#Nicht mit uns ins Hamsterrad

Eine Absage an den Aufruf zum Friedensmarsch gegen Gewalt und Terror

Der für Samstag in Köln geplante „Friedensmarsch“ gegen Gewalt und Terror ist ein Lauf im Hamsterrad. Das Konzept, der Aufruf, der Adressatenkreis sind nicht geeignet, ein positives Zeichen zu setzen – im Gegenteil. Von Irmgard Pinn

Setzt jemand andere mit unerfüllbaren Forderungen unter Druck und bringt diese gleichzeitig mit (impliziten) Versprechen dazu, sich darauf einzulassen und sich mit den Forderungen sogar zu identifizieren, nennt man das üblicherweise „jemand eine Falle stellen“. Entweder gibt das Opfer angesichts der Unerfüllbarkeit über kurz oder lang auf – mit den entsprechenden Konsequenzen – oder es landet in einem Hamsterrad vergeblicher Bemühungen, die Forderungen zu erfüllen, worauf seitens der Fordernden Kritik und der Verdacht halbherzigen Engagements oder von Täuschungsmanövern folgen, sodann beiderseitige Frustration. Nach einer Weile wiederholt sich dieses Wechselspiel von Forderungen und Versprechen, es folgen erneute Bemühungen, erneute Kritik und Vorwürfe usw. Dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen, ohne dass das Opfer seine Struktur und Dynamik durchschaut.

Manchmal, aber keineswegs immer handelt es sich beim Hamsterrad um ein strategisch geplantes und vorangetriebenes Konstrukt, ist doch die fordernde Seite in der Regel davon überzeugt, nicht mehr zu verlangen als das, was nach Recht, Vernunft und Moral von jedem Bürger erwartet werden darf. Und die im Hamsterrad Gefangenen fühlen sich zwar missverstanden, bevormundet, mit ihren Anstrengungen und schon erbrachten Leistungen missachtet und Opfer eines Täuschungsmanövers, jedoch ohne ihre Situation verändern zu können.

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Ob sich das Hamsterrad unerfüllbarer Erwartungen nach einem Plan bewegt oder ob es, einmal Bewegung gesetzt, in einer Eigendynamik rotiert, macht letztlich keinen großen Unterschied. Wer sich unter Druck und Drohungen und zugleich in der illusionären Erwartung, durch Anpassungsleistungen, Wohlverhalten, demonstrative Loyalitätsbekenntnisse usw. den Kreislauf von Forderungen, Bemühungen und Frustrationen irgendwann zum Stillstand bringen zu können, wird dem Hamsterrad nicht entkommen – es sei denn durch kritisches Reflektieren dieser Situation und anschließend durch strategisch durchdachtes Handeln. Der erste Schritt dazu besteht in einer Analyse der ungleichen Machtverhältnisse, die dem Betreiber des Hamsterrads erlauben, über Forderungs- und Erfüllungskriterien sowie über die Geschwindigkeit zu bestimmen.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die skizzierte Hamsterrad-Konstellation erleben wir gerade mit dem Aufruf an Muslime & Freunde zu einem „Friedensmarsch“ gegen Gewalt und Terrorismus am kommenden Samstag in Köln. Initiiert haben ihn Lamya Kaddor, Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, und Tarek Mohamad als Erfüllungsgehilfe einer gegenüber den in Deutschland lebenden Muslimen überwiegend skeptisch bis ablehnend eingestellten nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft.

Friedliche Mainstream-Muslime oder heimliche Terrorismus-Sympathisanten?

