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Italien © Wikipedia (CC 3.0), MiG

Warten auf Menschenrechte

In Rom stranden Flüchtlinge auf dem Weg gen Norden

Awet ist es unangenehm, seine derzeitige Bleibe zu zeigen. Eine blanke Matratze ohne Laken und eine zerschlissene Decke zwischen zwei weiteren provisorischen Lagern sind derzeit sein Bett in Rom.

Von Corinna Buschow Dienstag, 13.10.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 14.10.2015, 17:41 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Es geht schon irgendwie“, sagt er, als er auf die Toiletten am anderen Ende des Gangs zeigt, deren unangenehmer Geruch herüberströmt. Eine Woche lang ist er inzwischen im Centro Baobab, einer selbstverwalteten Flüchtlingsunterkunft in Rom. „Ich bin immer noch müde“, sagt er. Drei Monate Flucht von Eritrea durch die Wüste und in einem Boot übers Mittelmeer liegen hinter dem 26-Jährigen. Wie es weitergehen soll, weiß er noch nicht.

Im Centro Baobab organisieren Ehrenamtler die Versorgung von Flüchtlingen, bei der der Staat sichtbar versagt. Viele Flüchtlinge leben in Italien auf der Straße. Trotz aller Mängel ist das von den Behörden geduldete Zentrum ein kleiner Rettungsanker vor allem für Schwangere und Minderjährige.

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Ursprünglich wurde das Zentrum als äthiopisches Kulturzentrum gegründet. Jetzt bieten provisorische Lager und ausgediente Doppelstockbetten Schlafstätten für Flüchtlinge. Auf der Bühne hinter einem Vorhang versorgen Ärzte Wunden. Freiwillige rotieren in der Küche, um Essen für mehrere Hundert Menschen auf den Tisch zu bringen. Derzeit sind es 560.

Der ganze Betrieb basiert auf Spenden. Für die Wassernutzung gibt es eine Vereinbarung mit den Behörden, beim Strom droht jedoch die Abschaltung. Das Essen reicht gerade, doch es hat auch „dunkle Momente“ gegeben, als es nichts gab, erzählt Veronica Giordano. Die Jurastudentin kam vor einiger Zeit ins Centro, um Hygieneartikel zu spenden. Inzwischen verbringt sie einen großen Teil ihrer Freizeit dort.

Vor allem Eritreer kommen im Zentrum an. Fast keiner will in Italien bleiben. Der 31-jährige Hagos will nach Deutschland oder England. Er hofft, dass ihm Freunde, die es bereits geschafft haben, bald Geld schicken. „Alle hier warten auf Geld für die Weiterreise“, sagt Veronica. In Italien hätten sie ohnehin keine Perspektive, ergänzt sie. Deswegen helfen die Freiwilligen beim Organisieren der Zugtickets, verteilen Proviant für die Weiterreise.

Den Verstoß gegen die Regeln des europäischen Asylsystems nehmen sie dabei wissend in Kauf. Nach der Dublin-Regelung müssten die Flüchtlinge im Ankunftsland Italien bleiben, weil es für ihr Asylverfahren automatisch zuständig ist. Dafne Marzoli von der Migrationsarbeit der evangelisch-lutherischen Kirche in Italien erzählt, anders als die oftmals gut informierten Syrer hinterließen Eritreer in der Regel Daten und Fingerabdruck in Lampedusa. „Sie lassen es einfach mit sich geschehen“, sagt sie.

Wenn sie einmal in Italien registriert sind, kann jedes andere EU-Land die weitergereisten Flüchtlinge wieder abschieben. Deutschland beispielsweise hat das Zurückschicken von Syrern nach dem Dublin-System zwar aus humanitären Gründen ausgesetzt, für Menschen aus der brutalen Militärdiktatur Eritrea gilt das aber nicht. Einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken zufolge stellte Deutschland 2014 insgesamt 1.198 sogenannte Übernahmeersuchen für Eritreer. Wie viele davon an Italien gingen und tatsächlich vollzogen wurden, geht aus dem Dokument nicht hervor. Die meisten Anfragen für alle Herkunftsländer gingen in dem Jahr aber an Italien.

Erst in dieser Woche sei ein junger Eritreer aus Deutschland zurückgekommen, erzählt Veronica. Die Ausgewiesenen stranden dann wieder im Centro, warten wieder auf Geld, wollen es wieder in einem anderen EU-Land versuchen. „Das ist doch keine Politik“, ärgert sich Veronica, die mit anderen Freiwilligen versucht, gegen die Perspektivlosigkeit der Menschen zu kämpfen.

Awet, der in Eritrea als Taxi-Fahrer arbeitete und vor dem Militärdienst floh, hat noch keine Idee, woher er Geld für seinen ersten Versuch zur Weiterreise nehmen soll. Hagos ist überzeugt, dass die Finanzhilfe bald kommt für die Weiterfahrt nach Großbritannien oder Deutschland. Was er vom Leben dort erwartet? „Menschenrechte“, sagt der 31-Jährige, der bereits ein paar Brocken Deutsch aufgeschnappt hat: „Ein free Leben.“ (epd/mig) Aktuell Ausland

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  1. karakal sagt:

    In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg überfielen die Italiener unter Führung Benito Mussolinis Äthiopien, Eritrea, Libyen und Albanien und besetzten diese Länder – einfach so, nur weil sie Kolonien haben wollten. Dabei wurden viele der Einheimischen brutal mißhandelt, getötet, ihnen ihr Besitz und ihr Land geraubt, ihre Ressourcen geplündert – von einem Land, das in Europa eines der militärisch schwächsten, aber immer noch stark genug war, um jene noch schwächeren Länder zu besetzen.
    Es mutet wie eine zeitversetzte Vergeltung des Schicksals an, daß im Gegenzug heute Menschen aus jenen Ländern nach Italien kommen – nicht als Eroberer und Besatzer, sondern als Flüchtlinge. Die heutigen Italiener sollten dankbar dafür sein, daß sie durch die Unterstützung der Flüchtlinge an den Nachkommen der von ihren Großvätern mißhandelten und ermordeten Angehörigen jener Völker das von jenen begangene Unrecht wiedergutmachen können.
    Und warum wollen dann so viele Flüchtlinge ausgerechnet nach Deutschland? Das Deutsche Reich hatte bis Ende des Ersten Weltkriegs zwar nur vier Kolonien in Afrika und eine in Ozeanien, aber die Nazis hatten die Absicht, den größten Teil der restlichen Welt zu erobern, zu besetzen und deren Völker zu unterjochen – was ihnen jedoch nicht mehr gelang. Anscheinend geht es bei dieser Vergeltung des Schicksal nicht nur um tatsächlich begangenes Unrecht, sondern auch um unausgeführte Absicht.

  2. Manuel sagt:

    @karakal

    Rache, Vergeltung, etc …sind primitive Ausreden um sich daneben benehmen zu dürfen. Sie als Migrant, als Einwanderer, der von der Toleranz und der Aufnahmebereitschaft Deutschlands profitiert hat sollten nicht rachsüchtig sein oder in diesen Kategorien denken (Ihre Kommentare enthalten fast immer solche oder ähnliche Anspielungen), sondern dankbar und demütig. Von Menschen die Rache üben wollen, werden ebenfalls wieder Rache erfahren. Ein Teufelskreis, den nur der Stärkere gewinnt, was die Flüchtlinge nicht sind. Ihr Kommentar ist also Hetze pur, nur mit umgekehrten Vorzeichen.