GroKo, Koalitionsvertrag, Union, SPD, CDU, CSU
Der GroKo-Koalitionsvertrag © MiG

Böse Geister

Die schöne neue Welt der Migration

Die bösen Geister, die die Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen seit September begleiteten, haben sich durchgesetzt: Abschottung, Ausgrenzung, Abschiebung. Das Dilemma: Deutschland braucht Arbeiter in den niedrigsten Sektoren. Von Dr. Maria Alexopoulou

Von Freitag, 02.03.2018, 6:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.03.2018, 15:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Koalitionsverhandlungen in Deutschland haben sich in den letzten Monaten regelrecht in ein antikes Drama entwickelt: tragische Helden, Bösewichter und Blender, Scharlatane und Weise, fleißige Getreue und Intriganten, der Chor (der Medien), der alles kommentiert und die dea ex machina im Hintergrund, die nun schon so lange darauf wartet, endlich wieder die Herrschaft übernehmen zu können. Und jetzt Totenstille. Kommt die Erlösung durch die GroKo oder doch wieder alles zurück auf Null?

Die bösen Geister, die die Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen seit September begleiteten, haben sich jedenfalls durchgesetzt. Sie sorgten zum Beispiel dafür, dass das Thema Familiennachzug sowohl für Jamaika wie auch für GroKo eine Zentralität hatte, die ihm gar nicht zukommt. Die bösen Geister, die Merkel und die Volksparteien jagen, haben in der Koalitionsvereinbarung für eine GroKo klar ihre Spuren hinterlassen. Und das nicht nur, da der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige stark begrenzt wird, sondern auch, da Deutschland genau wie Mitte der 1990er-Jahre erneut einen Schritt weiter im Ausbau der Festung Europa gegangen ist. Und genau wie damals führen die „großen Volksparteien“ CDU/CSU und SPD diese weitere Aushöhlung von Menschenrechten aus. Denn die Volksparteien waren stets bereit, den bösen Geistern zu folgen und eine Politik umzusetzen, die diese von ihren „Sorgen und Nöten“ vor einem überfremdeten Deutschland und „Abendland“ zumindest etwas ablenken soll.

___STEADY_PAYWALL___

Dazu dienen die an der EU-Außengrenze geplanten Asylverfahren mit integrierter Rückführung, der Ausbau von Frontex zu einer „echten Grenzschutzpolizei“ und die AnKER, für jene, die es trotzdem schaffen nach Deutschland durchzukommen: „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“, also das gleiche Prinzip wie an den Außengrenzen: Die physische Präsenz von Geflüchteten soll auf ein Minimum reduziert werden und es soll dafür gesorgt werden, dass ihre Anwesenheit an der Grenze oder in Europa keinen Anspruch auf Rechte entstehen lässt, die nur für Europäer*innen reserviert sind. Denn das Recht auf Rechte, wie es die Philosophin Hannah Arendt einst nannte, hat immer noch nicht jeder. Und der Koalitionsvertrag für eine GroKo untermauert dies.

Zwar will man weiterhin Programme fördern, mittels derer Geduldete in den Arbeitsmarkt integriert werden. Geduldete sind jene, die kein Asyl bekommen, da sie keine politischen Dissident*innen sind, die aber zum Teil über viele Jahre mit einem Schutzstatus in Deutschland leben, da ihre Länder nicht sicher sind und sie gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeschoben werden dürfen. Ihren Aufenthaltsstatus konnten sie lange nicht verbessern, da sie nicht arbeiten durften. Aber der Hunger der boomenden Wirtschaft nach Arbeitskräften macht es möglich: sie können sich nun seit einigen Jahren durch Arbeit auch den Aufenthalt ermöglichen. Die Arbeitgeber-, Industrie- und Handwerksverbände waren ja schon lange für diese Art der Willkommenskultur, lange vor 2015 – das sich, so der Koalitionsvertrag, allerdings nicht wiederholen darf.

Deutschland braucht Fachkräfte und will diese auch ausbilden. Deutschland braucht aber auch Arbeiter*innen in den niedrigsten Sektoren, für Arbeiten, die Migrant*innen schon seit Jahrzehnten, oftmals „illegal“ verrichten: Die sprichwörtlichen Tellerwäscher, die allerdings im segmentierten deutschen Arbeitsmarkt und innerhalb einer Gesellschaft, in der Herkunft für Bildungs- und sonstige Partizipationsmöglichkeiten weiterhin entscheidend ist, leider selten zu Millionären werden; vielmehr ist ihnen über Generationen der Zugang selbst zum Mittelstand erschwert.

Wenn sie da aber ankommen, wie ein Teil der Nachfahren der ehemaligen „Gastarbeiter*innen“, sind die Plätze ganz unten wieder frei. Es müssen neue Immigrant*innen aus „Drecksloch-Ländern“, wie es Präsident Trump in seinem unnachahmlichen Stil gesagt haben soll, her, die die „Drecksarbeit“ erledigen.

