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Biodeutsch

Die Biologie des Deutschseins

Das Wort „biodeutsch“ drückt in seiner vermeintlichen politischen Korrektheit das Verlangen aus, an dem Konstrukt einer Biologie des Deutschseins fest zu halten. Von Sami Omar

Von Dienstag, 29.05.2018, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 29.05.2018, 20:50 Uhr Lesedauer: 1 Minuten  |  

„Biodeutsch“ wird als Selbstbezeichnung deutscher Bürger*innen gebraucht, wenn es gilt, sich von solchen zu unterscheiden, die ihr Leben vor einem der unvergänglichen Migrationshintergründe fristen. Die Selbstbezeichnung „biodeutsch“ ist nichts als die Vortäuschung guter Absicht – die Vermeidung direkter Beleidigungen und Reduzierungen. Sie ist der Laubbläser zwischenmenschlicher Kommunikation. Sie ist der schlechteste unter den modernen Versuchen, das Deutschsein neu zu benennen.

„Biodeutsch“ lädt dazu ein „mit einem naturalistischen Begriff des Volkes ausgefüllt zu werden – mit einer ethnozentrischen, latent kriegerischen Deutung der Nation“ 1. Es ist das Gegenteil dessen, was die Absicht des Wortes zunächst vorgibt zu sein. Nicht-biodeutsch-Sein ist ein unabänderlicher Ausschluss. Unsere Sprache ist voll von derlei metaphorischen Würgegriffen: Integrationswille – Deutschtürke – fremde Wurzeln.

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Hoffnung und Zuversicht nähren sich an Möglichkeiten. Begriffe, die die Essenz des Deutschseins in der Biologie verorten, deuten auf ewiges Fremdsein. Es bleiben so keine Möglichkeiten auf Teilhabe am Deutschsein und damit keine Hoffnung.

Ich nenne es das Dobrint-Spahn-Paradoxon: Integration fordern – Desintegration fördern!

Nach einer Veranstaltung sprach kürzlich wieder jemand zu mir und bezeichnete sich dabei als „biodeutsch“. Ich war zu müde für Widerspruch und machte eine Faust in meiner Hosentasche. Nur ein Finger wollte sich nicht beugen!

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  1. Bert sagt:

    @Sami Omar
    Das Wort Biodeutsch wird doch hauptsächlich von Migranten als herablassende oder neutrale Bezeichnung eines „autochtonen“ (bzw. nicht migrantisch aussehenden) Deutschen benutzt. Falls Deutsche dieses Wort jetzt ebenfalls benutzen, dann weil sie es übernommen haben. Mit Dobrindt-Spahn-Paradox hat das also eher gar nichts zu tun. Da müssen Sie die Schuldigen in den Reihen der Migranten suchen.

    Da wir es uns aber nicht zu einfach machen wollen:
    Selbstverständlich benutzen manche Deutsche diesen Begriff anstelle von Arier. Diese selbsternannten Arier sind aber nicht Herr über eine Begriffsdefinition oder deren Konnotation. Die geballte Faust in der Hosentasche war also genau richtig dort, da sie überflüssig war. Es ist die Intention jedes einzelnen Emittents die zählt und nicht ihre Sensibilität ggü. diesem Begriffs oder was Sie dort hinein interpretieren wollen.

    Sieht also ganz klar nach einem Sami-Omar-Paradox aus.

    „Unsere Sprache ist voll von derlei metaphorischen Würgegriffen: Integrationswille – Deutschtürke – fremde Wurzeln.“

    Dagegen hilft meist einfach nur ein Quäntchen Selbstbewusstsein. ;)

  2. karakal sagt:

    „Biodeutsch“ ist wieder solch eine dumme neudeutsche Wortschöpfung. Ich bin nicht „biodeutsch“, sondern herkunftsdeutsch. Aber woher kommt das deutsche Volk eigentlich? Seit wann kann man die Deutschen als „Deutsche“ ansehen? Welche „biologische“, bzw. besser „genetische“ Herkunft haben denn die heutigen Deutschen? Das dürft wohl in erster Linie eine Mischung aus Genen germanischer Aufständischer und romanisierter Kelten sein, und dann kamen diejenigen der bei der Ostkolonisation unterworfenen slawischen Völker hinzu. Während all der Jahrhunderte wurden auch noch die Gene weiterer Völker hineingemischt. Rudolf Pörtner schreibt in seinem Buch „Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit“, Köln sei damals ein richtiger Schmelztigel gewesen. Römische Soldaten, unter ihnen „waschechte“ Orientalen, bekamen nach Beendigung ihrer Dienstzeit ein Stück Land in den eroberten Gebieten. Mit Frauen der unterworfenen linksrheinischen Germanen gründeten sie dann Familien. Über tausend Jahre später brachten die Heere deutscher Fürsten, wie z. B. von Hannover, aus den Kämpfen nach der Belagerung Wiens türkische Kriegsgefangene in ihre Heimat mit. Wenn diese sich christlich taufen ließen, durften sie deutsche Frauen ehelichen und mit diesen Familien gründen. Ist doch komisch, wenn so mancher deutsche Türkenhasser vielleicht einen türkischen Vorfahren hat.