Trotz einiger Probleme und Konflikte verläuft das interkulturelle und interreligiöse Mit- oder zumindest Nebeneinander in Deutschland ausgesprochen friedlich. Muslime verhalten sich in ihrer übergroßen Mehrheit gesetzeskonform und haben sich in weiten Bereichen deutschen Normen und Werten angeglichen. Dessen ungeachtet stehen sie seit dem 11. September 2001 und verstärkt seit den jüngsten Terroranschlägen in Paris, Berlin, London und anderen Städten unter dem mehr oder weniger offensiv ausgesprochenen Generalverdacht, mit dem sich auf den Islam berufenden Terrorismus auf ideologisch-religiöser Ebene zu sympathisieren. Wird nicht im Koran zu Mord und Totschlag und der Vernichtung aller Ungläubigen aufgehetzt? Kann sich ein gläubiger Muslim dieser Aufforderung überhaupt entziehen?  Handelt es sich beim friedlichen Alltagsleben der Mehrheit und den Verurteilungen des Terrorismus, der Beteiligung an Dialogen, Mahnwachen und Demonstrationen womöglich nur um eine trügerische Fassadenkosmetik, um „Taqiyya“? Alle Anstrengungen von muslimischer Seite, derartige Verdächtigungen auszuräumen, finden kaum öffentliche Resonanz bzw. geraten sofort wieder in Vergessenheit. Insbesondere den Repräsentanten und Organisationen der Muslime wird stattdessen vorgeworfen, jegliche Selbstkritik zu verweigern und sich der eigenen Verantwortung nicht stellen zu wollen.

Wer als Muslim/Muslima in Reaktion auf derartige Vorwürfe und Forderungen davon ausgeht, dass es in der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft bezüglich Terrorismus und Gewalt einen großen Aufklärungs- und Distanzierungsbedarf gibt, ist allerdings entweder einem frommen Selbstbetrug verfallen („Wenn wir nur fleißig über den Islam informieren und uns vom Terrorismus distanzieren, wird man uns nicht länger als Extremisten/Terrorsympathisanten verdächtigen/diskriminieren.“) oder lebt in völliger Ahnungslosigkeit gegenüber den tatsächlichen Ursachen und Funktionen Generalverdachts, an dem Informationen über den Islam und die muslimische Community ebenso abprallen wie die alltäglichen Erfahrungen in einem jahrzehntelangen friedlichen Zusammenleben.

Ein überfälliger Friedensmarsch gegen Gewalt und Terror?

Ungeachtet aller Informationen durch Medien, Bücher, öffentliche Veranstaltungen etc., wonach die Ursachen des Terrorismus nicht im Verantwortungsbereich der deutschen muslimischen Community – insbesondere den Moscheen des Mainstream-Islams – liegen und ihre Einflussmöglichkeiten entsprechend begrenzt sind, werden die Aufforderungen, sich durch Demonstrationen vom Terrorismus zu distanzieren immer lauter und drängender. Würden sich „die Muslime“ endlich zu öffentlichen Protesten gegen den Terrorismus aufraffen, so das implizite Versprechen, hätte die deutsche Mehrheitsgesellschaft erheblich weniger Probleme damit, ihnen im Gegenzug eine friedfertige Gesinnung und die Verurteilung terroristischer Gewalt als glaubhaft abzunehmen und sie als Partner im Kampf gegen den Terrorismus anzuerkennen.

Aktuell werden Muslime & Freunde zu einem Friedensmarsch gegen Gewalt und Terror in Köln aufgerufen. In den Medien hat dieser Appell bereits starke Resonanz gefunden und entsprechend hohe Erwartungen an die Teilnehmerzahl geweckt. Bis zu zehntausend sollten es anfangs nach Einschätzung der Organisatoren werden, was angesichts geschätzter 120.000 muslimischer Einwohner Kölns (Wikipedia) und weiterer 30.000 bis 50.000 in der Region auf den ersten Blick nicht übertrieben anmutet.

Was genau Sinn und Ziel der Demonstration ist, was konkret gefordert wird und an wen sie sich richtet, lässt sich aus dem Text nur mit einiger Mühe herausfiltern. Doch genau darauf sollte es bei der Bewertung der Initiative und bei der Entscheidung zur Zustimmung/Ablehnung bzw. der Teilnahme an dem Friedensmarsch ankommen.

