#Nicht mit uns ins Hamsterrad
Eine Absage an den Aufruf zum Friedensmarsch gegen Gewalt und Terror
Der für Samstag in Köln geplante „Friedensmarsch“ gegen Gewalt und Terror ist ein Lauf im Hamsterrad. Das Konzept, der Aufruf, der Adressatenkreis sind nicht geeignet, ein positives Zeichen zu setzen – im Gegenteil. Von Irmgard Pinn
Von Irmgard Pinn Freitag, 16.06.2017, 4:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.06.2017, 20:56 Uhr Lesedauer: 14 Minuten |
Setzt jemand andere mit unerfüllbaren Forderungen unter Druck und bringt diese gleichzeitig mit (impliziten) Versprechen dazu, sich darauf einzulassen und sich mit den Forderungen sogar zu identifizieren, nennt man das üblicherweise „jemand eine Falle stellen“. Entweder gibt das Opfer angesichts der Unerfüllbarkeit über kurz oder lang auf – mit den entsprechenden Konsequenzen – oder es landet in einem Hamsterrad vergeblicher Bemühungen, die Forderungen zu erfüllen, worauf seitens der Fordernden Kritik und der Verdacht halbherzigen Engagements oder von Täuschungsmanövern folgen, sodann beiderseitige Frustration. Nach einer Weile wiederholt sich dieses Wechselspiel von Forderungen und Versprechen, es folgen erneute Bemühungen, erneute Kritik und Vorwürfe usw. Dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen, ohne dass das Opfer seine Struktur und Dynamik durchschaut.
Manchmal, aber keineswegs immer handelt es sich beim Hamsterrad um ein strategisch geplantes und vorangetriebenes Konstrukt, ist doch die fordernde Seite in der Regel davon überzeugt, nicht mehr zu verlangen als das, was nach Recht, Vernunft und Moral von jedem Bürger erwartet werden darf. Und die im Hamsterrad Gefangenen fühlen sich zwar missverstanden, bevormundet, mit ihren Anstrengungen und schon erbrachten Leistungen missachtet und Opfer eines Täuschungsmanövers, jedoch ohne ihre Situation verändern zu können.
Ob sich das Hamsterrad unerfüllbarer Erwartungen nach einem Plan bewegt oder ob es, einmal Bewegung gesetzt, in einer Eigendynamik rotiert, macht letztlich keinen großen Unterschied. Wer sich unter Druck und Drohungen und zugleich in der illusionären Erwartung, durch Anpassungsleistungen, Wohlverhalten, demonstrative Loyalitätsbekenntnisse usw. den Kreislauf von Forderungen, Bemühungen und Frustrationen irgendwann zum Stillstand bringen zu können, wird dem Hamsterrad nicht entkommen – es sei denn durch kritisches Reflektieren dieser Situation und anschließend durch strategisch durchdachtes Handeln. Der erste Schritt dazu besteht in einer Analyse der ungleichen Machtverhältnisse, die dem Betreiber des Hamsterrads erlauben, über Forderungs- und Erfüllungskriterien sowie über die Geschwindigkeit zu bestimmen.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die skizzierte Hamsterrad-Konstellation erleben wir gerade mit dem Aufruf an Muslime & Freunde zu einem „Friedensmarsch“ gegen Gewalt und Terrorismus am kommenden Samstag in Köln. Initiiert haben ihn Lamya Kaddor, Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, und Tarek Mohamad als Erfüllungsgehilfe einer gegenüber den in Deutschland lebenden Muslimen überwiegend skeptisch bis ablehnend eingestellten nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft.
Friedliche Mainstream-Muslime oder heimliche Terrorismus-Sympathisanten?