    A propos Arier: In einer Dokumentation sagt ein Iraner, sie seien die wahren Arier. Das Persische (Farsi) ist ja eine indo-arische Sprache, und in Iran gibt es den Vornamen „Arian“. Sind die Deutschen dann nur ein Zweig der (persischen) Indo-Arier?

  3. posteo sagt:

    Ich hätte gerne einen Vorschlag, wie man die Herkunftsdeutschen nun bezeichnen soll. Nichtmigranten trifft es ja auch nicht, wenn man bis in die Römerzeit nd weiter zurück geht.

  4. Antoinette de Boer sagt:

    KARAKAL : Sie haben das „Deutschsein“ genau so definiert,wie ich es mir in der Öffentlichkeit von vielen Medien gewünscht hätte – Deutschland,in der Mitte Europas liegend, wurde durch Handel und Wandel und Eroberungen von Norden nach Süden – von Osten nach Westen – und umgekehrt – immer zum Schmelztiegel verschiedener Völker.Es gab ja ausserdem auch noch etliche Religionskriege !
    Die n e u e H e r a u s f o r d e r u n g in Deutschland und dem restlichen Europa ist allerdings,dass in unserer jetzigen Welt andere Religionskriege drohen,weil die R e l i g i o n e n, wie schon oft,als Politikum instrumentalisiert und m i s s b r a u c h t werden.Dieses sollte in den Medien öffentlich vielmehr zum Thema gemacht werden,um ein B e w u s s t s e i n in der gesammten Bevölkerung dafür zu schaffen ,um tragbare Lösungen zu finden.

  5. Stefan Böckler sagt:

    Der Begriff ‚biodeutsch‘ scheint mir zunächst aus der Verlegenheit geboren worden zu sein, die betreffende Gruppe von ‚deutschen Staatsbürgern‘ abzugrenzen, die einen nicht-deutschen ethnisch-kulturellen Hintergrund haben. Allerdings ist nicht einzusehen, wo der begriffliche Zugewinn zu ‚deutschstämmig‘ ist (und tatsächlich legt der Begriff unmittelbar ja eine ‚biologistische‘ Interpretation nahe), sodass man durchaus bei diesem gebräuchlichen Begriff bleiben könnte. Manchmal wird ‚biodeutsch‘ aber wohl auch gleichbedeutend zu ‚Personen mit Migrationshintergrund‘ verwendet; das vermeidet zwar die Verwendung dieses ‚Wortmonstrums‘, ist aber leider nicht korrekt , insofern als deutschstämmige/biodeutsche Aussiedler ja durchaus Migrationshintergrund haben. Für letzteres Problem, d.h. für die Unterscheidung zwischen Personen, deren Familie zumindest schon in der dritten Generation in Deutschland lebt, und Personen, die selbst bzw. deren Eltern nach Deutschland zugewandert sind, gibt es m. E. bisher keine griffige Lösung (Deutschdeutsche in Anlehnung an Deutschtürken etc. beispielsweise kommt hier kaum in Frage); oder kennt Jemand eine?

    Allerdings vermute ich, dass es dem Autor um etwas ganz anderes als eine begriffliche Klärung dieses Feldes geht, sondern er gegen den Begriff ‚deutschstämmig‘ ähnliche Einwände formulieren würde, wie gegen ‚bio-deutsch‘ – und ob er sich mit den ethnisch unverfänglichen Begriffen ‚mit bzw. oder Migrationshintergrund‘ anfreunden könnte, ist mir auch nicht klar.

  6. Claudia J. sagt:

    Den Begriff biodeutsch kenne ich auch hauptsächlich als Fremdbezeichnung für alteingesessene Deutsche. Dass manche sich selbst so bezeichnen, ist vielleicht ein Ausdruck von Solidarität mit in den letzten Jahrzehnten Zugewanderten und ihren Nachfahren. „Kartoffel“ wäre eine andere Möglichkeit. Wobei mir einfällt, dass wir früher in der DDR die Angepassten „Brote“ genannt haben. Eines wie das andere sozusagen.