa. „Salvini hat den vorhandenen latenten Rassismus salonfähig gemacht“, sagt der gelernte Glaser unter Hinweis auf die täglich schärfer werdenden Attacken des Innenministers.

Leben auf der Straße

Die Mitarbeiter von Baobab verteilen morgens und abends Mahlzeiten. Einer von ihnen, ein 21-Jähriger aus Gambia bietet höflich einen Platz auf dem als Matratze dienenden Schlafsack auf dem Bürgersteig an. Er warte seit zwei Jahren auf den endgültigen Bescheid seines Asylverfahrens. In der Zwischenzeit darf er nicht arbeiten.

Ernest Oba, ein Nigerianer, erzählt am anderen Ende des Schlafsacks, er habe versucht, mit einem Flixbus nach Deutschland zu kommen, sei aber zurückgeschickt worden. Seit fünf Jahren lebt er in Italien, seit Inkrafttreten des Sicherheitsdekrets im vergangenen November auf der Straße.

Kaum Chancen auf Arbeit

Viele der jungen Männer möchten weiter nach Deutschland. Denn in Italien haben sie kaum Chancen auf Arbeit, selbst wenn sie die nötigen Papiere hätten. Diejenigen unter ihnen, die als Jugendliche die gefährliche Überfahrt von Libyen aus über das Mittelmeer nach Lampedusa gemacht hätten, seien oft traumatisiert, stellt Costa fest. Nicht nur die Frauen würden auf der Flucht vergewaltigt, sondern auch die jungen Männer. Deshalb bräuchten sie nicht nur ein Dach über dem Kopf, Essen und Sprachkurse, sondern dringend auch psychologische Betreuung.

Stattdessen würden ihnen häufig sogar die Papiere für die Gesundheitsversorgung verweigert, obwohl sie darauf Anrecht hätten, schimpft Sonia Manzi, die bei der Rechtsberatung hilft. Manche Polizisten verweigerten Schwarzen Menschen gar den Zutritt zu den Ämtern.

Keine Hoffnung auf bessere Zukunft

Zum Waschen und Essen gehen einige der Flüchtlinge tagsüber ins Centro Astalli, den italienischen Ableger des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS). Obwohl seit der weitgehenden Schließung der zentralen Mittelmeerroute nur noch wenige Flüchtlinge Italien erreichen, verzeichnet das Zentrum wachsenden Zulauf. „Anstatt mehr Sicherheit zu schaffen, vergrößert das Sicherheitsdekret die Kategorie der Menschen, die sich nicht integrieren können“, sagt der Präsident des Centro Astalli, Camillo Ripamonti.

Auch im Keller der amerikanischen Episkopalkirche St. Paul’s Within the Walls an der zentralen Via Nazionale können Migranten sich waschen und bekommen auch warme Mahlzeiten. Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Italien könnten sie den Migranten aber nicht mehr geben, sagt Piero Rijtano bitter. Die wachsende Zahl an obdachlosen Flüchtlingen sieht er als ideale Beute krimineller Organisationen wie der Mafia und der Camorra. So schaffe das Sicherheitsdekret nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. (epd/mig) Aktuell Ausland

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  1. tanja van de loo sagt:

    Wir sind auch schockiert. Sorry. Redaktion

    hallo, danke für den bericht. aber den begriff „farbige“ in dem artikel zu lesen, schockiert mich.

  2. Selloutsally sagt:

    Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Text korrigiert. VG. Redaktion

    Liebe Migazin Redaktion,
    Ein kleiner Hinweis zur Sprache in diesem informativen Artikel: bitte ändert den rassistischen Begriff ‚Farbige‘. Die politisch korrekte Bezeichnung lautet Schwarze bzw People of Color wobei es hier aber wohl eher in Schwarze Personen geht. Mehr Informationen dazu gibt z.b hier https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache oder noch besser in dem mehr als empfehlenswerten Nachschlagwerk „Wie Rassismus aus Wörtern spricht“