Trotz einiger Probleme und Konflikte verläuft das interkulturelle und interreligiöse Mit- oder zumindest Nebeneinander in Deutschland ausgesprochen friedlich. Muslime verhalten sich in ihrer übergroßen Mehrheit gesetzeskonform und haben sich in weiten Bereichen deutschen Normen und Werten angeglichen. Dessen ungeachtet stehen sie seit dem 11. September 2001 und verstärkt seit den jüngsten Terroranschlägen in Paris, Berlin, London und anderen Städten unter dem mehr oder weniger offensiv ausgesprochenen Generalverdacht, mit dem sich auf den Islam berufenden Terrorismus auf ideologisch-religiöser Ebene zu sympathisieren. Wird nicht im Koran zu Mord und Totschlag und der Vernichtung aller Ungläubigen aufgehetzt? Kann sich ein gläubiger Muslim dieser Aufforderung überhaupt entziehen? Handelt es sich beim friedlichen Alltagsleben der Mehrheit und den Verurteilungen des Terrorismus, der Beteiligung an Dialogen, Mahnwachen und Demonstrationen womöglich nur um eine trügerische Fassadenkosmetik, um „Taqiyya“? Alle Anstrengungen von muslimischer Seite, derartige Verdächtigungen auszuräumen, finden kaum öffentliche Resonanz bzw. geraten sofort wieder in Vergessenheit. Insbesondere den Repräsentanten und Organisationen der Muslime wird stattdessen vorgeworfen, jegliche Selbstkritik zu verweigern und sich der eigenen Verantwortung nicht stellen zu wollen.
Wer als Muslim/Muslima in Reaktion auf derartige Vorwürfe und Forderungen davon ausgeht, dass es in der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft bezüglich Terrorismus und Gewalt einen großen Aufklärungs- und Distanzierungsbedarf gibt, ist allerdings entweder einem frommen Selbstbetrug verfallen („Wenn wir nur fleißig über den Islam informieren und uns vom Terrorismus distanzieren, wird man uns nicht länger als Extremisten/Terrorsympathisanten verdächtigen/diskriminieren.“) oder lebt in völliger Ahnungslosigkeit gegenüber den tatsächlichen Ursachen und Funktionen Generalverdachts, an dem Informationen über den Islam und die muslimische Community ebenso abprallen wie die alltäglichen Erfahrungen in einem jahrzehntelangen friedlichen Zusammenleben.
Ein überfälliger Friedensmarsch gegen Gewalt und Terror?
Ungeachtet aller Informationen durch Medien, Bücher, öffentliche Veranstaltungen etc., wonach die Ursachen des Terrorismus nicht im Verantwortungsbereich der deutschen muslimischen Community – insbesondere den Moscheen des Mainstream-Islams – liegen und ihre Einflussmöglichkeiten entsprechend begrenzt sind, werden die Aufforderungen, sich durch Demonstrationen vom Terrorismus zu distanzieren immer lauter und drängender. Würden sich „die Muslime“ endlich zu öffentlichen Protesten gegen den Terrorismus aufraffen, so das implizite Versprechen, hätte die deutsche Mehrheitsgesellschaft erheblich weniger Probleme damit, ihnen im Gegenzug eine friedfertige Gesinnung und die Verurteilung terroristischer Gewalt als glaubhaft abzunehmen und sie als Partner im Kampf gegen den Terrorismus anzuerkennen.
Aktuell werden Muslime & Freunde zu einem Friedensmarsch gegen Gewalt und Terror in Köln aufgerufen. In den Medien hat dieser Appell bereits starke Resonanz gefunden und entsprechend hohe Erwartungen an die Teilnehmerzahl geweckt. Bis zu zehntausend sollten es anfangs nach Einschätzung der Organisatoren werden, was angesichts geschätzter 120.000 muslimischer Einwohner Kölns (Wikipedia) und weiterer 30.000 bis 50.000 in der Region auf den ersten Blick nicht übertrieben anmutet.
Was genau Sinn und Ziel der Demonstration ist, was konkret gefordert wird und an wen sie sich richtet, lässt sich aus dem Text nur mit einiger Mühe herausfiltern. Doch genau darauf sollte es bei der Bewertung der Initiative und bei der Entscheidung zur Zustimmung/Ablehnung bzw. der Teilnahme an dem Friedensmarsch ankommen.
