Dakar, Senegal, Afrika, Strand, Meer, Küste, Stadt
Dakar Senegal © Jeff Attaway @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Bildungsmisere

Im Senegal gehen viele Kinder nicht zur Schule

Gebäude im Rohbau, Müll auf dem Schulhof, Klassen mit 80 Schülern: Viele Schulen im Senegal sind in einem traurigen Zustand und kosten auch noch Geld, während die Bildungsplaner vom digitalen Lernen schwärmen.

Von Odile Jolys Donnerstag, 14.03.2019, 5:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.03.2019, 19:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Léopold Senghor, der erste Präsident des unabhängigen Senegal, war ein preisgekrönter Dichter. Selbst Lehrer von Beruf, wollte er sein Land mit Hilfe der Bildung entwickeln, als er von 1960 bis 1980 regierte. In den Grundschulen sangen die Kinder sein Versprechen über die Hauptstadt: „Im Jahr 2000 wird Dakar wie Paris sein.“ Doch als es an die Jahrtausendwende ging, war das Ziel in dem westafrikanischen Land immer noch in weiter Ferne.

Junge Senegalesen hatten die Perspektivlosigkeit satt. Zu Tausenden machen sie sich in seeuntüchtigen Booten auf die gefährliche Reise Richtung Europa. Es ist nicht nur der Mangel an Jobs, auch die Bildung liegt im Argen. Jedes Jahr werden im Senegal 600.000 Kinder im Grundschulalter nicht eingeschult.

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Die Einschulungsrate von 73 Prozent ist zwar deutlich besser als noch vor 20 Jahren. Doch der Staat kommt in der kinderreichen Gesellschaft nicht hinterher mit dem Ausbau des Schulsystems. Und die Qualität der öffentlichen Schulen ist ein leidiges Thema. Dabei wird seit dem Jahr 2000 über pädagogische Inputs, Computer und Lernen im digitalen Zeitalter gesprochen.

Doch die Realität sieht anders aus. Trotz der Schulpflicht bis 16 Jahre bleibt Schule für viele Senegalesen ein Fremdkörper. Wer sich bei Müttern in Malika umhört, kann sich ein Bild davon machen. Der sandige und stark wachsende Vorort der Hauptstadt Dakar ist eingezwängt zwischen Meer und einer großen Müllhalde. Hier lebt die Witwe Absa Diallo, die ihre Familie mit dem Verkauf von Spinat und Zwiebeln über Wasser hält. Keines ihrer sechs Kinder ging je zur Schule.

Minimale Ausstattung der Klassenzimmer

Nur wenig anders ist es bei Anta Touré, die mit dem siebten Kind schwanger ist und ihre Familie mit dem Verkauf von Hirsebrei ernährt. Ihre zwei ältesten Kinder haben die Schule nach der Grundschule abgebrochen. Die anderen wurden gar nicht erst eingeschult. Die Straßenhändlerin Fatou Sene, die Parfüm in kleinen Dosen verkauft, hat immerhin vier ihrer zwölf Kinder eingeschult. Eine Senegalesin bekommt im Durchschnitt etwa fünf Kinder.

Die Kosten des Schulbesuchs spielen eine Rolle. Die Einschreibung in der öffentlichen Grundschule kostet eigentlich nichts, aber: „Wir bitten die Eltern um einen jährlichen Beitrag von 2.500 CFA-Francs“, erzählt der Rektor der Grundschule Malika-Plage, der nicht genannt werden will. Das sind umgerechnet fünf Euro. „Wir brauchen das Geld, um den Nachtwächter, Strom und Wasser zu bezahlen“, erläutert er.

Ob der Staat nicht einen Etatposten für solche Ausgaben bereitstellt? „Seit der Dezentralisierung sind Bürgermeisteramt und Landkreise zuständig“, sagt er vage. „Am Ende müssen wir selber die Rechnung begleichen.“ Die Grundschule, 2003 gegründet, ist noch im Rohbau. Kein Baum spendet Schatten auf dem von Müll übersäten Schulhof. Und die Ausstattung der Klassenzimmer ist minimal: Bänke, Tische und Tafel.

Wettbewerb um die besten Schüler

Neben dem mehr oder weniger freiwilligen Beitrag müssen die Eltern für Schulmaterialen wie Hefte und Stifte sorgen: In der Grundschule fallen jährlich geschätzt zehn bis zwanzig Euro an. Schulbücher werden von der Schule ausgeliehen, reichen aber nicht für alle. Diese Ausgaben sind zu viel für die armen Familien, in denen oft noch niemand in eine Schule ging und die offizielle Landes- und Schulsprache Französisch spricht.

Die Schulleiter reagieren auf diese Misere kaum. Mustapha Diouf, Rektor der ältesten Grundschule Malikas, lehnt sogar Kinder bei der Anmeldung ab. Mit 1.293 Kindern und 15 Lehrern ist seine Schule voll belegt. Rund 80 Kinder sind in einer Klasse. Bei 100 wird geteilt: Eine Schicht lernt dann vormittags, die andere nachmittags, die Stundenzahl wird reduziert.

Gleichzeitig florieren die Privatschulen, selbst in Vororten wie Malika. Aissatou Sow Thiam, Ehefrau eines Feuerwehr-Kommandanten, gibt 120 Euro für ihre drei Kinder aus. Sie hat kein Vertrauen in die öffentlichen Schulen. „Es gibt zu viele Streiks und zu viele Kinder pro Klasse.“ Öffentliche und private Schulen führen einen wahren Wettbewerb um die besten Schüler mit Gratifikation und kostenloser Anmeldung. (epd/mig) Aktuell Ausland

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