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Nebenan

Nachwahlbetrachtungen

Seit zwei Wochen wird über den Wahlerfolg der AfD diskutiert. Wie dumm. Dabei lässt sich das Ergebnis mit Platons Höhlengleichnis oder der Vertreibung aus dem Paradies erklären, oder mit dem Bild des Prometheus. Von Sven Bensmann

Von Dienstag, 10.10.2017, 6:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.11.2017, 12:42 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Zwei Wochen ist es nun her und noch immer wird hier und da über den Einzug der AfD in den Bundestag und die Gründe für den Erfolg diskutiert. Dabei ist die Antwort doch so einfach, wie die Antworten der AfD. Wer sie nicht sieht, sieht sie aus einem bestimmten Grund nicht: Menschen sind dumm. Oder, um mir nicht den Vorwurf der Verallgemeinerung machen lassen zu müssen: Wahnsinnig viele Menschen sind wahnsinnig dumm.

Dass die AfD in Deutschland keine 13 Prozent bekam, während sich Trump mit seinem „Erbärmlichen“ (engl: deplorables), von denen er selbst sagt, dass er sie liebt, weil sie dumm sind und ihn daher wählen, sollte uns vielmehr vor Augen führen, wo das Potenzial dieser Partei liegt und dass wir der SPD dankbar sein müssen, dass sie weiterhin so viele dieser Menschen an sich bindet.

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Das große Erbe des Abendlandes kennt drei große Bilder unterschiedlicher Provenienz, die als bekannt vorausgesetzt werden können und die sich als Metapher auf das erweckende Erlebnis des Intellekts eignen und damit letztlich die Dummheit an sich verhandeln.

Da ist zum einen Platons Höhlengleichnis: eine in einer Höhle lebende Gruppe Menschen, die keinen Kontakt zur Außenwelt hat, kennt nur diese Höhle als seine Welt. Tritt sie einmal heraus, kann sie nie in die Enge der Höhle zurückkehren: Wer einmal die Welt gesehen hat, ist Teil dieser größeren Welt und kann nicht mehr aus dieser heraustreten. Wer andererseits zu dumm ist, die Welt in ihrer Komplexität zu begreifen, kann dies nicht selbst erkennen, weil er seine enge Höhle für die ganze Welt hält.

Dann ist da auch noch die Vertreibung aus dem Paradies. Als Bild des Übergangs von der unschuldigen Kindheit zum Erwachsenenalter hat auch dieses Bild unmittelbar mit der Erkenntnis der Welt zu tun, in der Bibel als die Erkenntnis von Gut und Böse beschrieben. Der Mensch, wenn er einmal die Welt erkannt hat, kann nicht zurück in die Kindheit, in der noch alles handeln unschuldig und irgendwie folgenlos war. Und, wenn man so will: Wer seine Dummheit überwindet, ist für den naiven Glauben an Gott und das Paradies verloren.

Zuletzt noch das Bild des Prometheus, der den Menschen des Feuer als Symbol der Zivilisation brachte, und dafür von den Göttern bestraft wurde. Nicht umsonst diente dieses Bild gerade der Aufklärung dazu, das dunkle Mittelalter mit dessen theokratischen Hierarchien zu diskreditieren, welches nun mit dem Licht des Wissens ausgetrieben werden sollte. Nicht umsonst handelt auch der Roman mit dem Untertitel „Der moderne Prometheus“ von einem Menschen, der sich anschickt, sich selbst zum Gott zu erheben.

Statt die AfD weiterhin als Populisten und Rassisten anzuprangern, sollte man die Dinge daher lieber beim Namen nennen: AfD-Wähler sind in der Masse nicht nur außerordentlich dumm, die AfD ist damit auch tiefstes Mittelalter, das sich gegen die europäische Kultur der Aufklärung stellt – und damit steht auch fest, dass die AfD‘ler keine Nazis sind: die gab‘s damals nämlich noch gar nicht. Verglichen mit der AfD war die NSDAP geradezu progressiv.

Andererseits ist die Wirklichkeit natürlich doch nicht so einfach, wie die Antworten der AfD. Wirklich monokausal ist der Wahlerfolg der AfD also nicht. Dafür hat der Kapitalismus im Osten auch zu sehr gewütet.

Es verwundert nicht, dass der Osten in den nackten Wirtschaftszahlen „noch viel nachzuholen“ hat. Schaut man sich die Zahlen genauer an, sieht man aber, dass die Grenze in Deutschland längst nicht mehr durch die ehemalige innerdeutsche Landesgrenze verläuft, sondern, wie in jeder kapitalistischen Gesellschaft, als tiefer Graben zwischen arm und reich. Nachdem die ostdeutsche Wirtschaft im Zuge der Wiedervereinigung geordnet in Westhände übergeben wurde, fehlt noch allerdings immer weitgehend die reiche und superreiche Oberschicht, die als diejenigen gelten, die Angela Merkel allmorgentlich ins Käsebrot diktiert, was zu entscheiden ist. Dies macht keinen geringen Teil daran aus, dass der Reichtum weiter eher im Westen liegt.

Was das untere Ende unserer Gesellschaft angeht, so hat dort aber eine rasche Angleichung bereits messbare Ergebnisse erzielt: Westdeutsche Arbeiter sind inzwischen ähnlich arm, wie Ostdeutsche.

