BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asyl, Flüchtling
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) © MiG

Asylbescheid

Bisher ist kein Rückkehrer an Hunger gestorben

Die Wahrscheinlichkeit, in Afghanistan Opfer zu werden, liege rechnerisch bei 0,074 Prozent. Und an Hunger sei bisher auch niemand gestorben. Mit solchen Argumenten werden in Deutschland Asylablehnungen begründet. Höchste Zeit, sich die Bescheide näher anzuschauen. Von Anja Seuthe

Von Montag, 03.07.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.07.2017, 17:39 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Um in Deutschland Asyl zu bekommen, muss man einen Antrag stellen. Einen Asylantrag. Das weiß eigentlich jeder. Asyl wird beantragt. Und dann beginnen die Mühlen der Verwaltung zu mahlen. Zu glauben, ein Richter entscheide über das Asylbegehren, ist ein Irrtum. Das ist bei uns Verwaltungssache. Entsprechend ergeht auch kein Urteil, sondern ein Bescheid. Das Finanzamt verschickt Steuerbescheide, das Bafög-Amt Bafög-Bescheide und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verschickt Asylbescheide.

Solch ein Asylbescheid sollte Pflichtlektüre für alle werden, die zum Asylrecht eine Meinung haben. Etliche Seiten Amtsdeutsch, die viel darüber aussagen, was wir als Schutzbedürftigkeit definieren. Der Einzelfall ist in den Begründungen zur Entscheidung kaum wiederzufinden. Fast der ganze Bescheid besteht aus Textbausteinen, in denen das BAMF erhobene Daten zur allgemeinen Situation im Herkunftsland wiedergibt. Quellen sind UNHCR, UNAMA,  lokale Institutionen, etc. Seitenweise geht es um die schrecklichen Lebensbedingungen, nur um dann in einem abschließenden lapidaren Satz festzustellen, ganz so schlimm sei es nun aber doch nicht.

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Die folgenden Zitate stammen aus einem negativen Bescheid, den ich im Jahre 2017 einem jungen Afghanen erklären dufte. Da wird zum Beispiel das Risiko, als Zivilperson Opfer „willkürlicher Gewalt“ zu werden, mit deutscher Gründlichkeit auf drei Stellen hinter dem Komma berechnet. Und als zu niedrig befunden.:

„Selbst wenn man von 20.000 Opfern ausgeht, lag bei einer Einwohnerzahl von rund 27 Millionen (laut Afghan Central Statistics Organization) die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden im Jahr 2015 bei 0,074 Prozent.“

Auch über die miserable Versorgungslage in Afghanistan weiß das BAMF Bescheid. Ich zitiere:

„Nach Angaben des Auswärtigen Amts sei die Grundversorgung für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung.“

„Die Versorgung mit Wohnraum ist ungenügend“

„Die Möglichkeit, eine legale und nachhaltige Erwerbsmöglichkeit zu finden,  ist für Personen, die weder über besondere Qualifikationen noch über Beziehungen verfügen, gering.“

Trotzdem kommt das BAMF zu dem Schluss:

„Fälle, in denen Rückkehrer aus Europa infolge Hunger oder Mangelernährung verstorben wären, sind aber nicht bekannt.“

„Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe sich nur in Pakistan aufgehalten, führt dies nicht zu der Annahme, er könne bei einer Rückkehr nach Afghanistan dort nicht existieren.“

Der Antragsteller in diesem Fall verfügt über keinerlei Beziehungen in Afghanistan. Seine Mutter ist vor den Taliban nach Pakistan geflüchtet und hat ihn mitgenommen. Damals war der Junge zwei Jahre alt. Die beiden gehören zur schiitischen Minderheit der Hazara. In Pakistan wurde es nicht besser. Der Junge selbst erlebte mehrere Bombenattentate. Ein Cousin wurde bei einem Amoklauf angeschossen. Danach wurde der lokale Bazar von den Behörden vorrübergehend geschlossen. In den folgenden Monaten kämpfte die Familie ums blanke Überleben. Bis heute fragt ihn seine Mutter am Telefon, ob er in Deutschland genug zu essen hat.

Auch das ist bekannt, aber dann setzt das Bundesamt noch einen drauf. Denn all die schrecklichen Erfahrungen, die der Jugendliche mit ihnen geteilt hat, werden quasi mit einem Satz vom Tisch gewischt.

„Er hat angegeben, bereits als 2-jähriges Kind Afghanistan verlassen zu haben. Die vom Antragsteller vorgetragene unsichere Lage für Hazaras und Schiiten in Pakistan betrifft nicht sein Herkunftsland Afghanistan und weist damit keine flüchtlingsrechtliche Relevanz auf.“

Wie die Situation für Hazara in Afghanistan aussieht, weiß aber das Bundesamt:

„Die Unterstützungsmission der Vereinen Nationen registrierte 2015 [in Afghanistan] 20 Entführungsfälle durch Regierungsgegner mit mindestens 146 entführten Hazara, von denen 13 ermordet wurden. Sieben von ihnen wurden nach ihrer Verschleppung in die Provinz Zabul die Kehlen durchgeschnitten…

Bei den oben geschilderten Entführungen und Ermordungen handelt es sich um lokal begrenzte Einzelfälle.“

Das Fazit ist und bleibt also, es besteht keine Schutzbedürftigkeit. Einer Abschiebung nach Afghanistan steht nichts im Weg.

Zum Schuss möchte ich noch folgende Frage mit Ihnen teilen, die im offiziellen Protokoll der Anhörung eines weiteren Jugendlichen aus Afghanistan steht. Was kann man auf so etwas antworten?

„Frage: Sie haben geschildert, dass bereits 7-8 Mal auf Sie geschossen wurde und Sie verhöhnt wurden. Wieso gehen Sie davon aus, dass Sie bei einer unterstellten Rückkehr getötet werden, obwohl diese Leute bereits mehrfach die Gelegenheit gehabt hätten, Sie zu töten und dies nicht getan haben?“

Leitartikel Panorama
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  1. Wiebke sagt:

    Danke für diese Aufklärung. Es ist einfach nicht zu fassen!!!
    Aber wir Deutschen haben bereits in der Vergangenheit gelernt, menschenverachtende Bürokratie zu betreiben. Es scheint sich zu vererben.

  2. Heide sagt:

    Was für ein Zynismus!
    Man sollte die Entscheider einfach mal dort hinschicken!

  3. Gerlind sagt:

    Und das nimmt kein Ende. Ich arbeite mit UMA s zusammen. Da erlebt man fast täglich den deutschen bürokratischen Irrsinn. Unsere Aufgabe ist es dann die Jugendlichen irgendwie aufzufangen, ihnen Mut zu machen. Nur wie kann ein junger Mensch ohne Hoffnung Vertrauen und Mut haben. Was sollen Jugendliche in einem Land, das sie als Kleinkind verlassen müssten, das sie garnicht kennen??

  4. Lena J. sagt:

    Danke für den Artikel. Ich war selber schon oft Zeugin von Anhörungen und kenne die Absurditäten, die dort ablaufen. Ich empfehle außerdem sehr diesen ARTE-Film zum Thema, in dem auch die „Ausbildung“ der sogenannter Entscheider*innen genauer dargestellt wird.

    http://www.arte.tv/de/videos/063700-000-A/die-asylentscheider

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