Schon bei flüchtiger Lektüre des Aufrufs fällt auf, dass die in weitgehender Übereinstimmung von Experten, Politik und Medien genannten Ursachen des „islamistischen“ Terrorismus wie Welt- und Nahostpolitik, Machtinteressen, ökonomische und soziale Konflikte, verfehlte Integrationspolitik, biografische Defizite, Diskriminierungserfahrungen und Perspektivlosigkeit junger Männer usw. hier keine Rolle spielen. Die muslimische Community ist nach diesen Analysen zwar nicht völlig unbeteiligt, jedoch geht es dabei vorwiegend um sektenähnliche extremistische Randgruppen und nicht um den Mainstream-Islam und seine Dachverbände und Vereine. Im Gegensatz zu den Expertisen stehen jedoch diese ständig im Mittelpunkt von Verdächtigungen und Distanzierungsforderungen, und so gehen auch die Organisatoren des Friedensmarsches mit größter Selbstverständlichkeit davon aus, dass sie sich dem Demonstrationsaufruf eines kleinen muslimischen Vereins anschließen und ihre Mitglieder zur Teilnahme aufrufen. Irgendwelche Voranfragen oder Vereinbarungen hat es offenbar nicht gegeben, was gravierende Auswirkungen auf Teilnehmerzahl und Beurteilung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft haben wird.

Abgesehen von einigem Für und Wider bezüglich der Teilnahme hat es bisher keine nennenswerte öffentliche Auseinandersetzung über den Inhalt des Aufrufs gegeben. Vermutlich liegt das an seinen weitgehend allgemein bleibenden Aussagen, denen kaum jemand außer Extremisten, Terroristen und Terrorismussympathisanten die Zustimmung verweigern dürfte. Denn wer unter den friedlichen und ganz normal lebenden Mehrheitsmuslimen und wer unter der nichtmuslimischen Mehrheitsbevölkerung ist nicht gegen „Extremismus Terrorismus, Krieg und Diktatur“? Wer widerspricht der Forderung nach dem Eintreten für „eine solidarische Welt, für Pluralismus innerhalb und außerhalb der Religion, gegen eine Spaltung unserer vielfältigen Gesellschaft in ‚WIR‘ und ‚IHR’“ etc.? Und hat man das nicht alles schon so oft gelesen und gehört, dass man kaum noch hinschaut?

Adressaten und Forderungen des Aufrufs

Um Erfolg zu haben bzw. um überhaupt wahrgenommen zu werden, braucht jede Demonstration einen oder mehrere Adressaten, eine oder mehrere konkrete Zielsetzung(en) und Forderung(en) sowie eine Liste möglichst vieler potenzieller Teilnehmer. Der Aufruf richtet sich an ungewöhnlich viele, nämlich vier höchst unterschiedliche Adressatenkreise, und zwar erstens – wie schon aus dem Leitmotto „#Nicht mit uns!“ deutlich wird – an Terroristen, die ihre Verbrechen unter Berufung auf den Islam begehen, zweitens an die Mehrheit der Gewalt und Terror verurteilenden MuslimInnen und deren nichtmuslimische Freunde als potenzielle TeilnehmerInnen des Friedensmarsches, drittens an die „gesamte Gesellschaft“ im Sinne einer Solidaritätspartnerschaft gegen Gewalt und Terror sowie viertens – und das hauptsächlich – an jene, die nicht genannt werden und explizit nicht gemeint sein sollen.

Des Weiteren richten sich Demonstrationen üblicherweise an die Adresse von Institutionen oder Personen, von denen mit guten Gründen erwartbar ist, dass sie erstens die Macht haben, bestimmte Forderungen zu erfüllen (Gesetze zu erlassen oder zu verhindern, Atomkraftwerke stillzulegen, Gehaltserhöhungen zu akzeptieren usw.) und die zweitens durch eine hohe Teilnehmerzahl und durch die Medienberichterstattung unter Druck gesetzt werden können (z.B. durch Androhungen des Verlusts von Wählerstimmen oder moralischer Diskreditierung, durch Streikdrohungen oder die Prognose katastrophaler Folgen, falls die Forderungen abgelehnt werden). Nichts davon wurde hier berücksichtigt.