Der Grund, rechtspopulistische Parteien zu wählen, liegt daher vielleicht auch in einem größeren Realismus im Hinblick auf die politische und wirtschaftliche Situation begründet – der größere Erfolg für Die Linke im Osten unterstützt diese These: Weil die romantische Vorstellung einer sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland noch nachwirkt – ein Modell, dass der Kapitalismus hervorbrachte, um mit dem Sozialismus mithalten zu können – neigen die Westdeutschen noch den Altparteien eines christlich-sozialen oder sozialdemokratischen Kapitalismus zu, der ihnen in Konkurrenz zur DDR stets genug Brotkrumen hinwarf, um nicht über die Grenze in die Verlockungen einer Planwirtschaft mit Vollbeschäftigung rüber zu machen – da der Verlust der individuellen Freiheit im Vergleich zu Tafeln und Flaschensammeln dem einen oder anderen ein vergleichsweise kleines Opfer gewesen wäre. Die Nostalgie und daraus entstehende Bindungskraft dieser „Systemparteien“ ist dadurch „drüben“ geringer.

Seit dem Ende der systemischen Alternative nach dessen Zusammenbruch hat nun wiederum ein rasanter Abbau der sozialen Errungenschaften dieses Landes stattgefunden, der vor allem die trifft, die zuvor keinen Wohlstand anhäufen konnten. Und das trifft Ostdeutsche eben härter als Westdeutsche, auch so erklärt sich die regionale Verteilung der AfD-Wählerschaft.

Nebenbei gilt für das Zusammenwachsen von Ost und West weiterhin, dass beispielsweise der Norddeutsche, egal ob in Schwerin, Wismar oder Kiel, historisch mehr mit Dänen, Schweden und Russen gemein hat, als mit den Bayern – und dazu muss ich gar nicht erst von der Hanse reden. Ein ungeeintes Territorium mit vielen, unterschiedlichsten Völkern ist deutsche Realität, ein „Zusammenwachsen“, wie es Medien und Politiker herbeifaseln wollen, eine völkische Utopie: Eine gesamtdeutsche Identität gab es allenfalls für die 12 Jahre des 1000jährigen Reiches. Und es waren im Übrigen diese 12 Jahre, die Sir Winston Churchill zu seinem Ausspruch inspirierten: „Die Deutschen hat man entweder an der Gurgel oder zu Füßen“ – ein Ausspruch, den unsere Gegenwart gerade auch wieder bestätigt. Aktuell Meinung

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  1. Anelrose sagt:

    Es ist ein bisschen zu einfach, Menschen, die ein anderes Weltbild als wir selbst haben, als dumm zu bezeichnen. Es mag schon sein, dass der Horizont vieler Leute sehr begrenzt ist, aber ich glaube, der Horizont aller Menschen ist irgendwo begrenzt und wo fàngt jetzt die Dummheit an und wo hört sie auf?
    Jeder Mensch kreiert seine eigene Wirklichkeit aufgrund von Erfahrungen und wir sind alle in unserer persönlichen Wahrheit gefangen, wenn wir nicht dazu bereit sind, uns selbst immer wieder in Frage zu stellen.
    Ich frage mich, was es eigentlich nützt, Andersdenkende zu beleidigen und so zu tun als wären sie ein Gschwür das nicht dazugehören dürfe. Das löst doch kein Problem. Es wäre viel effektiver, die Gesellschaft als ganze, und vor allem sich selbst, in die Verantwortung zu nehmen. AfD- Wähler sind genau wie Anhänger anderer radikaler Ideologien ein Produkt unserer Gesellschaft, WIR haben sie geschaffen, ihnen Nahrung gegeben und es offenbar nicht geschafft, sie genügend zu bilden (nicht nur für die Wirtschaft auszu-bilden). Wir müssten es irgendwie hinkriegen, den Menschen mit radikalen Ideen erfahrbar zu machen, dass sie von mehr Weltoffenheit persönlich profitieren und dass die Lebensqualität steigt, wenn sie sich öffnen. Es bedeutet eben nicht, dass hier die Guten sind und dort die Bösen. Extremismus ist nicht die Krankheit, sondern ein Symptom; und jedes Krankheitssymptom ist dazu da, um eine Störung anzuzeigen und dem Kranken klarzumachen, dass etwas getan werden muss, um den Körper zu heilen. Es ist ein Notruf, der den Organismus davor warnt, zerstört zu werden. Wir alle stehen deshalb in der Pflicht, unseren Teil zur Heilung beizutragen. Jeder einzelne trägt Verantwortung.
    Ich empfehle llen interesierten Horst Eberhard Richter und Paul Watzlawik.

  2. President Obama sagt:

    Mal wieder eine Wortansammlung nur quasiintellektueller Selbstgehässigkeiten. Traurig. AFD- Wähler als dumm zu pauschalisieren ist ein probates Mittel dieselbigen in Ihrer Protestideologie zu bestätigen.

    Demokratisch ist, die Meinung einer Berfassungskonformen Partei auszuhalten. Toleranz kennt der Autor aber nur in eine, seine, Richtung.