Fragt sich nur, wer das nun in Deutschland genau sein soll, gemäß den Vorstellungen der avisierten GroKo. Denn die Geduldeten sollen ja „abgebaut“ werden. Sie sollen ja alle im AnKer sitzen bis sie abgeschoben werden. Denn die Zu-, ja sogar Einwanderung – ja das gefürchtete Wort Einwanderung ist im Koalitionsvertrag enthalten – ist nur für Fachkräfte gedacht. Aber auch die werden der 180.-200.000-Obergrenze angerechnet. Nicht dass die besorgten Bürger wieder zu viel Angst bekommen…

Wenn die Wirtschaft mehr Arbeitskräfte braucht, kann sie ja in der EU suchen. Scheinbar waren die „Armutsmigrant*innen“ aus Bulgarien und Rumänien, über die man 2014 noch lamentierte, dann doch besser als die außereuropäische Muslime oder Menschen aus Afrika. Ein paar hungrige – aber doch faule? – Griechen werden es auch tun. Oder aber die Nachfahren der jetzigen Geflüchteten, die man erstmal nicht so leicht loswerden wird und die wohl vielfach in die unbeliebten Arbeitsstellen in Müllsortierungsanlagen, Schlachtereien, Krankenhäusern und Friedhöfen nachrücken werden. Aktuell Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Elke Tießler-Marenda sagt:

    Spannender Artikel, aber ausländerrechtlich leider von sehr wenigen Kenntnissen getrübt. Falsch: „Geduldete sind jene, die kein Asyl bekommen, da sie keine politischen Dissident*innen sind, die aber zum Teil über viele Jahre mit einem Schutzstatus in Deutschland leben, da ihre Länder nicht sicher sind und sie gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeschoben werden dürfen.“ Richtig ist hingegen: Wer nach der Genfer Flüchtlingskonvention wegen politischer Verfolgung als Flüchtling anerkannt wird, erhält eine Aufenthaltserlaubnis und hat vollen Arbeitsmarktzugang. Bei Gefahr durch Krieg und Gewalt gibt es den subsidiären Schutz, der ebenfalls zu einer Aufenthaltserlaubnis und vollem Arbeitsmarktzugang führt. Wer ein Abschiebungsverbot nach der EMRK hat, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsmarktzugang. Geduldet wird, wer aus anderen Gründen nicht abgeschoben werden darf (z.B. Krankheit), kann (z.B. ungeklärte Identität) oder soll (z.B. Abschluss einer Ausbildung).

  2. Mike sagt:

    Für die Zuwanderung zur Arbeitaufnahme sieht das Gesetz eine geregelte und gesteuerte Zuwanderung über das Visumverfahren vor. Die Autorin vermengt unzulässigerweise „Asyl“ und „Zuwanderung zur Arbeit“.

  3. Aufgewachter sagt:

    Soeben erreicht mich die E-Mail eines erwerbslosen Diplom-Sozialpädagogen, der von seinem Jobcenter schriftlich per Eingliederungsverwaltungsakt aufgefordert worden war, sich umgehend innerhalb der nächsten drei Werktage bei einer karitativen Einrichtung als „Flüchtlingshelfer“ vorzustellen.

    Noch am gleichen Tag vereinbarte der Erwerbslose telefonisch mit der stellvertretenden Geschäftsführerin der Flüchtlingshilfe einen Vorstellungstermin. Vor Ort beim Maßnahmeträger will der erwerbslose gelernte Diplom-Sozialpädagoge, wie er später meint, alle vorgelegten Dokumente, wie im „Traum eines voll-allimentiertem sozialromantischen Berufsoptimisten“ unterschrieben haben.

    Nach dem sehr angenehmen Gespräch und wie sich erst viel später herausstellte, hatte er folgende Dokumente unterzeichnet : einen Maßnahmevertrag, eine Arbeitschutzunterweisung, eine Datenschutzvereinbarung, eine Verschwiegenheitserklärung gegenüber Dritten in Bezug auf Flüchtlinge, eine Hausordnung und einen Personalfragebogen.

    Glücklich über den neuen Job, aber nichts ahnend, daß es sich bei dieser Tätigkeit um eine Arbeitsgelegenheit nach der Mehraufwandsentschädigung (1-Euro-Job) handelte steckte der Erwerbslose die unterschriebenen Dokumente in seine Arbeitmappe und begab sich zum Flüchtlingsheim, um seinen ersten Arbeitstag zu beginnen.

    Im späteren Tagesverlauf wurde er von einem sehr netten und ausreichend deutsch sprechenden, aber inzwischen sehr gut informierten Flüchtling, wie folgt begrüßt:

    Erwerbsloser gelernter Diplom-Sozialpädagoge als Flüchtlingshelfer packt aus
    https://aufgewachter.wordpress.com/2015/09/19/erwerbsloser-gelernter-diplom-sozialpaedagoge-als-fluechtlingshelfer-packt-aus/

  4. Ernst sagt:

    Völliger Unsinn. Die Industrie 4.0 braucht keine Billigarbeitskräfte. Was „Ali“ heute macht, machen die Chinesen oder Roboter. Gegen beide kommt er nicht an. Selbst auf dem Bau benötigt man sehr viel weniger Arbeiter. Dazu kommt, dass trotz guter Konjunktur, sehr viel weniger gebaut wird als etwa in den 80er oder 70er Jahren.