Dass sich der Hauptappell einer Demonstration an Adressaten richtet, bei denen von vornherein klar ist, dass sie weder durch Drohungen noch durch moralische Appelle erreichbar sind und die den Protest wahrscheinlich sogar als Bestätigung ihres Weltbildes und als Antrieb zu weiteren Gewaltakten wahrnehmen, dürfte bisher selten vorgekommen sein. Die Aufforderung, mit dem Friedensmarsch ein „mächtiges Zeichen“ zu setzen und ihnen – den Terroristen – „aus voller Kehle entgegenzurufen, „Nicht mit uns!“ „Ihr gehört nicht dazu!“ „Ihr seid nicht wir, und wir sind nicht ihr!“, mutet angesichts der realen Situation nicht nur naiv, sondern geradezu absurd an. Mit vergleichbaren Erfolgsaussichten könnte man auch den durch Deutschland ziehenden Einbrecherbanden „Haut ab! Wir wollen Euch hier nicht haben!“ zurufen. Kurzfristig könnte so ein Geschrei auf die Akteure psychisch entlastend wirken, aber glauben die Initiatoren und diejenigen, die sich ihnen anschließen, tatsächlich, auf diese Weise effektiv etwas gegen Gewalt und Terror bewirken und dafür tausende Muslime & Freunde mobilisieren zu können?

Ähnlich verhält es sich mit den Forderungen, die ja normalerweise im Zentrum eines Demonstrationsaufrufes stehen: Sie müssen zumindest soweit realistisch sein, dass eine Erfüllung unter bestimmten Bedingungen oder längerfristig möglich erscheint. So werden hier Gleichgesinnte aufgefordert, in der Öffentlichkeit als Gegner von Terror und Gewalt Präsenz zu zeigen, Terroristen und deren Sympathisanten sollen begreifen, dass sie eine verachtete Minderheit sind und ihre verbrecherischen Aktivitäten auf Ablehnung treffen und schließlich wird die deutsche Mehrheitsgesellschaft als potenzieller Partner im Abwehrkampf gegen den Terrorismus angesprochen. Ob das für eine Massendemonstration ausreicht? Jede Schülerdemo gegen ungerechte Zensuren mutet dagegen wie ein revolutionärer Aufbruch an …

Ein Elefant im Raum

Der eigentliche Anlass und Adressat des Friedensmarsches steht in diesem Aufruf wie der sprichwörtliche Elefant im Raum – riesengroß, aber seine Existenz wird ausgeblendet oder sogar geleugnet. So heißt es in dem Aufruf: „Wenn wir Muslime diese Absage an Terror und Gewalt bekunden, tun wir das nicht, um irgendjemandem zu gefallen. Wir tun es nicht, weil wir uns als Muslime von diesen Gewalttätern distanzieren müssten. Um sich zu distanzieren, müsste es vorher eine Nähe zu diesen Verbrechern gegeben haben …“ Also besteht kein Anlass zur Distanzierung von Gewalt und Terror gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft? Aber wozu brauchen die nachfolgend als wahre Motive aufgelisteten Ideale wie Schutz des Glaubens an Gott, Eintreten fürs friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Hautfarben, Freiheitsliebe usw. ohne konkreten Anlass und ohne konkrete Forderungen an irgendwen eine öffentliche Großkundgebung? Wer geht für derartige Allgemeinplätze auf die Straße?

Tatsächlich geht es jedoch genau um das, was in dem Aufruf abgestritten wird, nämlich um die Distanzierung von Gewalt und Terrorismus gegenüber der deutschen Öffentlichkeit einerseits und andererseits um die als Gegenleistung versprochene bzw. erhoffte Lossprechung vom Verdacht, mit dem Terrorismus zu sympathisieren, die Übernahme von Verantwortung zu verweigern und deshalb kein Partner im Abwehrkampf gegen den Terrorismus zu sein. Und damit bedeutet die Demonstration einen Marsch ins Hamsterrad vergeblicher Bemühungen.

