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Forscher Zick

Antisemitismus lässt sich nicht von Schule verweisen

Um religiöses Mobbing an Schulen zu verhindern, ist nach Worten des Bielefelder Konfliktforschers Andreas Zick mehr Prävention nötig. Dazu reiche die Thematisierung im Unterricht allein nicht aus, sagte der Wissenschaftler im Gespräch mit Holger Spierig. Zugleich warnte er vor vorschnellen Urteilen.

Von Holger Spierig Dienstag, 03.04.2018, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.04.2018, 17:15 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Wie schätzen Sie Fälle von religiösem Mobbing an Schulen wie aktuell an einer Grundschule in Berlin ein?

Andreas Zick: Ein solcher Fall macht die Spitze eines Eisbergs sichtbar. Ich hoffe, dass das Thema nicht wieder nur kurz und mit emotionaler Wucht diskutiert wird. Das hilft am Ende niemandem, schon gar nicht den Opfern. In dem Mobbingfall kommt mehreres zum Ausdruck.

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Erstens ein weit verbreiteter Antisemitismus, der im Alltag für jüdische Kinder zur Wirklichkeit gehört, hier aber in psychischer Gewalt gemündet ist. In unserer Studie zu den jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus, in der wir für den „Expertenrat Antisemitismus“ des Bundestages über 1.000 Jüdinnen und Juden befragt haben, berichten mehr als 70 Prozent über Erfahrungen von Antisemitismus in der Schule oder am Arbeitsplatz. Das weist auf eine viel höhere Dunkelziffer hin. Ein Mobbingfall ist das Ende einer Gewalt einer Gruppe, in der Regel nicht eines einzelnen Schülers. Davor liegen antisemitische Abwertungen, die subtiler sind und scheinbar als weniger schlimm erfahren wurden.

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… und zweitens?

Andreas Zick: Zweitens stellt uns der Fall vor die Frage, welche Barrieren hier eigentlich gefehlt haben. Warum hat hier eine Norm, die an Schulen gilt, nicht funktioniert? Projekte, die in die Prävention gegen alle Formen menschenfeindlicher Verachtung und Abwertung an Schulen investieren, sind besser geschützt. Auch Schulen, die Eltern einbeziehen, sind besser geschützt. Schulen, die Kindern früh beibringen, welche Gewalt Vorurteile ausüben, sind gut gerüstet. Wir haben es hier mit Grundschülern zu tun. Sie merken, dass sie mit Vorurteilen spielen können, entwickeln aber noch keine geschlossenen Ideologien.

Und drittens: Die Antworten auf die Frage nach den Ursachen brauchen Zeit. Insofern verweigere ich mich ganz bewusst Schnellanalysen von außen. In der Regel passieren immer wieder antisemitische Hasstaten, ohne dass eine systematische Analyse stattfindet. Das würde aber hier helfen.

Was steckt hinter solchen Mobbing-Aktionen von Schulkindern?

Andreas Zick: Die Abwertung der anderen, in dem Berliner Fall eines schutzlosen jüdischen Kindes, macht die Gruppe stark. Kinder in dem Alter sind anfällig dafür, weil sie merken, dass sie mit ihren Vorurteilen Anerkennung in der Gruppe, Selbstwert und Macht bekommen. Je mehr sich die Erfüllung von solchen Bedürfnissen in der Gruppe an das Mobbing knüpft, desto stärker ist die Dynamik. Die Opfer sind in der Regel andere, die weniger Schutz und Unterstützung bekommen. Antisemitische Stereotype und Vorurteile, die ungebremst geteilt werden, beschleunigen den Prozesse.

Was für eine Rolle spielen dabei die Eltern?

Andreas Zick: Inwieweit Familien eine Ursache sind, darüber gibt es weniger Klarheit. Studien zeigen, dass der familiäre Einfluss weniger stark ist, als wir glauben. Familien, die antisemitische Vorurteile für Wahrheiten halten, bremsen es nicht. Aber der Einfluss von homogenen Gleichaltrigengruppen ist stärker. Die Kinder wissen zum Teil, dass die Eltern oder Lehrer den Antisemitismus zumindest problematisch finden. Sie orientieren sich trotzdem an Meinungen in ihrer Umgebung, auch an älteren Jugendlichen. Insofern ist der Antisemitismus, der im Milieu geteilt wird, ein Problem, ebenso die Meinung, dass die Abwertung und Verachtung von anderen den Selbstwert hebt. An solchen Dynamiken arbeiten auch Projekte gegen muslimischen Antisemitismus.

Was können Schulen dagegen unternehmen?

Andreas Zick: Die Bearbeitung von menschenverachtenden Vorurteilen und der Schutz vor Diskriminierung muss ernster genommen werden. Es reicht nicht, in Schulbüchern Schülern beizubringen, was Antisemitismus ist. Sie müssen lernen, sich selbst zu hinterfragen. Und sie müssen verstehen, wie antisemitische Einstellungen wirken und was sie anrichten. Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Vorurteile gegen Obdachlose und andere können Gewalt antun. Insofern gehört die Vorurteilsprävention zur Schulkultur, wie zur Kultur der Gesellschaft. Zahlreiche Studien zeigen, dass man Vorurteile zumindest reduzieren und eingrenzen kann.

Was gehört noch dazu?

Andreas Zick: Zur Prävention gehört auch eine genaue Analyse. Zudem müssten andere Maßnahmen entwickelt werden. Bei menschenverachtenden Hasstaten in der Schule reicht keine Schulkonferenz oder ein Schulverweis. Man kann den Antisemitismus nicht damit bekämpfen, indem man ihn einfach der Schule verweist. Man muss an die Wurzeln. Nur ist das viel schwieriger als eine strafende Pädagogik, weil dann unangenehme Realitäten an die Oberfläche kommen. Wo es Mobbing gibt, da gibt es in der Regel auch mangelnde Zivilcourage.

Mit Blick auf Familien, in denen antisemitische und andere menschenverachtende Bilder grassieren, muss man in der Regel erst einmal die Betroffenen fähig machen, darüber zu reden. Insofern brauchen wir Zugang zu Milieus und dürfen ihn nicht durch einfache Vorurteile selbst verstellen. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

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  1. karakal sagt:

    „Semitisch“ ist nicht über ein Volk oder eine vorgebliche Rasse definierbar, sondern nur über die Sprache, nämlich eine, die der Familie der semitischen Sprachen angehören, von denen das Arabische die ursprünglichste ist. Somit sind auch die Araber Semiten, während Juden, die weder Hebräisch noch eine der anderen semitischen Sprachen sprechen, keine Semiten sind. Deshalb stößt es bei Arabern auf Unverständnis, wenn man ihnen „Antisemitismus“ vorwirft. Man sollte es richtig als das benennen, was es ist, nämlich „Judenfeindlichkeit“.