Schon bei flüchtiger Lektüre des Aufrufs fällt auf, dass die in weitgehender Übereinstimmung von Experten, Politik und Medien genannten Ursachen des „islamistischen“ Terrorismus wie Welt- und Nahostpolitik, Machtinteressen, ökonomische und soziale Konflikte, verfehlte Integrationspolitik, biografische Defizite, Diskriminierungserfahrungen und Perspektivlosigkeit junger Männer usw. hier keine Rolle spielen. Die muslimische Community ist nach diesen Analysen zwar nicht völlig unbeteiligt, jedoch geht es dabei vorwiegend um sektenähnliche extremistische Randgruppen und nicht um den Mainstream-Islam und seine Dachverbände und Vereine. Im Gegensatz zu den Expertisen stehen jedoch diese ständig im Mittelpunkt von Verdächtigungen und Distanzierungsforderungen, und so gehen auch die Organisatoren des Friedensmarsches mit größter Selbstverständlichkeit davon aus, dass sie sich dem Demonstrationsaufruf eines kleinen muslimischen Vereins anschließen und ihre Mitglieder zur Teilnahme aufrufen. Irgendwelche Voranfragen oder Vereinbarungen hat es offenbar nicht gegeben, was gravierende Auswirkungen auf Teilnehmerzahl und Beurteilung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft haben wird.
Abgesehen von einigem Für und Wider bezüglich der Teilnahme hat es bisher keine nennenswerte öffentliche Auseinandersetzung über den Inhalt des Aufrufs gegeben. Vermutlich liegt das an seinen weitgehend allgemein bleibenden Aussagen, denen kaum jemand außer Extremisten, Terroristen und Terrorismussympathisanten die Zustimmung verweigern dürfte. Denn wer unter den friedlichen und ganz normal lebenden Mehrheitsmuslimen und wer unter der nichtmuslimischen Mehrheitsbevölkerung ist nicht gegen „Extremismus Terrorismus, Krieg und Diktatur“? Wer widerspricht der Forderung nach dem Eintreten für „eine solidarische Welt, für Pluralismus innerhalb und außerhalb der Religion, gegen eine Spaltung unserer vielfältigen Gesellschaft in ‚WIR‘ und ‚IHR’“ etc.? Und hat man das nicht alles schon so oft gelesen und gehört, dass man kaum noch hinschaut? Aktuell Meinung
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Danke! Super Artikel! Qui s’excuse s’accuse!!
Warum behandelt der Artikel lediglich die Beziehung zwischen Moslems und einer sogenannten deutschen Mehrheitsgesellschaft? Migazin ist ein Forum für migrantische Themen und der Aufruf zur Demo richtet sich von Liberalen Moslems an andere Moslems and Friends.
Natürlich gibt es hier viele unbeteiligte die als Zaungäste mit unpassenden Kommentaren Erwartungen prägen, aber der Grundkonflikt den diese Demo aufgreift ist aus meiner Sicht, die Forderung nach einer historisch-kritischen Sichtweise des Islams und dem Verzicht auf dogmatische Wahrheitsansprüche innerhalb der Religionsgemeinschaft.
Sie fragen, wer teilt in wir und die anderen? Der saudische, iranische und türkische Staatsislam tun dies! Sie Fragebn, warum es sich lohnen würde dafür zu demonstrieren? Genau das haben die Italiener gemacht, als es Ihnen mit der Mafia zu viel wurde. Weil jedeR eine Mitverantwortung gegen Korruption und Machtmissbrauch trug und es mutig war, dafür einzutreten.
Und genauso wäre es heute mutig gegen Indoktrination einzutreten. Und das es hier viel zu viele Deutsche gibt, läßt sich nicht ändern, aber deshalb muss man nicht ständig über sie reden und ihnen eine omnipotente Verantwortung zuschreiben. Denn es gibt auch Themen, die kleinere Gruppen in Deutschland betreffen und genau dafür soll das Migazin ja Platz schaffen.