Die auf den ersten Blick leicht oder doch mit geringen Anstrengungen erfüllbar erscheinende Distanzierungsforderung hat es nämlich in sich. Sie richtet sich an „die Muslime“, also eine unbestimmte Zahl bzw. an alle Muslime, d.h. an Millionen (selbst wenn man Kinder, Kranke usw. abzieht). Was sind dagegen 10.000 bzw. 2.000 Teilnehmer, wie die Organisatoren ihr Ziel beziffern? (inklusive nichtmuslimische Freunde). Wären auch 5.000 oder 1.000 ein machtvolles Zeichen? Oder müssten es doch mindestens 100.000 sein? Die Betreiber werden darüber zu gegebener Zeit ihre Erwartung bekannt geben. Bereits jetzt haben die Organisatoren ihre Erwartungen auf 2.000 Teilnehmer reduziert (Kölnische Rundschau, 13.6.2017) und geben dafür dem ausbleibenden Engagement der Verbände die Schuld.

Wer daher als Muslima oder Muslim hofft, durch Beteiligung an der Demonstration der Pflicht zur öffentlichen Distanzierung von Terrorismus und Gewalt Genüge getan zu haben und weiteren Verdächtigungen und Forderungen zu entgehen, dürfte dies rasch als Irrtum erkennen müssen. Was von ihnen erwartet wird, ist weder durch tausend noch zehntausend noch hunderttausend TeilnehmerInnen zu erfüllen und das Hamsterrad weiterer Forderungen und vergeblicher Bemühungen wird nach dem 17. Juni weiter rotieren wie zuvor.

Dafür gibt es ja bereits Erfahrungswerte: Ende 2004 hat Ditib in Köln eine Großdemonstration gegen Terrorismus und islamischen Extremismus mit 25.000 bis 30.000 teilnehmenden „Muslimen und Freunden“ organisiert – einschließlich Clauda Roth, dem bayrischen Innenminister und anderen Prominenten. In den Medien wurde das Event überwiegend wohlwollend, wenn auch mit skeptischen Untertönen kommentiert („Endlich haben sich die Muslime, dazu durchgerungen, ein Zeichen zu setzen!“). Es fehlte allerdings auch nicht an weitergehenden Forderungen nach dem Motto „Alles gut und schön, aber jetzt müssen den Worten auch Taten folgen!“. Gemeint waren Taten wie eine effiziente Präventionsarbeit in den Moscheen und Vereinen, Streichung bestimmter Passagen aus dem Koran und „Liberalisierung“ islamischer Normen und Werte, deutschsprachige Freitagspredigten, Kappung ausländischer Einflussbeziehungen und Finanzierungen usw. Der Themenbereich Terrorismus/Gewalt/Extremismus geriet auf diese Weise mehr und mehr zu einem Punkt in einem umfangreichen Forderungskatalog, und die zahlreichen Bemühungen von muslimischer Seite, sich durch Presseerklärungen, durch die Organisation von bzw. die Beteiligung an Demonstrationen, Mahnwachen und Diskussionsveranstaltungen überzeugend gegen Terrorismus und Extremismus zu positionieren, wurden von der mehrheitsdeutschen Öffentlichkeit kaum noch zur Kenntnis genommen (mehr dazu auf www.islam.de) Die Nachhaltigkeitsbilanz der 2004 von Ditib initiierten Großdemonstration fällt daher vernichtend aus. Nach anfänglichem Schwanken hat Ditib daraus mit dem Beschluss, den Aufruf nicht zu unterzeichnen, offensichtlich gelernt.

Was von der Demonstration in Köln zu erwarten ist, lässt sich außerdem schon jetzt aus einigen Medienberichten und vor allem aus vielen Kommentaren in den Leserforen abschätzen. Es sind die seit Jahren bekannten Vorwürfe und Forderungen. So liegt die Messlatte in einem Artikel des Duisburger „Lokalkompass“ bereits bei 50.000 Teilnehmern. Weiter heißt es dort: „Mit dieser Demo wird den Muslimen in Deutschland zugleich die Glaubwürdigkeitsfrage gestellt, wozu auch gehört, ob sie bereit sind, die Krise des Islam in Angriff zu nehmen. Sollte der Aufruf zur Demonstration auf geringen Zuspruch unter den Muslimen in Köln und näherer wie weiterer Umgebung stoßen, denen es ein Leichtes ist, Tausende von Menschen pro Erdogan auf die Straße zu bringen, so käme das einem Offenbarungseid gleich.“ Nach der Entscheidung, den Aufruf nicht zu unterstützen, wird Ditib bereits in die Ecke derer gestellt, die eine Beteiligung am Kampf gegen den Terrorismus ablehnen. Im Übereifer der Empörung kommt es dabei zu kuriosen Entgleisungen wie „Ditib verweigert Teilnahme an Anti-Islam-Demo in Köln“ 1

Abschließend noch einmal: Wie es keine rational nachvollziehbaren Gründe gibt, von den in Deutschland lebenden Mehrheitsmuslimen und ihren Organisationen öffentliche Distanzierungen von Terrorismus und Gewalt zu fordern, gibt es keine rational nachvollziehbaren Gründe für Erwartungen auf muslimischer Seite, sich mit der Teilnahme an solchen Distanzierungsaktionen von Verdächtigungen und weitergehenden Forderungen entlasten zu können. Als Anhänger einer das friedliche Zusammenleben der Menschen gebietenden Religion und als Teil der hiesigen Gesellschaft sind Muslime selbstverständlich verpflichtet, sich gegen Gewalt und Terrorismus zu engagieren. Das geschieht auch schon seit Jahren, vor allem in Form von Präventions- und Sozialarbeit, besonders mit Blick auf Jugendliche, die in die Fänge extremistischer Rattenfänger geraten sind oder zu geraten drohen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei allerdings – anders als entsprechende kirchliche oder staatliche Aktivitäten, die aus Kirchensteuern und öffentlichen Geldern finanziert werden – um ehrenamtliches Engagement, weshalb z.B. die Möglichkeiten, qualifiziertes Personal einzusetzen oder Projekte durchzuführen, rasch an Grenzen stoßen. Es mangelt außerdem an Einrichtungen ähnlich der evangelischen und katholischen Akademien zum Austausch von Informationen und Meinungen, zur Fortbildung und Entwicklung innovativer Projekte. Es müssten Wege und Strategien zu einer offensiveren Haltung gegenüber Personen und Institutionen gefunden werden, die in Moscheen oder im Internet ein autoritäres, mit Feindseligkeit aufgeladenes Welt- und Menschenbild propagieren, welches direkt oder indirekt Gewalt legitimiert. Schließlich braucht die muslimische Community bessere Kenntnisse der Spielregeln in der deutschen Gesellschaft und Politik, Experten für interkulturelle Kommunikation usw., um nicht immer wieder in Hamsterräder wie diesen „Friedensmarsch“ hineinzugeraten.

Für viele dieser allerdings unspektakulären und teilweise aufwendigen und kostenintensiven Maßnahmen wäre eine engere Kooperation mit nichtmuslimischen Organisationen und Institutionen zweifellos sinnvoll und wünschenswert, was jedoch durch ständige Verdächtigungen und Forderungen nach Distanzierung von Terrorismus und Gewalt eher blockiert wird. Von einer Massendemonstration in der Kölner Innenstadt ist diesbezüglich jedenfalls aus den genannten Gründen nichts zu erwarten. Sie lenkt ab von den wahren Ursachen, gibt keine Impulse zu einer effizienten Terrorismusbekämpfung und führt bei denjenigen Muslimen, die sich mit illusionären Erwartungen wieder einmal ins Hamsterrad locken lassen, vorhersehbar zu einer lähmenden Enttäuschung, die weitere Aktivitäten lähmt. Deshalb: #Nicht mit uns ins Hamsterrad vergeblicher Bemühungen!

  1. Die Welt, 15.6.2017